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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Innere Kolonisation

Bauernstellen wird nach Besiedlung des zuletzt angekauften Rittergutes etwa
dreihundert betragen. "Ist es demnach zwar unrichtig, wenn man behauptet
hat, im Kreise Kolberg seien bereits ebenso viele Ansiedlungen ins Leben ge¬
rufen, wie Vonseiten der Ansiedlungskommission in Posen und Westpreußen,
so liegt hier immerhin ein Unternehmen vor, das wegen seiner sozialen Be¬
deutung Beachtung verdient. Es erscheint als ein höchst bemerkenswertes An¬
zeichen für die Lage der Landwirtschaft im Osten und das veränderte Ver¬
hältnis des kleinen zum großen Grundbesitz, wenn mehrere hundert Tagelöhner
und Bauernsöhne in ein und demselben Bezirk ein Dutzend Rittergüter aus¬
laufen und daraus einige hundert neue leistungsfähige Produktionsstätten bilden
konnten, ohne jede andre Förderung, als die eines geschickten Geschäftsmannes,
und ohne andre finanzielle Unterstützung, als die des privaten Kredits, dem
erst im letzten Jahre der Kredit der Rentenbank zur Seite getreten ist." Der
Unternehmer, ein Kolberger Kapitalist, der Sohn eines Getreidehändlers und
auf dem Dorfe aufgewachsen, verfährt zwar durchaus ehrlich -- Gering ist
von Haus zu Haus gegangen und hat bei den Kolonisten keinerlei Beschwerde
vernommen; nur von einem der Verkäufer sind ihm ernsthafte Klagen zu Ohren
gekommen --, aber er verdient doch mehr Geld dabei, als eigentlich nötig wäre,
und in mehr als einer Beziehung ließe sich das Verfahren verbessern; ein
Hauptfehler liegt darin, daß keine Gemeindelündereien, keine Schul- und Kirch¬
äcker abgesondert werden. Von den kleinern und ärmern Kolonisten -- das
gilt auch für anderwärts -- Plagen sich viele nur für die Gläubiger und leben
bedeutend schlechter als früher, wo sie noch Tagelöhner waren. Ob sie sich
halten können, das hängt von den Konjunkturen ab. Sie dürfen kein Unglück
mit Vieh haben, und die Preise für Getreide müssen mäßig sein, die für Fleisch,
Milch und Butter hoch stehen. Vortrefflich gedeihen die Restgüter; es ist also
die größte Wohlthat sür den verschuldeten Rittergutsbesitzer, wenn ihn jemand
um drei Viertel seines übergroßen Grundbesitzes erleichtert.

In dem Kapitel über die Thätigkeit der Ansiedlungskommission in Posen
und Westpreußen wird ein Umstand erwähnt, den wir schon vor drei Jahren
hervorgehoben haben, daß sie nämlich den Boden unnötig verteuert. Wenn
ein Käufer mit hundert Millionen bar auf den Markt tritt, von dem jeder¬
mann weiß, daß er unbedingt kaufen will und muß, so halten die Verkäufer
natürlich so lange zurück, bis er ein Angebot macht, das ihnen paßt. Dazu
kommt, daß der politische Zweck, dem der wirtschaftliche untergeordnet wurde,
die Annahme deutscher Rittergüter ausschloß, und daß sich die polnischen, auf
die es abgesehen war, meistens in schlechtem Zustande befanden, sodaß die An¬
siedler nicht bloß teuern,") sondern auch verwahrlosten Boden bekommen haben.



*) Freilich werden die Ansiedler selbst nicht verteuert, aber der Fiskus, d. h. die Ge¬
samtheit der preußischen Steuerzahler, trügt den Schaden-
Innere Kolonisation

Bauernstellen wird nach Besiedlung des zuletzt angekauften Rittergutes etwa
dreihundert betragen. „Ist es demnach zwar unrichtig, wenn man behauptet
hat, im Kreise Kolberg seien bereits ebenso viele Ansiedlungen ins Leben ge¬
rufen, wie Vonseiten der Ansiedlungskommission in Posen und Westpreußen,
so liegt hier immerhin ein Unternehmen vor, das wegen seiner sozialen Be¬
deutung Beachtung verdient. Es erscheint als ein höchst bemerkenswertes An¬
zeichen für die Lage der Landwirtschaft im Osten und das veränderte Ver¬
hältnis des kleinen zum großen Grundbesitz, wenn mehrere hundert Tagelöhner
und Bauernsöhne in ein und demselben Bezirk ein Dutzend Rittergüter aus¬
laufen und daraus einige hundert neue leistungsfähige Produktionsstätten bilden
konnten, ohne jede andre Förderung, als die eines geschickten Geschäftsmannes,
und ohne andre finanzielle Unterstützung, als die des privaten Kredits, dem
erst im letzten Jahre der Kredit der Rentenbank zur Seite getreten ist." Der
Unternehmer, ein Kolberger Kapitalist, der Sohn eines Getreidehändlers und
auf dem Dorfe aufgewachsen, verfährt zwar durchaus ehrlich — Gering ist
von Haus zu Haus gegangen und hat bei den Kolonisten keinerlei Beschwerde
vernommen; nur von einem der Verkäufer sind ihm ernsthafte Klagen zu Ohren
gekommen —, aber er verdient doch mehr Geld dabei, als eigentlich nötig wäre,
und in mehr als einer Beziehung ließe sich das Verfahren verbessern; ein
Hauptfehler liegt darin, daß keine Gemeindelündereien, keine Schul- und Kirch¬
äcker abgesondert werden. Von den kleinern und ärmern Kolonisten — das
gilt auch für anderwärts — Plagen sich viele nur für die Gläubiger und leben
bedeutend schlechter als früher, wo sie noch Tagelöhner waren. Ob sie sich
halten können, das hängt von den Konjunkturen ab. Sie dürfen kein Unglück
mit Vieh haben, und die Preise für Getreide müssen mäßig sein, die für Fleisch,
Milch und Butter hoch stehen. Vortrefflich gedeihen die Restgüter; es ist also
die größte Wohlthat sür den verschuldeten Rittergutsbesitzer, wenn ihn jemand
um drei Viertel seines übergroßen Grundbesitzes erleichtert.

