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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leila die Ratzenprnizessiil

erinnerte. Ans einem zierlichen orientalischen Tische stand das Nargileh, und
von der Decke herab hing eine Ampel mit mildem Dämmerlicht. Ein süßer
Duft erfüllte den Raum, den die allerdings in höchst polizeiwidriger Weise
auf dem Fensterbret untergebrachten Blumen aushauchten; es war alles ent¬
zückend, alles wie für Leila geschaffen.

Justus öffnete die Schlafstubenthür, um Leila alles zu zeigen und sie zu
fragen, wie ihr die Sachen, die er gekauft hatte, gefielen, und ob er ihren
Geschmack getroffen habe. Aber trotz alles Suchens war das Mädchen
nirgends zu finden. Er ließ sich jedoch nicht beunruhigen, denn er hatte
das sichere Gefühl, daß sie jeden Angenblick hereintreten müsse, und
beschloß, ihre Rückkehr abzuwarten. Er trat an das geöffnete Fenster
und beugte sich über die Blumen. Lind und schmeichelnd flutete ihm
der Hauch des Herbstabends entgegen. Die Straßen schimmerten, als wären
sie mit Platten ans blankem Silber gepflastert, und der alte kupfergedeckte
Turm des Rathauses, über dessen Wetterfahne in diesem Augenblicke gerade
der Halbmond stand, sah aus wie die Kuppel einer Moschee.

Justus hatte schon eine ganze Weile am Fenster gesessen, als plötzlich
heftig an seine Thür geklopft wurde. Er erhob sich und öffnete. Vor ihm
stand der alte Professor Walther, offenbar in großer Aufregung.

Darf ich um ein Licht bitten, Herr Hvchstedt? sagte er, denken Sie sich,
was mir eben begegnet ist! Ich konnte trotz alles Nachdenkens nicht ans
den Namen meiner Märchenprinzessin kommen. Da entschloß ich mich, im
Galland selbst nachzusehen. Ich nehme meinen Schlüsselbund und die Lampe
und steige die Treppe zum Boden hinauf. Zu meiner Verwundrung
finde ich die Lattcuthür des Bodens offen. Ich lausche einen Augenblick; da
ich aber nichts höre, was auf die Anwesenheit eines Menschen schließen läßt,
gehe ich unbeirrt zu der Wandnische, wo die Bücherkiste steht. Ich setze
die Lampe hin und suche. Endlich habe ich den schweren Band mit dem
roten Lederrückeu! Galland! Ja, er wars, der alte liebe Gallaud mit seinen
herrlichen Märchen! Da flackert die Lampe und droht zu verlöschen. Sollte
ein Fenster offen stehen? denke ich und spähe in dem dunkeln Raume umher.
Da höre ich den flüchtigen Schritt leichter Füße und das Knistern eines Atlas¬
kleides! Ich ergreife mit der Linken die Lampe, mit der Rechten ein Rapier,
das neben der Kiste liegt, und gehe auf die Gestalt zu, die uuter dem Schutze
der Dunkelheit an mir vvrübergleiten will, und versperre ihr den Weg. Was
sehe ich? Ein zartes Mädchen in orientalischer Tracht steht vor mir und
müht sich, unter dein Schleier ans weißem Tüll ihr Antlitz zu verbergen!
Kein Zweifel, es war die Prinzessin selbst, auf bereu Namen ich mich nicht
besinnen konnte! Ich lege den Schläger nieder und strecke die Hand nach ihr
aus. Wer bist du, schönes Mädchen? rufe ich. Bringst du mir Grüße aus
der fernen Jugendzeit? In diesem Augenblicke verlischt die Lampe, und ich


Leila die Ratzenprnizessiil

erinnerte. Ans einem zierlichen orientalischen Tische stand das Nargileh, und
von der Decke herab hing eine Ampel mit mildem Dämmerlicht. Ein süßer
Duft erfüllte den Raum, den die allerdings in höchst polizeiwidriger Weise
auf dem Fensterbret untergebrachten Blumen aushauchten; es war alles ent¬
zückend, alles wie für Leila geschaffen.

Justus öffnete die Schlafstubenthür, um Leila alles zu zeigen und sie zu
fragen, wie ihr die Sachen, die er gekauft hatte, gefielen, und ob er ihren
Geschmack getroffen habe. Aber trotz alles Suchens war das Mädchen
nirgends zu finden. Er ließ sich jedoch nicht beunruhigen, denn er hatte
das sichere Gefühl, daß sie jeden Angenblick hereintreten müsse, und
beschloß, ihre Rückkehr abzuwarten. Er trat an das geöffnete Fenster
und beugte sich über die Blumen. Lind und schmeichelnd flutete ihm
der Hauch des Herbstabends entgegen. Die Straßen schimmerten, als wären
sie mit Platten ans blankem Silber gepflastert, und der alte kupfergedeckte
Turm des Rathauses, über dessen Wetterfahne in diesem Augenblicke gerade
der Halbmond stand, sah aus wie die Kuppel einer Moschee.

Justus hatte schon eine ganze Weile am Fenster gesessen, als plötzlich
heftig an seine Thür geklopft wurde. Er erhob sich und öffnete. Vor ihm
stand der alte Professor Walther, offenbar in großer Aufregung.

