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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Innere Kolonisation

industriereichen Städten oder bedeutenden Waldungen zu rechnen. Aber die
in den Zeiten der landwirtschaftlichen Krisis keineswegs seltnen und nach Lage
der preußischen Gesetzgebung leider nicht zu hindernden Verwüstungen von
Forsten haben diese Arbeitsgelegenheit vielfach beschnitten. Gerade das Schwinden
des Winterverdicnstes hat auch aus großen Vauerndörfern viele Kleinstellen-
besitzer mit den Ihrigen zur Auswanderung oder Sachsengängerei getrieben.
Eine gewisse Konkurrenz um den Arbeiter ist notwendig, wenn die Löhne nicht
sofort durch die Seßhaftmachnng gedrückt werden sollen. Große Güter sind
unter allen Umständen am besten situirt, wenn sie zwischen wohlhabenden und
volkreichen Gemeinden liegen. Unzweifelhaft werden auch die Kinder der selb¬
ständigen Kolonisten keine Scheu tragen, als Gutsarbeiter thätig zu sein, wenn
sie damit in einen aussichtsreichen, emporsteigenden Stand eintreten. Das
Maß der Geneigtheit zum Dienste auf dem Gute wird freilich wesentlich von
der Art der Behandlung und jder!) Verkehrsformen abhängen, die auf dem
Gute üblich sind. Es wird eine der besten Segnungen der Kolonisation im
Osten sein, wenn sie mit der größern Ausgleichung der Vesitzunterschiede den
unter unsern Gebildeten so weit verbreiteten Klassenhochmnt zu beseitigen hilft,
der in den jahrhundertealten Klassengegensätzen der ostelbischen Gebiete seine
Hauptwnrzel hat."

Die bisher betrachteten gehörten in die Klasse der Arbeiterkolonien. Bauern¬
kolonien sind in den dreißiger und vierziger Jahren vom Domüuenfiskus auf
einigen seiner Güter in Neuvorpommern und Rügen gegründet worden, aber
verunglückt. Auch die in den Jahren 1875 und 1876 gegründeten vier Bauern¬
kolonien sind uicht besonders gut ausgefallen. "Durch die Sombartsche und
Rimplersche Kritik des zu jener Zeit eingeschlagnen Ansiedlnngsverfahrens ist
in allen sachverständigen Kreisen zur Anerkennung gelangt, was sich in den
großen Kolonialgebieten Nordamerikas längst herausgestellt hat, wie falsch es
ist, wenn man die künftigen Heimstätten -- oder gar die Äcker und Wiesen
getrennt! -- wie Kaffeesäcke öffentlich versteigert und dem spekulativen Güter¬
handel zugänglich macht, wenn man die Kolonisten gleichzeitig durch ungeeignete
Zahlungsbedingungen zwingt, bei Privatgläubigern teuern und stets kündbaren
Kredit zu suchen." Drei davon hat Sombart besucht, und er beschreibt ein¬
gehend ihren Zustand. "Die Kolonisation der Zukunft -- heißt es dann weiter --
ist die auf Privatgütern unter mehr oder minder eingreifender Vermittlung der
Generalkommissionen. Hier ist die bestgelungne der mir bekannt gewordnen
privaten Kolonisationen zu besprechen; sie bietet hauptsächlich aus dein Gesichts¬
punkte Interesse, daß sie erkennen läßt, wie sich die private und die öffent¬
liche Thätigkeit im Ansiedlttngswesen gegenseitig nützlich ergänzen können, und
an welchen Punkten die staatliche Kontrolle den privaten Eigennutz vor allem
zu beschränken haben wird." Gemeine ist die großartige Kolonisation in dem
hinterpommerschen Kreise Kolberg-Körlin. Die Zahl der dort neugegründeten


Innere Kolonisation

industriereichen Städten oder bedeutenden Waldungen zu rechnen. Aber die
in den Zeiten der landwirtschaftlichen Krisis keineswegs seltnen und nach Lage
der preußischen Gesetzgebung leider nicht zu hindernden Verwüstungen von
Forsten haben diese Arbeitsgelegenheit vielfach beschnitten. Gerade das Schwinden
des Winterverdicnstes hat auch aus großen Vauerndörfern viele Kleinstellen-
besitzer mit den Ihrigen zur Auswanderung oder Sachsengängerei getrieben.
Eine gewisse Konkurrenz um den Arbeiter ist notwendig, wenn die Löhne nicht
sofort durch die Seßhaftmachnng gedrückt werden sollen. Große Güter sind
unter allen Umständen am besten situirt, wenn sie zwischen wohlhabenden und
volkreichen Gemeinden liegen. Unzweifelhaft werden auch die Kinder der selb¬
ständigen Kolonisten keine Scheu tragen, als Gutsarbeiter thätig zu sein, wenn
sie damit in einen aussichtsreichen, emporsteigenden Stand eintreten. Das
Maß der Geneigtheit zum Dienste auf dem Gute wird freilich wesentlich von
der Art der Behandlung und jder!) Verkehrsformen abhängen, die auf dem
Gute üblich sind. Es wird eine der besten Segnungen der Kolonisation im
Osten sein, wenn sie mit der größern Ausgleichung der Vesitzunterschiede den
unter unsern Gebildeten so weit verbreiteten Klassenhochmnt zu beseitigen hilft,
der in den jahrhundertealten Klassengegensätzen der ostelbischen Gebiete seine
Hauptwnrzel hat."

