Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Leila die Acitzenprinzessin

schwarzen Bug des Venezianers auf uns zukommen. Am Maste flatterte die
Fahne des Evangelisten Markus mit dem geflügelten Löwen, und unter dem
Bugsprit prangte das Bild der heiligen Justina in blankem Golde. Schon
war die Galeere in unsrer nächsten Nähe; von der Kommandobrücke erscholl
ein Signal, und mit fürchterlichem Anprall drang der eiserne Schiffsschnabel
in die Planken des Korsaren. In demselben Augenblick flogen Enterbrücken
herab, und die venezianischen Matrosen überfluteten unser Deck. Während das
Schiff langsam sank, bemächtigten sie sich der ermatteten Besatzung und
schleppten, was sie von Gütern sanden, an Bord der Galeere.

Ich wurde vor den Admiral geführt, der mich erst auf Italienisch und
dann auf Türkisch nach meiner Herkunft und meinen Schicksalen fragte. Es
war ein schöner, hochgewachsener Mann, für die Würde, die er bekleidete, noch
sehr jung. Seine Augen waren blan wie die Lasursteine am Turban meines
Vaters.

Leila errötete leicht und wandte den Blick zu Boden. Nun weilt er
schon über hundert Jahre im Paradiese, fuhr sie fort, und sein Haupt, das
mir so teuer war, ruht im Schoße der Huris des Christenhimmels!

Er versprach, daß er mich nach Jaffa zurückbringen wolle, und gebot der
ganzen Schiffsmannschaft, mir mit der höchsten Ehrerbietung zu begegnen.
Auch räumte er mir die Admiralskajüte ein und bezog selbst ein enges Gelaß
im Zwischendeck des Schiffes. Abends, wenn ich auf Deck lustwandelte, ge¬
sellte er sich zu mir und erzählte mir von seiner schönen Vaterstadt, wo man
auf Kähnen durch die Straßen und zum Bazar fährt, und wo ein Sultan
regiert, den sie den Dogen nennen, und dessen Geliebte das blaue Meer ist.
Er berichtete mir auch von einem Mohren, der dort einst Admiral gewesen
sei, und der die Tochter eines Edelmanns aus lauter Liebe ermordet habe.

Wenn der Venezianer auch das Türkische uicht immer gut sprach, so
hörte ich ihm doch mit großem Vergnügen zu und konnte es kaum erwarten,
bis das Sternbild des großen Hundes am Horizont emporstieg. Denn um
diese Zeit erschien er gewöhnlich auf Deck, wo er mir ein Zelt ans Segeln
hatte Herrichten lasten. Als er merkte, daß ich an allem, was seine Heimat
betraf, Gefallen fand, versprach er mir, mich Italienisch sprechen zu lehren.
Diese Sprache gefiel mir gut, namentlich machten mir die Worte Vergnüge",
bei denen man mit den Lippen den Mund des andern berühren muß.

Justus konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als ihm Leila von dieser
sonderbaren Art des Sprachunterrichts erzählte. Doch hütete er sich, sie zu
unterbrechen.

Der Admiral hatte mich aber kaum die Buchstaben malen gelehrt, fuhr
sie fort, als ein unvorhergesehenes Ereignis unser Glück vernichtete. Unter
den Matrosen befanden sich mehrere, die, schon lange von ihrer Heimat ent¬
fernt, mit dem Entschlüsse des Admirals, noch einmal nach Jaffa zu fahren,


Leila die Acitzenprinzessin

schwarzen Bug des Venezianers auf uns zukommen. Am Maste flatterte die
Fahne des Evangelisten Markus mit dem geflügelten Löwen, und unter dem
Bugsprit prangte das Bild der heiligen Justina in blankem Golde. Schon
war die Galeere in unsrer nächsten Nähe; von der Kommandobrücke erscholl
ein Signal, und mit fürchterlichem Anprall drang der eiserne Schiffsschnabel
in die Planken des Korsaren. In demselben Augenblick flogen Enterbrücken
herab, und die venezianischen Matrosen überfluteten unser Deck. Während das
Schiff langsam sank, bemächtigten sie sich der ermatteten Besatzung und
schleppten, was sie von Gütern sanden, an Bord der Galeere.

Ich wurde vor den Admiral geführt, der mich erst auf Italienisch und
dann auf Türkisch nach meiner Herkunft und meinen Schicksalen fragte. Es
war ein schöner, hochgewachsener Mann, für die Würde, die er bekleidete, noch
sehr jung. Seine Augen waren blan wie die Lasursteine am Turban meines
Vaters.

Leila errötete leicht und wandte den Blick zu Boden. Nun weilt er
schon über hundert Jahre im Paradiese, fuhr sie fort, und sein Haupt, das
mir so teuer war, ruht im Schoße der Huris des Christenhimmels!

