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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Ritterschaftlichen stundenweit kein einziges Dorf -- an ihrer Stelle herr¬
schaftliche Wohnhäuser und Parks, daneben große Wirtschaftsgebäude und
Kater der Gutstagelöhner. Die Bahnhöfe siud selbst Sonntags fast menschen¬
leer; wer da ein- und aussteigt, sdas^I sind Gutsbesitzer, Diener in Livree und
Passagiere der vierten Klasse. Die ganz vereinzelt in Gruppen von zwei bis
fünf wie verloren stehenden Vauerngehöfte bilden niemals eine Gemeinde; ihre
Inhaber sind, wie man versichert, und wie nicht zu verwundern ist, selten
fleißige und tüchtige Wirte. Im Domanium aber erfreut der Anblick der
zahlreichen, regelmäßig zehn bis fünfundzwanzig Gehöfte umfassenden, wohl¬
habenden Dorfschaften. Seit 1869 bilden sie selbständige Gemeinden; ihre
früher bei unsicheren Besitz und starker Bevormundung recht zurückgebliebne
Wirtschaft fängt neuerdings an, sich den modernen Anforderungen allmählich
anzupassen." Bekanntlich fehlt es gerade den mecklenburgischen Ritterguts¬
besitzern am allermeisten an Arbeitern, wie es sich ja bei ihrer das Land ent¬
völkernden Agrarpolitik von selbst versteht; aber wo die Rittergüter an Vcmern-
dörfer des Domcmiums grenzen, die mit Büdner- und Hänslerstellen durch¬
setzt siud, da haben sie über Arbeitermangel nicht zu klagen.

"Ländliche Anwesen -- folgert aus alledem der Verfasser--, die zur Ernährung
und Beschäftigung ihrer Eigentümer nicht ausreichen, sind der Regel nach nur
da lebensfähig und geeignet, die Arbeiter wirtschaftlich und gesellschaftlich zu
heben, wo 1. die Zahl solcher Stellen im Verhältnis zu den vorhandnen Er¬
werbsgelegenheiten nicht zu groß und eine Auswahl zwischen den verschiednen
Arbeitgebern vorhanden ist; 2. die Größe der Stellen darauf berechnet ist,
daß sie im wesentlichen von Frau und Kindern bewirtschaftet werden können,
den Manu aber nicht hindern, seine Hauptkraft der Lohnarbeit zu widmen;
3. die grundbesitzenden Arbeiter Glieder von Landgemeinden bilden, deren Kern
ans selbständigen bäuerlichen Nahrungen besteht. Bei der Frage der Arbeits¬
gelegenheit kommt im Osten namentlich die Schwierigkeit in Betracht, genügende
Winterarbeit zu beschaffe". Die Klage ist dort sehr häufig, daß sich die Lage
der ansässigen freien Tagelöhner fortwährend verschlechtere durch die Aus¬
breitung des Maschineudrnsches. Früher hatten die Tagelöhner beim Dreschen
mit dem Flegel den ganzen Winter hindurch zu thun. Jetzt wird schon im
Herbst die Ernte ausgedrvscheu;") den Arbeitern bleibt dann während der
kalten Jahreszeit oft gar keine Beschäftigung. Im allgemeinen ist heute auf
ausreichendes Auskomme" der Kleingütler im Winter nur in der Nähe von



Eine andre Wirkung des Mnschinendrusches ist, wie jüngst ein Landwirt, wenn wir
uns recht erinnern, Herr Sombart, im Reichstage bemerkte, daß jetzt im Herbste die Getreide¬
preise stärker fallen, als sie sonst unter übrigens gleichen Umständen zu fallen pflegten.
Während ehedem das Getreide den Winter über nur nach und nach verkauft werden konnte,
werfen jetzt, wo das AuLdreschen in wenigen Wochen vollendet ist, die Gutsbesitzer um Martini
herum ungeheure Massen auf den Markt.
Grenzboten II 1893 W

