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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Innere Aolonisation

daß diese in thatsächlicher Hörigkeit an ihn gebunden sind. Der ist nun mit
dem Erfolg seiner Gründung sehr zufrieden. Allerdings gesteht er ein, daß
seine Justleute, weil sie besser genährt sind, in der Arbeit mehr leisten als die
Pächter, die nur dadurch deu Pacht erschwingen könnten, daß sie "sich durch¬
hungerten," was Polen besser fertig brächten als Deutsche.

Sodann werden Kolonien in Pommern und Westpreußen geschildert, die
nicht zu dein Zwecke gegründet worden sind, dem Gute Arbeiter zu sichern,
sondern weil es das einzige Mittel war, Grundstücke zu verwerten, die zu
veräußern die Not zwang. Ähnlich wie bei vielen von den Kolonien, die unter
Friedrich dem Großen augelegt worden sind, verläuft hier die Sache je nach
äußern Umständen und dem Charakter der Kolonisten ans dreierlei Weise.
Entweder die Leute überwinden die ursprüngliche" Schwierigkeiten, und es
werden wie in dem oben erwähnten Falle aus den Kolonien schließlich Bauern-
dörfer. Oder die Leute schleppen sich kümmerlich, aber ehrlich durch, indem sie
die Kanfgelderzinsen nicht vom Ertrage ihrer kleinen Grundstücke, sondern vom
Nebenverdienst zahlen; solche Arbeiterkolonien drücken den Arbeitslohn im
ganzen Umkreise. Oder es werden Räuber- und Spitzbubeuuester daraus. Es
drängt sich, heißt es in einer Schlußbetrachtung, die Erwägung auf, "daß
das Gedeihen einer Kolonie, wie aller andern menschlichen Institutionen, nicht
nur von den äußern Bedingungen, sondern in gleich hohem Maße von den
Menschen selbst abhängt, die daraus Lebendiges gestalten sollen. Gewiß haben
die Wirtschaftsbedingungen einen bedeutenden Einfluß auf die Menschen und
ihre Charakterentwicklung. Aber der innere Gehalt, den sie in die neuen Ver¬
hältnisse mitbringen, bildet unter allen Umständen die erste Voraussetzung des
wirtschaftlichen Gelingens."

Den Ansiedlungen solcher Halbproletarier wird das Gedeihen schon da¬
durch erschwert, daß es darin ganz an dem belebenden Geiste, an auf¬
munternden Vorbildern, an erstrebenswerten Zielen, an Einflüssen höherer
Bildung fehlt. So verfallen sie der Verkümmerung. Weit besser wird den
angesiedelten Arbeitern das Fortkommen dort gesichert, wo sie zwischen Bauern¬
güter eingestreut und der Bailerngemeinde eingegliedert werden. Dies ist mit
gutem Erfolg seit dein vorigen Jahrhundert in Mecklenburg geschehen, wo die
Regierung aus verödeten Bauernhöfen und überschüssige"! Bauernbusen nach
und nach über 7000 Büdnereien (zu durchschnittlich 2000 Quadratruten ^-
4,Z4 Hektaren) und eine Menge Häuslerstellen zu 15 bis 25 Quadratruteu
gebildet hat. Selbstverständlich auf Domauialland, denn im ritterschaftlichen
Anteil, der mit den Klostergütern 47 Prozent der Gesamtfläche umfaßt, ist
die Bauernschaft beinahe vernichtet worden. Die Zahl der Bauernhöfe ist dort
im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte von 12 000 auf 1230 herunterge¬
bracht worden, deren Wirte noch dazu nicht Besitzer, sondern nur teils Erb-,
teils Zeitpüchtcr sind. "Fährt man hente durch das Land, so sieht man im


Innere Aolonisation

daß diese in thatsächlicher Hörigkeit an ihn gebunden sind. Der ist nun mit
dem Erfolg seiner Gründung sehr zufrieden. Allerdings gesteht er ein, daß
seine Justleute, weil sie besser genährt sind, in der Arbeit mehr leisten als die
Pächter, die nur dadurch deu Pacht erschwingen könnten, daß sie „sich durch¬
hungerten," was Polen besser fertig brächten als Deutsche.

Sodann werden Kolonien in Pommern und Westpreußen geschildert, die
nicht zu dein Zwecke gegründet worden sind, dem Gute Arbeiter zu sichern,
sondern weil es das einzige Mittel war, Grundstücke zu verwerten, die zu
veräußern die Not zwang. Ähnlich wie bei vielen von den Kolonien, die unter
Friedrich dem Großen augelegt worden sind, verläuft hier die Sache je nach
äußern Umständen und dem Charakter der Kolonisten ans dreierlei Weise.
Entweder die Leute überwinden die ursprüngliche» Schwierigkeiten, und es
werden wie in dem oben erwähnten Falle aus den Kolonien schließlich Bauern-
dörfer. Oder die Leute schleppen sich kümmerlich, aber ehrlich durch, indem sie
die Kanfgelderzinsen nicht vom Ertrage ihrer kleinen Grundstücke, sondern vom
Nebenverdienst zahlen; solche Arbeiterkolonien drücken den Arbeitslohn im
ganzen Umkreise. Oder es werden Räuber- und Spitzbubeuuester daraus. Es
drängt sich, heißt es in einer Schlußbetrachtung, die Erwägung auf, „daß
das Gedeihen einer Kolonie, wie aller andern menschlichen Institutionen, nicht
nur von den äußern Bedingungen, sondern in gleich hohem Maße von den
Menschen selbst abhängt, die daraus Lebendiges gestalten sollen. Gewiß haben
die Wirtschaftsbedingungen einen bedeutenden Einfluß auf die Menschen und
ihre Charakterentwicklung. Aber der innere Gehalt, den sie in die neuen Ver¬
hältnisse mitbringen, bildet unter allen Umständen die erste Voraussetzung des
wirtschaftlichen Gelingens."

