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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Während wir das Olties verließen, um in den unten wartenden
LnM^ zu steigen, setzte sich unsre Unterhaltung über das angeschlagne
Thema fort, und ich erfuhr zu meinem Erstaunen, daß hier jeder, Arzt oder
Kaufmann, was er auch sei, zu mehreren weltlichen und kirchlichen Gemein¬
schaften gehöre, einige sogar zu mehreren einander gegenüberstehenden. Ja es
kommt sogar vor, daß sich ein spekulativer Uankee, der es besonders gut zu
machen meint, gleich auf einmal in mehreren Kirchen "einkauft." So kam
neulich, erzählte der Kollege, einer freudestrahlend mit zwei Kirchenstuhl-
billcts nach Hause und legte sie seiner Frau ans den Tisch mit den Worten:
Da ist ein I'ovo für die katholische und hier einer für die presbyte-
rianische Kirche. Als die Frau etwas betreten war und nicht wußte, was
für ein Gesicht sie zu dieser Überraschung machen sollte, meinte er, Geschäft
sei Geschäft, katholisch oder protestantisch, das sei ganz gleich, Geschäft sei
beides, und für fein Geschäft sei es das beste, er gehöre zu beiden, dann
kämen ihm die Kunden von beiden Kirchen. Wie es endete, weiß ich nicht.
Prinzipiell wird man sich wohl dagegen verwahrt, die eingezahlten Gelder
ihm aber schwerlich zurückgegeben haben. Übrigens ist es hier mit den Gegen¬
sätzen geheimer und öffentlicher, weltlicher und kirchlicher Orden und Gemein¬
schaften nicht so etwas großes, wie Sie vielleicht mit Ihren deutschen und
europäischen Anschauungen meinen. Das Unmoralische, zu zwei einander
widersprechenden oder gar sich befehdenden Gemeinschaften zu gehören,
schrumpft sehr zusammen, wenn man bedenkt, daß schließlich bei der Gründung
aller das Geschäft das Maßgebende war.

Dr. Brand wurde unterbrochen durch die Kapriolen des Pferdes bei
dem Trommel- und Trompeten lären einer großen Prozession mit vielen Fahnen
und Bannern. Es war ein Festzug eiuer der vielen kirchlichen Kongregationen,
dem sich die Fahnen einiger Gewerken und auch einiger geheimen Orden an¬
geschlossen hatten.

Das geht dir gegen den Strich! rief er, indem er das Pferd leicht mit
der Peitsche berührte, an diesen Unsinn solltest dn dich doch endlich gewöhnt
haben. Dann schössen wir wieder dahin durch die frische Winterluft die rechts
und links mit Villen geschmückte Straße entlang auf das deutsche Hospital
zu, das rechts auf einer Höhe schon von weitem sichtbar war.

So bereit übrigens der Amerikaner ist, fuhr der Kollege fort, in alle
möglichen derartigen Korporationen einzutreten, weil sie ihm Geld bringen
können, so wenig bereit ist er, einen Cent auszugeben für kirchliche Gebräuche.
Im Anfange meiner Praxis fragte ich einmal, wann denn das Kind, das ich
behandelt hatte, getauft werden solle. Die Mutter -- es war eine Ameri¬
kanerin, deren Mann Ingenieur war, und die zu den gebildeten und bemit¬
telteren Leuten gehörte -- sah mich erstannt an und sagte: Aber Doktor,
wer läßt denn heute noch seine Kinder taufen? -- Ich glaubte, alle thäten


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Während wir das Olties verließen, um in den unten wartenden
LnM^ zu steigen, setzte sich unsre Unterhaltung über das angeschlagne
Thema fort, und ich erfuhr zu meinem Erstaunen, daß hier jeder, Arzt oder
Kaufmann, was er auch sei, zu mehreren weltlichen und kirchlichen Gemein¬
schaften gehöre, einige sogar zu mehreren einander gegenüberstehenden. Ja es
kommt sogar vor, daß sich ein spekulativer Uankee, der es besonders gut zu
machen meint, gleich auf einmal in mehreren Kirchen „einkauft." So kam
neulich, erzählte der Kollege, einer freudestrahlend mit zwei Kirchenstuhl-
billcts nach Hause und legte sie seiner Frau ans den Tisch mit den Worten:
Da ist ein I'ovo für die katholische und hier einer für die presbyte-
rianische Kirche. Als die Frau etwas betreten war und nicht wußte, was
für ein Gesicht sie zu dieser Überraschung machen sollte, meinte er, Geschäft
sei Geschäft, katholisch oder protestantisch, das sei ganz gleich, Geschäft sei
beides, und für fein Geschäft sei es das beste, er gehöre zu beiden, dann
kämen ihm die Kunden von beiden Kirchen. Wie es endete, weiß ich nicht.
Prinzipiell wird man sich wohl dagegen verwahrt, die eingezahlten Gelder
ihm aber schwerlich zurückgegeben haben. Übrigens ist es hier mit den Gegen¬
sätzen geheimer und öffentlicher, weltlicher und kirchlicher Orden und Gemein¬
schaften nicht so etwas großes, wie Sie vielleicht mit Ihren deutschen und
europäischen Anschauungen meinen. Das Unmoralische, zu zwei einander
widersprechenden oder gar sich befehdenden Gemeinschaften zu gehören,
schrumpft sehr zusammen, wenn man bedenkt, daß schließlich bei der Gründung
aller das Geschäft das Maßgebende war.