Ritterschaftlichen stundenweit kein einziges Dorf — an ihrer Stelle herr¬
schaftliche Wohnhäuser und Parks, daneben große Wirtschaftsgebäude und
Kater der Gutstagelöhner. Die Bahnhöfe siud selbst Sonntags fast menschen¬
leer; wer da ein- und aussteigt, sdas^I sind Gutsbesitzer, Diener in Livree und
Passagiere der vierten Klasse. Die ganz vereinzelt in Gruppen von zwei bis
fünf wie verloren stehenden Vauerngehöfte bilden niemals eine Gemeinde; ihre
Inhaber sind, wie man versichert, und wie nicht zu verwundern ist, selten
fleißige und tüchtige Wirte. Im Domanium aber erfreut der Anblick der
zahlreichen, regelmäßig zehn bis fünfundzwanzig Gehöfte umfassenden, wohl¬
habenden Dorfschaften. Seit 1869 bilden sie selbständige Gemeinden; ihre
früher bei unsicheren Besitz und starker Bevormundung recht zurückgebliebne
Wirtschaft fängt neuerdings an, sich den modernen Anforderungen allmählich
anzupassen." Bekanntlich fehlt es gerade den mecklenburgischen Ritterguts¬
besitzern am allermeisten an Arbeitern, wie es sich ja bei ihrer das Land ent¬
völkernden Agrarpolitik von selbst versteht; aber wo die Rittergüter an Vcmern-
dörfer des Domcmiums grenzen, die mit Büdner- und Hänslerstellen durch¬
setzt siud, da haben sie über Arbeitermangel nicht zu klagen.

„Ländliche Anwesen — folgert aus alledem der Verfasser—, die zur Ernährung
und Beschäftigung ihrer Eigentümer nicht ausreichen, sind der Regel nach nur
da lebensfähig und geeignet, die Arbeiter wirtschaftlich und gesellschaftlich zu
heben, wo 1. die Zahl solcher Stellen im Verhältnis zu den vorhandnen Er¬
werbsgelegenheiten nicht zu groß und eine Auswahl zwischen den verschiednen
Arbeitgebern vorhanden ist; 2. die Größe der Stellen darauf berechnet ist,
daß sie im wesentlichen von Frau und Kindern bewirtschaftet werden können,
den Manu aber nicht hindern, seine Hauptkraft der Lohnarbeit zu widmen;
3. die grundbesitzenden Arbeiter Glieder von Landgemeinden bilden, deren Kern
ans selbständigen bäuerlichen Nahrungen besteht. Bei der Frage der Arbeits¬
gelegenheit kommt im Osten namentlich die Schwierigkeit in Betracht, genügende
Winterarbeit zu beschaffe». Die Klage ist dort sehr häufig, daß sich die Lage
der ansässigen freien Tagelöhner fortwährend verschlechtere durch die Aus¬
breitung des Maschineudrnsches. Früher hatten die Tagelöhner beim Dreschen
mit dem Flegel den ganzen Winter hindurch zu thun. Jetzt wird schon im
Herbst die Ernte ausgedrvscheu;") den Arbeitern bleibt dann während der
kalten Jahreszeit oft gar keine Beschäftigung. Im allgemeinen ist heute auf
ausreichendes Auskomme» der Kleingütler im Winter nur in der Nähe von