Er versprach, daß er mich nach Jaffa zurückbringen wolle, und gebot der
ganzen Schiffsmannschaft, mir mit der höchsten Ehrerbietung zu begegnen.
Auch räumte er mir die Admiralskajüte ein und bezog selbst ein enges Gelaß
im Zwischendeck des Schiffes. Abends, wenn ich auf Deck lustwandelte, ge¬
sellte er sich zu mir und erzählte mir von seiner schönen Vaterstadt, wo man
auf Kähnen durch die Straßen und zum Bazar fährt, und wo ein Sultan
regiert, den sie den Dogen nennen, und dessen Geliebte das blaue Meer ist.
Er berichtete mir auch von einem Mohren, der dort einst Admiral gewesen
sei, und der die Tochter eines Edelmanns aus lauter Liebe ermordet habe.

Wenn der Venezianer auch das Türkische uicht immer gut sprach, so
hörte ich ihm doch mit großem Vergnügen zu und konnte es kaum erwarten,
bis das Sternbild des großen Hundes am Horizont emporstieg. Denn um
diese Zeit erschien er gewöhnlich auf Deck, wo er mir ein Zelt ans Segeln
hatte Herrichten lasten. Als er merkte, daß ich an allem, was seine Heimat
betraf, Gefallen fand, versprach er mir, mich Italienisch sprechen zu lehren.
Diese Sprache gefiel mir gut, namentlich machten mir die Worte Vergnüge«,
bei denen man mit den Lippen den Mund des andern berühren muß.

Justus konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als ihm Leila von dieser
sonderbaren Art des Sprachunterrichts erzählte. Doch hütete er sich, sie zu
unterbrechen.

