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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Ja, sagte der Kalkulator Kegelmeyer, der hinter seinem Gläschen Weizen¬
bier saß, meine Base, die in der alten Wage wohnt, hat im vierten Stock am
Fenster ein ganz merkwürdiges Frauenzimmer bemerkt, das am hellen Nach¬
mittag in einer schneeweißen Jacke auf den Markt hinabgesehen hat.

Das Gefühl des Unbehagens wuchs bei Justus mit jeder Minute. Viel¬
leicht, das; mau am Tische nebenan von andern Dingen redete! Er schlich
einige Schritte weiter.

Am Nachbartische führte einer der Ratsherren das große Wort. Was
sagen Sie dazu, meine Herren? sagte er mit gewichtiger Miene. Es geschehen
heutzutage sonderbare Dinge; in den Zeitungen liest man öfter von geraubten
Personen, die an irgend einem Orte versteckt gehalten werden. Vielleicht
handelt es sich auch hier um etwas derartiges -- vielleicht ist irgend eine
fürstliche Persönlichkeit im Spiel! Schon der Umstand, daß das Mädchen kein
Wort Deutsch versteht, ist verdächtig. Ich habe es daher für meine Pflicht
gehalten, den Bürgermeister sofort von der Angelegenheit in Kenntnis zu setzen.

Jetzt vermochte sich Justus nicht länger zu halten. Er mußte nach Hause,
ehe etwas geschah, was ihn für ewig um seinen teuern Besitz bringen konnte.
In den Straßen war es schon dunkel geworden. Er wollte laufen, aber seine
Füße waren wie gelähmt; mühsam und mit klopfendem Herzen erreichte er
die nächste Straßenecke. Als er ein wenig stehen blieb, um Atem zu schöpfen,
traten ein paar Herren auf ihn zu, mit denen er zuweilen in der Universitäts¬
bibliothek zusammentraf. Sie wollten eine längere Unterhaltung beginne".
Eben erkundigte sich der eine, wo Justus seine arabische Grammatik drucken
lasse, und was ihm der Verleger für deu Bogen bezahle, als die Rathausuhr
neun schlug. Justus riß sich los und lief nach dem Markte. In Schweiß ge¬
badet erreichte er seine Hausflur. Dort stand ein Ratsdicner, der auf jemand zu
warten schien. Justus wollte schnell um ihm vvrübereilen, als ihn der Be¬
amte anredete. Sind Sie der unverehelichte Privatgclehrte Justus Hochstedt?
fragte er. Als Justus dies bejahte, räusperte er sich mit Nachdruck und fuhr
dann fort: Im Namen eines hochweisen Rates habe ich Ihnen dann mitzu¬
teilen, daß es unstatthaft ist, in den Fenstern nach der Straße zu Blumen¬
stöcke ohne genügende Befestigungsvorrichtung aufzustellen. Ich ersuche Sie,
bei Vermeidung einer Ordnungsstrafe von einem Thaler für Entfernung be¬
sagter Blumenstöcke Sorge zu tragen oder eine geeignete Befestigung anzu¬
bringen.

Justus atmete erleichtert auf und stürmte die Treppe hinauf.

Als er seine Wohnung betrat, sah er zu seiner Überraschung, daß schon
alle seine Einkünfe angelangt und daS Zimmer behaglich eingerichtet war.
Der persische Teppich lag weich auf dem Boden, an Stelle seines alten Sofas
stand der kostbare Divan, an der Wand hing schön eingerahmt das Bild des
venetianischen Admirals, ja es war noch mehr da, als er sich gekauft zu haben


Ja, sagte der Kalkulator Kegelmeyer, der hinter seinem Gläschen Weizen¬
bier saß, meine Base, die in der alten Wage wohnt, hat im vierten Stock am
Fenster ein ganz merkwürdiges Frauenzimmer bemerkt, das am hellen Nach¬
mittag in einer schneeweißen Jacke auf den Markt hinabgesehen hat.

Das Gefühl des Unbehagens wuchs bei Justus mit jeder Minute. Viel¬
leicht, das; mau am Tische nebenan von andern Dingen redete! Er schlich
einige Schritte weiter.

Am Nachbartische führte einer der Ratsherren das große Wort. Was
sagen Sie dazu, meine Herren? sagte er mit gewichtiger Miene. Es geschehen
heutzutage sonderbare Dinge; in den Zeitungen liest man öfter von geraubten
Personen, die an irgend einem Orte versteckt gehalten werden. Vielleicht
handelt es sich auch hier um etwas derartiges — vielleicht ist irgend eine
fürstliche Persönlichkeit im Spiel! Schon der Umstand, daß das Mädchen kein
Wort Deutsch versteht, ist verdächtig. Ich habe es daher für meine Pflicht
gehalten, den Bürgermeister sofort von der Angelegenheit in Kenntnis zu setzen.

Jetzt vermochte sich Justus nicht länger zu halten. Er mußte nach Hause,
ehe etwas geschah, was ihn für ewig um seinen teuern Besitz bringen konnte.
In den Straßen war es schon dunkel geworden. Er wollte laufen, aber seine
Füße waren wie gelähmt; mühsam und mit klopfendem Herzen erreichte er
die nächste Straßenecke. Als er ein wenig stehen blieb, um Atem zu schöpfen,
traten ein paar Herren auf ihn zu, mit denen er zuweilen in der Universitäts¬
bibliothek zusammentraf. Sie wollten eine längere Unterhaltung beginne».
Eben erkundigte sich der eine, wo Justus seine arabische Grammatik drucken
lasse, und was ihm der Verleger für deu Bogen bezahle, als die Rathausuhr
neun schlug. Justus riß sich los und lief nach dem Markte. In Schweiß ge¬
badet erreichte er seine Hausflur. Dort stand ein Ratsdicner, der auf jemand zu
warten schien. Justus wollte schnell um ihm vvrübereilen, als ihn der Be¬
amte anredete. Sind Sie der unverehelichte Privatgclehrte Justus Hochstedt?
fragte er. Als Justus dies bejahte, räusperte er sich mit Nachdruck und fuhr
dann fort: Im Namen eines hochweisen Rates habe ich Ihnen dann mitzu¬
teilen, daß es unstatthaft ist, in den Fenstern nach der Straße zu Blumen¬
stöcke ohne genügende Befestigungsvorrichtung aufzustellen. Ich ersuche Sie,
bei Vermeidung einer Ordnungsstrafe von einem Thaler für Entfernung be¬
sagter Blumenstöcke Sorge zu tragen oder eine geeignete Befestigung anzu¬
bringen.

Justus atmete erleichtert auf und stürmte die Treppe hinauf.

Als er seine Wohnung betrat, sah er zu seiner Überraschung, daß schon
alle seine Einkünfe angelangt und daS Zimmer behaglich eingerichtet war.
Der persische Teppich lag weich auf dem Boden, an Stelle seines alten Sofas
stand der kostbare Divan, an der Wand hing schön eingerahmt das Bild des
venetianischen Admirals, ja es war noch mehr da, als er sich gekauft zu haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/383>, abgerufen am 26.08.2024.