Dr. Brand wurde unterbrochen durch die Kapriolen des Pferdes bei
dem Trommel- und Trompeten lären einer großen Prozession mit vielen Fahnen
und Bannern. Es war ein Festzug eiuer der vielen kirchlichen Kongregationen,
dem sich die Fahnen einiger Gewerken und auch einiger geheimen Orden an¬
geschlossen hatten.

Das geht dir gegen den Strich! rief er, indem er das Pferd leicht mit
der Peitsche berührte, an diesen Unsinn solltest dn dich doch endlich gewöhnt
haben. Dann schössen wir wieder dahin durch die frische Winterluft die rechts
und links mit Villen geschmückte Straße entlang auf das deutsche Hospital
zu, das rechts auf einer Höhe schon von weitem sichtbar war.

So bereit übrigens der Amerikaner ist, fuhr der Kollege fort, in alle
möglichen derartigen Korporationen einzutreten, weil sie ihm Geld bringen
können, so wenig bereit ist er, einen Cent auszugeben für kirchliche Gebräuche.
Im Anfange meiner Praxis fragte ich einmal, wann denn das Kind, das ich
behandelt hatte, getauft werden solle. Die Mutter — es war eine Ameri¬
kanerin, deren Mann Ingenieur war, und die zu den gebildeten und bemit¬
telteren Leuten gehörte — sah mich erstannt an und sagte: Aber Doktor,
wer läßt denn heute noch seine Kinder taufen? — Ich glaubte, alle thäten


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[0319] Bilder aus dein IVesten Während wir das Olties verließen, um in den unten wartenden LnM^ zu steigen, setzte sich unsre Unterhaltung über das angeschlagne Thema fort, und ich erfuhr zu meinem Erstaunen, daß hier jeder, Arzt oder Kaufmann, was er auch sei, zu mehreren weltlichen und kirchlichen Gemein¬ schaften gehöre, einige sogar zu mehreren einander gegenüberstehenden. Ja es kommt sogar vor, daß sich ein spekulativer Uankee, der es besonders gut zu machen meint, gleich auf einmal in mehreren Kirchen „einkauft." So kam neulich, erzählte der Kollege, einer freudestrahlend mit zwei Kirchenstuhl- billcts nach Hause und legte sie seiner Frau ans den Tisch mit den Worten: Da ist ein I'ovo für die katholische und hier einer für die presbyte- rianische Kirche. Als die Frau etwas betreten war und nicht wußte, was für ein Gesicht sie zu dieser Überraschung machen sollte, meinte er, Geschäft sei Geschäft, katholisch oder protestantisch, das sei ganz gleich, Geschäft sei beides, und für fein Geschäft sei es das beste, er gehöre zu beiden, dann kämen ihm die Kunden von beiden Kirchen. Wie es endete, weiß ich nicht. Prinzipiell wird man sich wohl dagegen verwahrt, die eingezahlten Gelder ihm aber schwerlich zurückgegeben haben. Übrigens ist es hier mit den Gegen¬ sätzen geheimer und öffentlicher, weltlicher und kirchlicher Orden und Gemein¬ schaften nicht so etwas großes, wie Sie vielleicht mit Ihren deutschen und europäischen Anschauungen meinen. Das Unmoralische, zu zwei einander widersprechenden oder gar sich befehdenden Gemeinschaften zu gehören, schrumpft sehr zusammen, wenn man bedenkt, daß schließlich bei der Gründung aller das Geschäft das Maßgebende war. Dr. Brand wurde unterbrochen durch die Kapriolen des Pferdes bei dem Trommel- und Trompeten lären einer großen Prozession mit vielen Fahnen und Bannern. Es war ein Festzug eiuer der vielen kirchlichen Kongregationen, dem sich die Fahnen einiger Gewerken und auch einiger geheimen Orden an¬ geschlossen hatten. Das geht dir gegen den Strich! rief er, indem er das Pferd leicht mit der Peitsche berührte, an diesen Unsinn solltest dn dich doch endlich gewöhnt haben. Dann schössen wir wieder dahin durch die frische Winterluft die rechts und links mit Villen geschmückte Straße entlang auf das deutsche Hospital zu, das rechts auf einer Höhe schon von weitem sichtbar war. So bereit übrigens der Amerikaner ist, fuhr der Kollege fort, in alle möglichen derartigen Korporationen einzutreten, weil sie ihm Geld bringen können, so wenig bereit ist er, einen Cent auszugeben für kirchliche Gebräuche. Im Anfange meiner Praxis fragte ich einmal, wann denn das Kind, das ich behandelt hatte, getauft werden solle. Die Mutter — es war eine Ameri¬ kanerin, deren Mann Ingenieur war, und die zu den gebildeten und bemit¬ telteren Leuten gehörte — sah mich erstannt an und sagte: Aber Doktor, wer läßt denn heute noch seine Kinder taufen? — Ich glaubte, alle thäten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/319>, abgerufen am 26.08.2024.