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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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ihn eine leidenschaftliche Sehnsucht zurückzog. Er lief, was er konnte, um
nach Hause zu kommen.

Als er beim Pnnlinum vorbeikam, fiel ihm ein, daß ihm ein Antiquar,
der dort in einem Gewölbe sein Lager hatte, vor einigen Wochen ein persisches
Liederbuch zu besorgen versprochen hatte. Das konnte er jetzt brauchen und
vielleicht abholen.

Noch nicht eingetroffen, verehrter Herr Hvchstedt! sagte der Antiquar,
über ich habe etwas andres, das Sie wahrscheinlich interessiren wird!

Nach einigem Suchen brachte er einen Folioband zum Vorschein, worin
alte Knpferstichporträts eingeklebt waren. Lauter venezianische Heerführer und
Admiräle, sagte er bedächtig; sehen Sie einmal hier -- der berühmte Giusti-
niani, der im Kampfe mit den Korsnren fiel!

Justus fuhr zurück. Hatte sich denu alles gegen ihn verschworen? Herr,
sind Sie des Teufels? schrie er, was soll ich mit dem Giustiniani?

Einrahmen lassen! entgegnete der Alte, ohne aus der Fassung zu kommen.
Es ist ein gut gestochnes Blatt, und ich weiß, daß Sie es zu würdigen wissen.
Bei diesen Worten sah er Justus so merkwürdig an, daß dieser die feste Über¬
zeugung gewann, der Antiquar müsse über das seltsame Verhältnis, in dem
er zu dem Venezianer stand, unterrichtet sein.

Schicken Sie es mir, sagte er und eilte weiter. Ach, wäre ich nur erst
wieder daheim bei ihr, dachte er, und diesen Menschen aus den Augen! Er
malte sich aus, wie behaglich es sein würde, wenn er in stillen Abendstunden
in seinem Studirsessel sitzen und ihm Leila Vortrüge über den Sprachgebrauch
der arabischem Dialekte halten würde, während sich der süße Rauch ihres Nar-
gileh mit den bläulichem Wolken seines holländischen Knasters vermischte. Den
Tag über sollte Leila in dem traulichen Halbdunkel ihres Gemachs zubringen
und mit ihren feinen Fingern irgend eine kunstvolle Arbeit anfertigen. Er aber
wollte sie hüten wie ein Cerberus, keines Menschen Auge sollte zu ihr dringen.

Aber wie war er plötzlich vor Weißleders Kaffeegarten geraten? Er mußte
in seinem Sinnen und Träumen ganz fehlgegangen sein. Da er sich aber müde
und angegriffen fühlte, so dachte er, einen Augenblick ausruhen würde ihm gut
thun. Er trat ein und wollte sich an einem der Tische niederlassen, als er
die dort sitzenden in lebhafter Unterhaltung sah und eine Äußerung hörte, die
ihn veranlaßte, erst eine Zeit lang hinter der Himbeerhecke zu verweilen, die
den Garten in zwei Hälften teilte, und dort das Gespräch der Gäste zu be¬
lauschen.

Wenn man nicht wüßte, sagte ein kleiner lebhafter Herr, daß er von früh
bis spät hinter seinen Büchern sitzt, so könnte man glauben, er sei verliebt!
Er kleidet sich auffällig und trägt sein Haar aufs beste gepudert. Heute sah
ich ihn im blauen Frack über den Markt spazieren, und er blickte so stolz, als
wäre er der Schwiegersohn des Sultans geworden.


ihn eine leidenschaftliche Sehnsucht zurückzog. Er lief, was er konnte, um
nach Hause zu kommen.

Als er beim Pnnlinum vorbeikam, fiel ihm ein, daß ihm ein Antiquar,
der dort in einem Gewölbe sein Lager hatte, vor einigen Wochen ein persisches
Liederbuch zu besorgen versprochen hatte. Das konnte er jetzt brauchen und
vielleicht abholen.

Noch nicht eingetroffen, verehrter Herr Hvchstedt! sagte der Antiquar,
über ich habe etwas andres, das Sie wahrscheinlich interessiren wird!

Nach einigem Suchen brachte er einen Folioband zum Vorschein, worin
alte Knpferstichporträts eingeklebt waren. Lauter venezianische Heerführer und
Admiräle, sagte er bedächtig; sehen Sie einmal hier — der berühmte Giusti-
niani, der im Kampfe mit den Korsnren fiel!

Justus fuhr zurück. Hatte sich denu alles gegen ihn verschworen? Herr,
sind Sie des Teufels? schrie er, was soll ich mit dem Giustiniani?

Einrahmen lassen! entgegnete der Alte, ohne aus der Fassung zu kommen.
Es ist ein gut gestochnes Blatt, und ich weiß, daß Sie es zu würdigen wissen.
Bei diesen Worten sah er Justus so merkwürdig an, daß dieser die feste Über¬
zeugung gewann, der Antiquar müsse über das seltsame Verhältnis, in dem
er zu dem Venezianer stand, unterrichtet sein.

Schicken Sie es mir, sagte er und eilte weiter. Ach, wäre ich nur erst
wieder daheim bei ihr, dachte er, und diesen Menschen aus den Augen! Er
malte sich aus, wie behaglich es sein würde, wenn er in stillen Abendstunden
in seinem Studirsessel sitzen und ihm Leila Vortrüge über den Sprachgebrauch
der arabischem Dialekte halten würde, während sich der süße Rauch ihres Nar-
gileh mit den bläulichem Wolken seines holländischen Knasters vermischte. Den
Tag über sollte Leila in dem traulichen Halbdunkel ihres Gemachs zubringen
und mit ihren feinen Fingern irgend eine kunstvolle Arbeit anfertigen. Er aber
wollte sie hüten wie ein Cerberus, keines Menschen Auge sollte zu ihr dringen.

Aber wie war er plötzlich vor Weißleders Kaffeegarten geraten? Er mußte
in seinem Sinnen und Träumen ganz fehlgegangen sein. Da er sich aber müde
und angegriffen fühlte, so dachte er, einen Augenblick ausruhen würde ihm gut
thun. Er trat ein und wollte sich an einem der Tische niederlassen, als er
die dort sitzenden in lebhafter Unterhaltung sah und eine Äußerung hörte, die
ihn veranlaßte, erst eine Zeit lang hinter der Himbeerhecke zu verweilen, die
den Garten in zwei Hälften teilte, und dort das Gespräch der Gäste zu be¬
lauschen.

Wenn man nicht wüßte, sagte ein kleiner lebhafter Herr, daß er von früh
bis spät hinter seinen Büchern sitzt, so könnte man glauben, er sei verliebt!
Er kleidet sich auffällig und trägt sein Haar aufs beste gepudert. Heute sah
ich ihn im blauen Frack über den Markt spazieren, und er blickte so stolz, als
wäre er der Schwiegersohn des Sultans geworden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/382>, abgerufen am 26.08.2024.