In dem Kapitel über die Thätigkeit der Ansiedlungskommission in Posen
und Westpreußen wird ein Umstand erwähnt, den wir schon vor drei Jahren
hervorgehoben haben, daß sie nämlich den Boden unnötig verteuert. Wenn
ein Käufer mit hundert Millionen bar auf den Markt tritt, von dem jeder¬
mann weiß, daß er unbedingt kaufen will und muß, so halten die Verkäufer
natürlich so lange zurück, bis er ein Angebot macht, das ihnen paßt. Dazu
kommt, daß der politische Zweck, dem der wirtschaftliche untergeordnet wurde,
die Annahme deutscher Rittergüter ausschloß, und daß sich die polnischen, auf
die es abgesehen war, meistens in schlechtem Zustande befanden, sodaß die An¬
siedler nicht bloß teuern,") sondern auch verwahrlosten Boden bekommen haben.



*) Freilich werden die Ansiedler selbst nicht verteuert, aber der Fiskus, d. h. die Ge¬
samtheit der preußischen Steuerzahler, trügt den Schaden-
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[0308] Innere Kolonisation Bauernstellen wird nach Besiedlung des zuletzt angekauften Rittergutes etwa dreihundert betragen. „Ist es demnach zwar unrichtig, wenn man behauptet hat, im Kreise Kolberg seien bereits ebenso viele Ansiedlungen ins Leben ge¬ rufen, wie Vonseiten der Ansiedlungskommission in Posen und Westpreußen, so liegt hier immerhin ein Unternehmen vor, das wegen seiner sozialen Be¬ deutung Beachtung verdient. Es erscheint als ein höchst bemerkenswertes An¬ zeichen für die Lage der Landwirtschaft im Osten und das veränderte Ver¬ hältnis des kleinen zum großen Grundbesitz, wenn mehrere hundert Tagelöhner und Bauernsöhne in ein und demselben Bezirk ein Dutzend Rittergüter aus¬ laufen und daraus einige hundert neue leistungsfähige Produktionsstätten bilden konnten, ohne jede andre Förderung, als die eines geschickten Geschäftsmannes, und ohne andre finanzielle Unterstützung, als die des privaten Kredits, dem erst im letzten Jahre der Kredit der Rentenbank zur Seite getreten ist." Der Unternehmer, ein Kolberger Kapitalist, der Sohn eines Getreidehändlers und auf dem Dorfe aufgewachsen, verfährt zwar durchaus ehrlich — Gering ist von Haus zu Haus gegangen und hat bei den Kolonisten keinerlei Beschwerde vernommen; nur von einem der Verkäufer sind ihm ernsthafte Klagen zu Ohren gekommen —, aber er verdient doch mehr Geld dabei, als eigentlich nötig wäre, und in mehr als einer Beziehung ließe sich das Verfahren verbessern; ein Hauptfehler liegt darin, daß keine Gemeindelündereien, keine Schul- und Kirch¬ äcker abgesondert werden. Von den kleinern und ärmern Kolonisten — das gilt auch für anderwärts — Plagen sich viele nur für die Gläubiger und leben bedeutend schlechter als früher, wo sie noch Tagelöhner waren. Ob sie sich halten können, das hängt von den Konjunkturen ab. Sie dürfen kein Unglück mit Vieh haben, und die Preise für Getreide müssen mäßig sein, die für Fleisch, Milch und Butter hoch stehen. Vortrefflich gedeihen die Restgüter; es ist also die größte Wohlthat sür den verschuldeten Rittergutsbesitzer, wenn ihn jemand um drei Viertel seines übergroßen Grundbesitzes erleichtert. In dem Kapitel über die Thätigkeit der Ansiedlungskommission in Posen und Westpreußen wird ein Umstand erwähnt, den wir schon vor drei Jahren hervorgehoben haben, daß sie nämlich den Boden unnötig verteuert. Wenn ein Käufer mit hundert Millionen bar auf den Markt tritt, von dem jeder¬ mann weiß, daß er unbedingt kaufen will und muß, so halten die Verkäufer natürlich so lange zurück, bis er ein Angebot macht, das ihnen paßt. Dazu kommt, daß der politische Zweck, dem der wirtschaftliche untergeordnet wurde, die Annahme deutscher Rittergüter ausschloß, und daß sich die polnischen, auf die es abgesehen war, meistens in schlechtem Zustande befanden, sodaß die An¬ siedler nicht bloß teuern,") sondern auch verwahrlosten Boden bekommen haben. *) Freilich werden die Ansiedler selbst nicht verteuert, aber der Fiskus, d. h. die Ge¬ samtheit der preußischen Steuerzahler, trügt den Schaden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/308>, abgerufen am 26.08.2024.