Den Ansiedlungen solcher Halbproletarier wird das Gedeihen schon da¬
durch erschwert, daß es darin ganz an dem belebenden Geiste, an auf¬
munternden Vorbildern, an erstrebenswerten Zielen, an Einflüssen höherer
Bildung fehlt. So verfallen sie der Verkümmerung. Weit besser wird den
angesiedelten Arbeitern das Fortkommen dort gesichert, wo sie zwischen Bauern¬
güter eingestreut und der Bailerngemeinde eingegliedert werden. Dies ist mit
gutem Erfolg seit dein vorigen Jahrhundert in Mecklenburg geschehen, wo die
Regierung aus verödeten Bauernhöfen und überschüssige»! Bauernbusen nach
und nach über 7000 Büdnereien (zu durchschnittlich 2000 Quadratruten ^-
4,Z4 Hektaren) und eine Menge Häuslerstellen zu 15 bis 25 Quadratruteu
gebildet hat. Selbstverständlich auf Domauialland, denn im ritterschaftlichen
Anteil, der mit den Klostergütern 47 Prozent der Gesamtfläche umfaßt, ist
die Bauernschaft beinahe vernichtet worden. Die Zahl der Bauernhöfe ist dort
im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte von 12 000 auf 1230 herunterge¬
bracht worden, deren Wirte noch dazu nicht Besitzer, sondern nur teils Erb-,
teils Zeitpüchtcr sind. „Fährt man hente durch das Land, so sieht man im


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[0305] Innere Aolonisation daß diese in thatsächlicher Hörigkeit an ihn gebunden sind. Der ist nun mit dem Erfolg seiner Gründung sehr zufrieden. Allerdings gesteht er ein, daß seine Justleute, weil sie besser genährt sind, in der Arbeit mehr leisten als die Pächter, die nur dadurch deu Pacht erschwingen könnten, daß sie „sich durch¬ hungerten," was Polen besser fertig brächten als Deutsche. Sodann werden Kolonien in Pommern und Westpreußen geschildert, die nicht zu dein Zwecke gegründet worden sind, dem Gute Arbeiter zu sichern, sondern weil es das einzige Mittel war, Grundstücke zu verwerten, die zu veräußern die Not zwang. Ähnlich wie bei vielen von den Kolonien, die unter Friedrich dem Großen augelegt worden sind, verläuft hier die Sache je nach äußern Umständen und dem Charakter der Kolonisten ans dreierlei Weise. Entweder die Leute überwinden die ursprüngliche» Schwierigkeiten, und es werden wie in dem oben erwähnten Falle aus den Kolonien schließlich Bauern- dörfer. Oder die Leute schleppen sich kümmerlich, aber ehrlich durch, indem sie die Kanfgelderzinsen nicht vom Ertrage ihrer kleinen Grundstücke, sondern vom Nebenverdienst zahlen; solche Arbeiterkolonien drücken den Arbeitslohn im ganzen Umkreise. Oder es werden Räuber- und Spitzbubeuuester daraus. Es drängt sich, heißt es in einer Schlußbetrachtung, die Erwägung auf, „daß das Gedeihen einer Kolonie, wie aller andern menschlichen Institutionen, nicht nur von den äußern Bedingungen, sondern in gleich hohem Maße von den Menschen selbst abhängt, die daraus Lebendiges gestalten sollen. Gewiß haben die Wirtschaftsbedingungen einen bedeutenden Einfluß auf die Menschen und ihre Charakterentwicklung. Aber der innere Gehalt, den sie in die neuen Ver¬ hältnisse mitbringen, bildet unter allen Umständen die erste Voraussetzung des wirtschaftlichen Gelingens." Den Ansiedlungen solcher Halbproletarier wird das Gedeihen schon da¬ durch erschwert, daß es darin ganz an dem belebenden Geiste, an auf¬ munternden Vorbildern, an erstrebenswerten Zielen, an Einflüssen höherer Bildung fehlt. So verfallen sie der Verkümmerung. Weit besser wird den angesiedelten Arbeitern das Fortkommen dort gesichert, wo sie zwischen Bauern¬ güter eingestreut und der Bailerngemeinde eingegliedert werden. Dies ist mit gutem Erfolg seit dein vorigen Jahrhundert in Mecklenburg geschehen, wo die Regierung aus verödeten Bauernhöfen und überschüssige»! Bauernbusen nach und nach über 7000 Büdnereien (zu durchschnittlich 2000 Quadratruten ^- 4,Z4 Hektaren) und eine Menge Häuslerstellen zu 15 bis 25 Quadratruteu gebildet hat. Selbstverständlich auf Domauialland, denn im ritterschaftlichen Anteil, der mit den Klostergütern 47 Prozent der Gesamtfläche umfaßt, ist die Bauernschaft beinahe vernichtet worden. Die Zahl der Bauernhöfe ist dort im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte von 12 000 auf 1230 herunterge¬ bracht worden, deren Wirte noch dazu nicht Besitzer, sondern nur teils Erb-, teils Zeitpüchtcr sind. „Fährt man hente durch das Land, so sieht man im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/305>, abgerufen am 01.07.2024.