Eine andre Wirkung des Mnschinendrusches ist, wie jüngst ein Landwirt, wenn wir
uns recht erinnern, Herr Sombart, im Reichstage bemerkte, daß jetzt im Herbste die Getreide¬
preise stärker fallen, als sie sonst unter übrigens gleichen Umständen zu fallen pflegten.
Während ehedem das Getreide den Winter über nur nach und nach verkauft werden konnte,
werfen jetzt, wo das AuLdreschen in wenigen Wochen vollendet ist, die Gutsbesitzer um Martini
herum ungeheure Massen auf den Markt.
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[0306] Ritterschaftlichen stundenweit kein einziges Dorf — an ihrer Stelle herr¬ schaftliche Wohnhäuser und Parks, daneben große Wirtschaftsgebäude und Kater der Gutstagelöhner. Die Bahnhöfe siud selbst Sonntags fast menschen¬ leer; wer da ein- und aussteigt, sdas^I sind Gutsbesitzer, Diener in Livree und Passagiere der vierten Klasse. Die ganz vereinzelt in Gruppen von zwei bis fünf wie verloren stehenden Vauerngehöfte bilden niemals eine Gemeinde; ihre Inhaber sind, wie man versichert, und wie nicht zu verwundern ist, selten fleißige und tüchtige Wirte. Im Domanium aber erfreut der Anblick der zahlreichen, regelmäßig zehn bis fünfundzwanzig Gehöfte umfassenden, wohl¬ habenden Dorfschaften. Seit 1869 bilden sie selbständige Gemeinden; ihre früher bei unsicheren Besitz und starker Bevormundung recht zurückgebliebne Wirtschaft fängt neuerdings an, sich den modernen Anforderungen allmählich anzupassen." Bekanntlich fehlt es gerade den mecklenburgischen Ritterguts¬ besitzern am allermeisten an Arbeitern, wie es sich ja bei ihrer das Land ent¬ völkernden Agrarpolitik von selbst versteht; aber wo die Rittergüter an Vcmern- dörfer des Domcmiums grenzen, die mit Büdner- und Hänslerstellen durch¬ setzt siud, da haben sie über Arbeitermangel nicht zu klagen. „Ländliche Anwesen — folgert aus alledem der Verfasser—, die zur Ernährung und Beschäftigung ihrer Eigentümer nicht ausreichen, sind der Regel nach nur da lebensfähig und geeignet, die Arbeiter wirtschaftlich und gesellschaftlich zu heben, wo 1. die Zahl solcher Stellen im Verhältnis zu den vorhandnen Er¬ werbsgelegenheiten nicht zu groß und eine Auswahl zwischen den verschiednen Arbeitgebern vorhanden ist; 2. die Größe der Stellen darauf berechnet ist, daß sie im wesentlichen von Frau und Kindern bewirtschaftet werden können, den Manu aber nicht hindern, seine Hauptkraft der Lohnarbeit zu widmen; 3. die grundbesitzenden Arbeiter Glieder von Landgemeinden bilden, deren Kern ans selbständigen bäuerlichen Nahrungen besteht. Bei der Frage der Arbeits¬ gelegenheit kommt im Osten namentlich die Schwierigkeit in Betracht, genügende Winterarbeit zu beschaffe». Die Klage ist dort sehr häufig, daß sich die Lage der ansässigen freien Tagelöhner fortwährend verschlechtere durch die Aus¬ breitung des Maschineudrnsches. Früher hatten die Tagelöhner beim Dreschen mit dem Flegel den ganzen Winter hindurch zu thun. Jetzt wird schon im Herbst die Ernte ausgedrvscheu;") den Arbeitern bleibt dann während der kalten Jahreszeit oft gar keine Beschäftigung. Im allgemeinen ist heute auf ausreichendes Auskomme» der Kleingütler im Winter nur in der Nähe von Eine andre Wirkung des Mnschinendrusches ist, wie jüngst ein Landwirt, wenn wir uns recht erinnern, Herr Sombart, im Reichstage bemerkte, daß jetzt im Herbste die Getreide¬ preise stärker fallen, als sie sonst unter übrigens gleichen Umständen zu fallen pflegten. Während ehedem das Getreide den Winter über nur nach und nach verkauft werden konnte, werfen jetzt, wo das AuLdreschen in wenigen Wochen vollendet ist, die Gutsbesitzer um Martini herum ungeheure Massen auf den Markt. Grenzboten II 1893 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/306>, abgerufen am 03.07.2024.