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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leila die Ratzenprinzessin

vermag nichts mehr zu unterscheiden. Geben Sie mir Licht, bester Herr Hoch-"
stete, schnell Licht, damit ich wieder hinaufgehen kann!

Nur mit Mühe vermochte Justus seine Aufregung zu verbergen. Ohne
Zweifel hatte sich Leila, wie sie vor ihrer Verwandlung zu thun Pflegte, auf
deu Boden begeben, um durch die geöffnete Fensterluke über die mvndbe-
glänzten Dächer zu schauen, und bei dieser Gelegenheit hatte sie der alte Pro¬
fessor erblickt.

Als dieser mit der Lampe wieder die Bodentreppe hinaufstieg, konnte
sich Justus nicht versagen, ihm leise zu folgen. Der Alte fand die geöffnete
Bücherkiste genau so, wie er sie verlassei? hatte. Aber die Erscheinung war
verschwunden. Der Professur setzte sich auf den Rand der Kiste und griff mit
zitternder Hand nach seiner Stirn. Es wird ein Gebilde meiner erregten Phan¬
tasie gewesen sein, sagte er zu sich selbst, ich hatte mich Wohl allzu lebhaft in
die schöne Märchenwelt der Jugend versetzt. Er lächelte wehmütig, legte die
Bücher wieder an ihren Ort, schloß die Kiste zu und verließ den Boden.

Als Justus in seine Wohnung zurückkehrte, war die Thür zu seinem Schlas-
gemcich verriegelt. Er rüttelte und klopfte, aber vergebens. Er bückte sich
zum Schlüsselloch und wollte durchblicken. Da schallte ihm ans dem Jnnern
der Stube ein leises, silberhelles Lache" entgegen. Nein, mein Freund, bleib
du nur draußen, sagte die liebliche Stimme Leilas! Ich habe mirs hier schon
bequem gemacht. Es wird dir doch nichts schaden, mein Prinz, die Nacht
ist ja warm und der Divan weich! Dann folgte wieder ein Helles Lachen.

Justus machte gute Miene zum bösen Spiel, wußte er doch seinen Schatz
wieder geborgen. Er bezwang seine Sehnsucht und streckte sich auf den Divan
und schlief ein.

Er mußte lauge und fest geschlafen haben, denn es war offenbar schon
spät am Morgen, als ihn ein Geräusch wieder erweckte. Draußen auf dem
Flur vernahm er Schritte und leises Flüstern; als er genau hinhorchte, konnte
er die Stimmen der alten Suse und des Professors unterscheiden. Mit unserm
jungen Herrn stimmts nicht mehr recht, sagte die alte Dienerin, er ist wie
umgewandelt! Gestern hat er allerlei ausländischen Kram herbringen lassen,
und diese Nacht ist er in kein Bett gekommen. Im Vertrauen gesagt, Herr
Professor, der Herr Hvchstedt ist entweder behext oder verliebt!

Ganz gleich, liebe Frau, Sie müssen ihn wecken! Er muß mit zum pol¬
nischen Fürsten, glauben Sie, daß der Fürst mit dem Essen auf uns warten
wird? Gleich wirds zwölf schlagen, und wir müssen pünktlich dort sein!

Justus sprang auf und öffnete.

Schnell, schnell, Herr Hochstedt, rief ihm der Professor entgegen, es ist
die höchste Zeit!

Richtig! Er sollte ja mit zum Festessen gehen! Zum Glück war er noch
angekleidet. Aber Leila? Konnte er gehen, ohne sie gesehen zu haben? Er


Leila die Ratzenprinzessin

vermag nichts mehr zu unterscheiden. Geben Sie mir Licht, bester Herr Hoch-"
stete, schnell Licht, damit ich wieder hinaufgehen kann!

Nur mit Mühe vermochte Justus seine Aufregung zu verbergen. Ohne
Zweifel hatte sich Leila, wie sie vor ihrer Verwandlung zu thun Pflegte, auf
deu Boden begeben, um durch die geöffnete Fensterluke über die mvndbe-
glänzten Dächer zu schauen, und bei dieser Gelegenheit hatte sie der alte Pro¬
fessor erblickt.

Als dieser mit der Lampe wieder die Bodentreppe hinaufstieg, konnte
sich Justus nicht versagen, ihm leise zu folgen. Der Alte fand die geöffnete
Bücherkiste genau so, wie er sie verlassei? hatte. Aber die Erscheinung war
verschwunden. Der Professur setzte sich auf den Rand der Kiste und griff mit
zitternder Hand nach seiner Stirn. Es wird ein Gebilde meiner erregten Phan¬
tasie gewesen sein, sagte er zu sich selbst, ich hatte mich Wohl allzu lebhaft in
die schöne Märchenwelt der Jugend versetzt. Er lächelte wehmütig, legte die
Bücher wieder an ihren Ort, schloß die Kiste zu und verließ den Boden.

Als Justus in seine Wohnung zurückkehrte, war die Thür zu seinem Schlas-
gemcich verriegelt. Er rüttelte und klopfte, aber vergebens. Er bückte sich
zum Schlüsselloch und wollte durchblicken. Da schallte ihm ans dem Jnnern
der Stube ein leises, silberhelles Lache» entgegen. Nein, mein Freund, bleib
du nur draußen, sagte die liebliche Stimme Leilas! Ich habe mirs hier schon
bequem gemacht. Es wird dir doch nichts schaden, mein Prinz, die Nacht
ist ja warm und der Divan weich! Dann folgte wieder ein Helles Lachen.

Justus machte gute Miene zum bösen Spiel, wußte er doch seinen Schatz
wieder geborgen. Er bezwang seine Sehnsucht und streckte sich auf den Divan
und schlief ein.

Er mußte lauge und fest geschlafen haben, denn es war offenbar schon
spät am Morgen, als ihn ein Geräusch wieder erweckte. Draußen auf dem
Flur vernahm er Schritte und leises Flüstern; als er genau hinhorchte, konnte
er die Stimmen der alten Suse und des Professors unterscheiden. Mit unserm
jungen Herrn stimmts nicht mehr recht, sagte die alte Dienerin, er ist wie
umgewandelt! Gestern hat er allerlei ausländischen Kram herbringen lassen,
und diese Nacht ist er in kein Bett gekommen. Im Vertrauen gesagt, Herr
Professor, der Herr Hvchstedt ist entweder behext oder verliebt!

Ganz gleich, liebe Frau, Sie müssen ihn wecken! Er muß mit zum pol¬
nischen Fürsten, glauben Sie, daß der Fürst mit dem Essen auf uns warten
wird? Gleich wirds zwölf schlagen, und wir müssen pünktlich dort sein!

Justus sprang auf und öffnete.

Schnell, schnell, Herr Hochstedt, rief ihm der Professor entgegen, es ist
die höchste Zeit!

Richtig! Er sollte ja mit zum Festessen gehen! Zum Glück war er noch
angekleidet. Aber Leila? Konnte er gehen, ohne sie gesehen zu haben? Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/385>, abgerufen am 23.07.2024.