Darf ich um ein Licht bitten, Herr Hvchstedt? sagte er, denken Sie sich,
was mir eben begegnet ist! Ich konnte trotz alles Nachdenkens nicht ans
den Namen meiner Märchenprinzessin kommen. Da entschloß ich mich, im
Galland selbst nachzusehen. Ich nehme meinen Schlüsselbund und die Lampe
und steige die Treppe zum Boden hinauf. Zu meiner Verwundrung
finde ich die Lattcuthür des Bodens offen. Ich lausche einen Augenblick; da
ich aber nichts höre, was auf die Anwesenheit eines Menschen schließen läßt,
gehe ich unbeirrt zu der Wandnische, wo die Bücherkiste steht. Ich setze
die Lampe hin und suche. Endlich habe ich den schweren Band mit dem
roten Lederrückeu! Galland! Ja, er wars, der alte liebe Gallaud mit seinen
herrlichen Märchen! Da flackert die Lampe und droht zu verlöschen. Sollte
ein Fenster offen stehen? denke ich und spähe in dem dunkeln Raume umher.
Da höre ich den flüchtigen Schritt leichter Füße und das Knistern eines Atlas¬
kleides! Ich ergreife mit der Linken die Lampe, mit der Rechten ein Rapier,
das neben der Kiste liegt, und gehe auf die Gestalt zu, die uuter dem Schutze
der Dunkelheit an mir vvrübergleiten will, und versperre ihr den Weg. Was
sehe ich? Ein zartes Mädchen in orientalischer Tracht steht vor mir und
müht sich, unter dein Schleier ans weißem Tüll ihr Antlitz zu verbergen!
Kein Zweifel, es war die Prinzessin selbst, auf bereu Namen ich mich nicht
besinnen konnte! Ich lege den Schläger nieder und strecke die Hand nach ihr
aus. Wer bist du, schönes Mädchen? rufe ich. Bringst du mir Grüße aus
der fernen Jugendzeit? In diesem Augenblicke verlischt die Lampe, und ich


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[0384] Leila die Ratzenprnizessiil erinnerte. Ans einem zierlichen orientalischen Tische stand das Nargileh, und von der Decke herab hing eine Ampel mit mildem Dämmerlicht. Ein süßer Duft erfüllte den Raum, den die allerdings in höchst polizeiwidriger Weise auf dem Fensterbret untergebrachten Blumen aushauchten; es war alles ent¬ zückend, alles wie für Leila geschaffen. Justus öffnete die Schlafstubenthür, um Leila alles zu zeigen und sie zu fragen, wie ihr die Sachen, die er gekauft hatte, gefielen, und ob er ihren Geschmack getroffen habe. Aber trotz alles Suchens war das Mädchen nirgends zu finden. Er ließ sich jedoch nicht beunruhigen, denn er hatte das sichere Gefühl, daß sie jeden Angenblick hereintreten müsse, und beschloß, ihre Rückkehr abzuwarten. Er trat an das geöffnete Fenster und beugte sich über die Blumen. Lind und schmeichelnd flutete ihm der Hauch des Herbstabends entgegen. Die Straßen schimmerten, als wären sie mit Platten ans blankem Silber gepflastert, und der alte kupfergedeckte Turm des Rathauses, über dessen Wetterfahne in diesem Augenblicke gerade der Halbmond stand, sah aus wie die Kuppel einer Moschee. Justus hatte schon eine ganze Weile am Fenster gesessen, als plötzlich heftig an seine Thür geklopft wurde. Er erhob sich und öffnete. Vor ihm stand der alte Professor Walther, offenbar in großer Aufregung. Darf ich um ein Licht bitten, Herr Hvchstedt? sagte er, denken Sie sich, was mir eben begegnet ist! Ich konnte trotz alles Nachdenkens nicht ans den Namen meiner Märchenprinzessin kommen. Da entschloß ich mich, im Galland selbst nachzusehen. Ich nehme meinen Schlüsselbund und die Lampe und steige die Treppe zum Boden hinauf. Zu meiner Verwundrung finde ich die Lattcuthür des Bodens offen. Ich lausche einen Augenblick; da ich aber nichts höre, was auf die Anwesenheit eines Menschen schließen läßt, gehe ich unbeirrt zu der Wandnische, wo die Bücherkiste steht. Ich setze die Lampe hin und suche. Endlich habe ich den schweren Band mit dem roten Lederrückeu! Galland! Ja, er wars, der alte liebe Gallaud mit seinen herrlichen Märchen! Da flackert die Lampe und droht zu verlöschen. Sollte ein Fenster offen stehen? denke ich und spähe in dem dunkeln Raume umher. Da höre ich den flüchtigen Schritt leichter Füße und das Knistern eines Atlas¬ kleides! Ich ergreife mit der Linken die Lampe, mit der Rechten ein Rapier, das neben der Kiste liegt, und gehe auf die Gestalt zu, die uuter dem Schutze der Dunkelheit an mir vvrübergleiten will, und versperre ihr den Weg. Was sehe ich? Ein zartes Mädchen in orientalischer Tracht steht vor mir und müht sich, unter dein Schleier ans weißem Tüll ihr Antlitz zu verbergen! Kein Zweifel, es war die Prinzessin selbst, auf bereu Namen ich mich nicht besinnen konnte! Ich lege den Schläger nieder und strecke die Hand nach ihr aus. Wer bist du, schönes Mädchen? rufe ich. Bringst du mir Grüße aus der fernen Jugendzeit? In diesem Augenblicke verlischt die Lampe, und ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/384>, abgerufen am 23.07.2024.