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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Interessenvertretung und Bundesrat

mit den Nerven gefühlt werden können. Der begabteste Staatsmann, der
hierfür kein Organ hat, ist ein Verhängnis, mag er sonst von Wohlwollen
und den besten Absichten triefen.

Wenn aber Büreciukratie und Parlament versagen, so folgern wir daraus
mit Notwendigkeit, daß in unsern Staatsorganismus ein Organ eingefügt
werden muß, das berufen und befähigt ist, die Vermittlung zwischen dem so¬
zialen Leben der Nation und der bestehenden Gewalt der Gesetzgebung zu
übernehmen und in allen wirtschaftliche!? Fragen den eigentlichen Ausschlag
geben muß!

Wir haben uns nun die Frage vorgelegt, ob und wo in die Reichs-
verfassung ohne Störung für die bestehende Organisation ein solches Organ
eingefügt werden könne, und wollen versuchen, darauf Antwort zu geben. Daß
es an einem solchen Organ in der Reichsverfassung fehlt, hat Fürst Bismarck
mit seiner wunderbaren Feinfühligkeit für öffentliche Dinge längst heraus¬
gefunden und durch Einführung des Volkswirtschaftsrats zu ergänzen versucht.
Der Versuch ist aber mißlungen, weil dem neugeschaffnem Institut jede gesetz¬
liche Funktion fehlte. Es war nur eine neue Art von Büreaukratie geschaffen,
die für die Negierung zeitweise vielleicht Wert hatte, im Volke aber nicht
einmal einen sueovs ä'sstimö erringen konnte. Deal eine Interessenvertretung,
die nichts zu sagen hat, die dem Volke von der höhern Bureaukratie diktirt
ist, die mau nach Belieben fragen und nach Hanse schicken kann, je nachdem
sie für die leitenden Männer bequem oder unbequem wird, ist für das Volk
wertlos. So war der Volkswirtschaftsrat von Anfang an ein totgebornes
Kind, er konnte seinen Zweck nicht erfüllen, dem Volke eine Bürgschaft dasür
zu geben, daß in wirtschaftlichen Fragen die wirtschaftlichen Volksinteressen
allein ausschlaggebend sind. Man wird also die Lösung der Aufgabe auf
einem andern Wege suchen müssen.

Bei dieser Sachlage möchten wir die Aufmerksamkeit auf den Bundesrat
lenken und die Frage auswerfen, ob nicht durch eine repräsentative Erweiterung
und Umgestaltung des Bundesrath eine Einrichtung geschaffen werden könnte,
die ohne weitern Eingriff in die Bundesverfassung dem Volke die unabweisbar
notwendig gewordne Vertretung seiner wirtschaftlichen Interessen gewährte
und gleichzeitig ein Gegengewicht gegen die im Reichstag von Jahr zu Jahr
wachsenden rein demagogischen Strömungen bieten könnte. Unser Gedanke
hierbei ist nicht, den Bundesrat in eine Art volkswirtschaftliches Ober¬
haus zu verwandeln. Möge der Bundesrat in politischen und Verwaltungs¬
fragen seine jetzige Kompetenz und Organisation behalten, sür Änderungen
nach dieser Richtung hat sich bisher trotz der vielfach auseinandergehenden
Meinungen über seinen Wert und Unwert kein klares, zweifelloses Bedürfnis
ergeben. Wir möchten vielmehr die Frage anregen, ob nicht dem Bundesrat
sür seine Entscheidungen in allen Fragen volkswirtschaftlicher Natur ein aus


Interessenvertretung und Bundesrat

mit den Nerven gefühlt werden können. Der begabteste Staatsmann, der
hierfür kein Organ hat, ist ein Verhängnis, mag er sonst von Wohlwollen
und den besten Absichten triefen.

Wenn aber Büreciukratie und Parlament versagen, so folgern wir daraus
mit Notwendigkeit, daß in unsern Staatsorganismus ein Organ eingefügt
werden muß, das berufen und befähigt ist, die Vermittlung zwischen dem so¬
zialen Leben der Nation und der bestehenden Gewalt der Gesetzgebung zu
übernehmen und in allen wirtschaftliche!? Fragen den eigentlichen Ausschlag
geben muß!

Wir haben uns nun die Frage vorgelegt, ob und wo in die Reichs-
verfassung ohne Störung für die bestehende Organisation ein solches Organ
eingefügt werden könne, und wollen versuchen, darauf Antwort zu geben. Daß
es an einem solchen Organ in der Reichsverfassung fehlt, hat Fürst Bismarck
mit seiner wunderbaren Feinfühligkeit für öffentliche Dinge längst heraus¬
gefunden und durch Einführung des Volkswirtschaftsrats zu ergänzen versucht.
Der Versuch ist aber mißlungen, weil dem neugeschaffnem Institut jede gesetz¬
liche Funktion fehlte. Es war nur eine neue Art von Büreaukratie geschaffen,
die für die Negierung zeitweise vielleicht Wert hatte, im Volke aber nicht
einmal einen sueovs ä'sstimö erringen konnte. Deal eine Interessenvertretung,
die nichts zu sagen hat, die dem Volke von der höhern Bureaukratie diktirt
ist, die mau nach Belieben fragen und nach Hanse schicken kann, je nachdem
sie für die leitenden Männer bequem oder unbequem wird, ist für das Volk
wertlos. So war der Volkswirtschaftsrat von Anfang an ein totgebornes
Kind, er konnte seinen Zweck nicht erfüllen, dem Volke eine Bürgschaft dasür
zu geben, daß in wirtschaftlichen Fragen die wirtschaftlichen Volksinteressen
allein ausschlaggebend sind. Man wird also die Lösung der Aufgabe auf
einem andern Wege suchen müssen.

Bei dieser Sachlage möchten wir die Aufmerksamkeit auf den Bundesrat
lenken und die Frage auswerfen, ob nicht durch eine repräsentative Erweiterung
und Umgestaltung des Bundesrath eine Einrichtung geschaffen werden könnte,
die ohne weitern Eingriff in die Bundesverfassung dem Volke die unabweisbar
notwendig gewordne Vertretung seiner wirtschaftlichen Interessen gewährte
und gleichzeitig ein Gegengewicht gegen die im Reichstag von Jahr zu Jahr
wachsenden rein demagogischen Strömungen bieten könnte. Unser Gedanke
hierbei ist nicht, den Bundesrat in eine Art volkswirtschaftliches Ober¬
haus zu verwandeln. Möge der Bundesrat in politischen und Verwaltungs¬
fragen seine jetzige Kompetenz und Organisation behalten, sür Änderungen
nach dieser Richtung hat sich bisher trotz der vielfach auseinandergehenden
Meinungen über seinen Wert und Unwert kein klares, zweifelloses Bedürfnis
ergeben. Wir möchten vielmehr die Frage anregen, ob nicht dem Bundesrat
sür seine Entscheidungen in allen Fragen volkswirtschaftlicher Natur ein aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/302>, abgerufen am 03.07.2024.