Die bisher betrachteten gehörten in die Klasse der Arbeiterkolonien. Bauern¬
kolonien sind in den dreißiger und vierziger Jahren vom Domüuenfiskus auf
einigen seiner Güter in Neuvorpommern und Rügen gegründet worden, aber
verunglückt. Auch die in den Jahren 1875 und 1876 gegründeten vier Bauern¬
kolonien sind uicht besonders gut ausgefallen. „Durch die Sombartsche und
Rimplersche Kritik des zu jener Zeit eingeschlagnen Ansiedlnngsverfahrens ist
in allen sachverständigen Kreisen zur Anerkennung gelangt, was sich in den
großen Kolonialgebieten Nordamerikas längst herausgestellt hat, wie falsch es
ist, wenn man die künftigen Heimstätten — oder gar die Äcker und Wiesen
getrennt! — wie Kaffeesäcke öffentlich versteigert und dem spekulativen Güter¬
handel zugänglich macht, wenn man die Kolonisten gleichzeitig durch ungeeignete
Zahlungsbedingungen zwingt, bei Privatgläubigern teuern und stets kündbaren
Kredit zu suchen." Drei davon hat Sombart besucht, und er beschreibt ein¬
gehend ihren Zustand. „Die Kolonisation der Zukunft — heißt es dann weiter —
ist die auf Privatgütern unter mehr oder minder eingreifender Vermittlung der
Generalkommissionen. Hier ist die bestgelungne der mir bekannt gewordnen
privaten Kolonisationen zu besprechen; sie bietet hauptsächlich aus dein Gesichts¬
punkte Interesse, daß sie erkennen läßt, wie sich die private und die öffent¬
liche Thätigkeit im Ansiedlttngswesen gegenseitig nützlich ergänzen können, und
an welchen Punkten die staatliche Kontrolle den privaten Eigennutz vor allem
zu beschränken haben wird." Gemeine ist die großartige Kolonisation in dem
hinterpommerschen Kreise Kolberg-Körlin. Die Zahl der dort neugegründeten


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[0307] Innere Kolonisation industriereichen Städten oder bedeutenden Waldungen zu rechnen. Aber die in den Zeiten der landwirtschaftlichen Krisis keineswegs seltnen und nach Lage der preußischen Gesetzgebung leider nicht zu hindernden Verwüstungen von Forsten haben diese Arbeitsgelegenheit vielfach beschnitten. Gerade das Schwinden des Winterverdicnstes hat auch aus großen Vauerndörfern viele Kleinstellen- besitzer mit den Ihrigen zur Auswanderung oder Sachsengängerei getrieben. Eine gewisse Konkurrenz um den Arbeiter ist notwendig, wenn die Löhne nicht sofort durch die Seßhaftmachnng gedrückt werden sollen. Große Güter sind unter allen Umständen am besten situirt, wenn sie zwischen wohlhabenden und volkreichen Gemeinden liegen. Unzweifelhaft werden auch die Kinder der selb¬ ständigen Kolonisten keine Scheu tragen, als Gutsarbeiter thätig zu sein, wenn sie damit in einen aussichtsreichen, emporsteigenden Stand eintreten. Das Maß der Geneigtheit zum Dienste auf dem Gute wird freilich wesentlich von der Art der Behandlung und jder!) Verkehrsformen abhängen, die auf dem Gute üblich sind. Es wird eine der besten Segnungen der Kolonisation im Osten sein, wenn sie mit der größern Ausgleichung der Vesitzunterschiede den unter unsern Gebildeten so weit verbreiteten Klassenhochmnt zu beseitigen hilft, der in den jahrhundertealten Klassengegensätzen der ostelbischen Gebiete seine Hauptwnrzel hat." Die bisher betrachteten gehörten in die Klasse der Arbeiterkolonien. Bauern¬ kolonien sind in den dreißiger und vierziger Jahren vom Domüuenfiskus auf einigen seiner Güter in Neuvorpommern und Rügen gegründet worden, aber verunglückt. Auch die in den Jahren 1875 und 1876 gegründeten vier Bauern¬ kolonien sind uicht besonders gut ausgefallen. „Durch die Sombartsche und Rimplersche Kritik des zu jener Zeit eingeschlagnen Ansiedlnngsverfahrens ist in allen sachverständigen Kreisen zur Anerkennung gelangt, was sich in den großen Kolonialgebieten Nordamerikas längst herausgestellt hat, wie falsch es ist, wenn man die künftigen Heimstätten — oder gar die Äcker und Wiesen getrennt! — wie Kaffeesäcke öffentlich versteigert und dem spekulativen Güter¬ handel zugänglich macht, wenn man die Kolonisten gleichzeitig durch ungeeignete Zahlungsbedingungen zwingt, bei Privatgläubigern teuern und stets kündbaren Kredit zu suchen." Drei davon hat Sombart besucht, und er beschreibt ein¬ gehend ihren Zustand. „Die Kolonisation der Zukunft — heißt es dann weiter — ist die auf Privatgütern unter mehr oder minder eingreifender Vermittlung der Generalkommissionen. Hier ist die bestgelungne der mir bekannt gewordnen privaten Kolonisationen zu besprechen; sie bietet hauptsächlich aus dein Gesichts¬ punkte Interesse, daß sie erkennen läßt, wie sich die private und die öffent¬ liche Thätigkeit im Ansiedlttngswesen gegenseitig nützlich ergänzen können, und an welchen Punkten die staatliche Kontrolle den privaten Eigennutz vor allem zu beschränken haben wird." Gemeine ist die großartige Kolonisation in dem hinterpommerschen Kreise Kolberg-Körlin. Die Zahl der dort neugegründeten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/307>, abgerufen am 05.02.2025.