Der Admiral hatte mich aber kaum die Buchstaben malen gelehrt, fuhr
sie fort, als ein unvorhergesehenes Ereignis unser Glück vernichtete. Unter
den Matrosen befanden sich mehrere, die, schon lange von ihrer Heimat ent¬
fernt, mit dem Entschlüsse des Admirals, noch einmal nach Jaffa zu fahren,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214791"/>
          <fw type="header" place="top"> Leila die Acitzenprinzessin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1323" prev="#ID_1322"> schwarzen Bug des Venezianers auf uns zukommen. Am Maste flatterte die<lb/>
Fahne des Evangelisten Markus mit dem geflügelten Löwen, und unter dem<lb/>
Bugsprit prangte das Bild der heiligen Justina in blankem Golde. Schon<lb/>
war die Galeere in unsrer nächsten Nähe; von der Kommandobrücke erscholl<lb/>
ein Signal, und mit fürchterlichem Anprall drang der eiserne Schiffsschnabel<lb/>
in die Planken des Korsaren. In demselben Augenblick flogen Enterbrücken<lb/>
herab, und die venezianischen Matrosen überfluteten unser Deck. Während das<lb/>
Schiff langsam sank, bemächtigten sie sich der ermatteten Besatzung und<lb/>
schleppten, was sie von Gütern sanden, an Bord der Galeere.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1324"> Ich wurde vor den Admiral geführt, der mich erst auf Italienisch und<lb/>
dann auf Türkisch nach meiner Herkunft und meinen Schicksalen fragte. Es<lb/>
war ein schöner, hochgewachsener Mann, für die Würde, die er bekleidete, noch<lb/>
sehr jung. Seine Augen waren blan wie die Lasursteine am Turban meines<lb/>
Vaters.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1325"> Leila errötete leicht und wandte den Blick zu Boden. Nun weilt er<lb/>
schon über hundert Jahre im Paradiese, fuhr sie fort, und sein Haupt, das<lb/>
mir so teuer war, ruht im Schoße der Huris des Christenhimmels!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1326"> Er versprach, daß er mich nach Jaffa zurückbringen wolle, und gebot der<lb/>
ganzen Schiffsmannschaft, mir mit der höchsten Ehrerbietung zu begegnen.<lb/>
Auch räumte er mir die Admiralskajüte ein und bezog selbst ein enges Gelaß<lb/>
im Zwischendeck des Schiffes. Abends, wenn ich auf Deck lustwandelte, ge¬<lb/>
sellte er sich zu mir und erzählte mir von seiner schönen Vaterstadt, wo man<lb/>
auf Kähnen durch die Straßen und zum Bazar fährt, und wo ein Sultan<lb/>
regiert, den sie den Dogen nennen, und dessen Geliebte das blaue Meer ist.<lb/>
Er berichtete mir auch von einem Mohren, der dort einst Admiral gewesen<lb/>
sei, und der die Tochter eines Edelmanns aus lauter Liebe ermordet habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1327"> Wenn der Venezianer auch das Türkische uicht immer gut sprach, so<lb/>
hörte ich ihm doch mit großem Vergnügen zu und konnte es kaum erwarten,<lb/>
bis das Sternbild des großen Hundes am Horizont emporstieg. Denn um<lb/>
diese Zeit erschien er gewöhnlich auf Deck, wo er mir ein Zelt ans Segeln<lb/>
hatte Herrichten lasten. Als er merkte, daß ich an allem, was seine Heimat<lb/>
betraf, Gefallen fand, versprach er mir, mich Italienisch sprechen zu lehren.<lb/>
Diese Sprache gefiel mir gut, namentlich machten mir die Worte Vergnüge«,<lb/>
bei denen man mit den Lippen den Mund des andern berühren muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1328"> Justus konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als ihm Leila von dieser<lb/>
sonderbaren Art des Sprachunterrichts erzählte. Doch hütete er sich, sie zu<lb/>
unterbrechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1329" next="#ID_1330"> Der Admiral hatte mich aber kaum die Buchstaben malen gelehrt, fuhr<lb/>
sie fort, als ein unvorhergesehenes Ereignis unser Glück vernichtete. Unter<lb/>
den Matrosen befanden sich mehrere, die, schon lange von ihrer Heimat ent¬<lb/>
fernt, mit dem Entschlüsse des Admirals, noch einmal nach Jaffa zu fahren,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] Leila die Acitzenprinzessin schwarzen Bug des Venezianers auf uns zukommen. Am Maste flatterte die Fahne des Evangelisten Markus mit dem geflügelten Löwen, und unter dem Bugsprit prangte das Bild der heiligen Justina in blankem Golde. Schon war die Galeere in unsrer nächsten Nähe; von der Kommandobrücke erscholl ein Signal, und mit fürchterlichem Anprall drang der eiserne Schiffsschnabel in die Planken des Korsaren. In demselben Augenblick flogen Enterbrücken herab, und die venezianischen Matrosen überfluteten unser Deck. Während das Schiff langsam sank, bemächtigten sie sich der ermatteten Besatzung und schleppten, was sie von Gütern sanden, an Bord der Galeere. Ich wurde vor den Admiral geführt, der mich erst auf Italienisch und dann auf Türkisch nach meiner Herkunft und meinen Schicksalen fragte. Es war ein schöner, hochgewachsener Mann, für die Würde, die er bekleidete, noch sehr jung. Seine Augen waren blan wie die Lasursteine am Turban meines Vaters. Leila errötete leicht und wandte den Blick zu Boden. Nun weilt er schon über hundert Jahre im Paradiese, fuhr sie fort, und sein Haupt, das mir so teuer war, ruht im Schoße der Huris des Christenhimmels! Er versprach, daß er mich nach Jaffa zurückbringen wolle, und gebot der ganzen Schiffsmannschaft, mir mit der höchsten Ehrerbietung zu begegnen. Auch räumte er mir die Admiralskajüte ein und bezog selbst ein enges Gelaß im Zwischendeck des Schiffes. Abends, wenn ich auf Deck lustwandelte, ge¬ sellte er sich zu mir und erzählte mir von seiner schönen Vaterstadt, wo man auf Kähnen durch die Straßen und zum Bazar fährt, und wo ein Sultan regiert, den sie den Dogen nennen, und dessen Geliebte das blaue Meer ist. Er berichtete mir auch von einem Mohren, der dort einst Admiral gewesen sei, und der die Tochter eines Edelmanns aus lauter Liebe ermordet habe. Wenn der Venezianer auch das Türkische uicht immer gut sprach, so hörte ich ihm doch mit großem Vergnügen zu und konnte es kaum erwarten, bis das Sternbild des großen Hundes am Horizont emporstieg. Denn um diese Zeit erschien er gewöhnlich auf Deck, wo er mir ein Zelt ans Segeln hatte Herrichten lasten. Als er merkte, daß ich an allem, was seine Heimat betraf, Gefallen fand, versprach er mir, mich Italienisch sprechen zu lehren. Diese Sprache gefiel mir gut, namentlich machten mir die Worte Vergnüge«, bei denen man mit den Lippen den Mund des andern berühren muß. Justus konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als ihm Leila von dieser sonderbaren Art des Sprachunterrichts erzählte. Doch hütete er sich, sie zu unterbrechen. Der Admiral hatte mich aber kaum die Buchstaben malen gelehrt, fuhr sie fort, als ein unvorhergesehenes Ereignis unser Glück vernichtete. Unter den Matrosen befanden sich mehrere, die, schon lange von ihrer Heimat ent¬ fernt, mit dem Entschlüsse des Admirals, noch einmal nach Jaffa zu fahren,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/336>, abgerufen am 28.08.2024.