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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Interessenvertretung und Bundesrat

freier Wahl der Hauptberufsstände hervorgehender Beirat mit vollem Stimm¬
recht zur Seite gestellt werden könnte. Die Mitglieder dieses Beirath würden
nach dem jetzigen Steuerverhältnis der Rcichsverfnssnng auf die einzelnen
Bundesstaaten zu verteilen sein und in diesen dnrch Wahl der bereits be¬
stehenden oder zu schaffenden Bernfsorganisativnen (Handelskammern, Gewerbe-
kmmnern, Landwirtschastskmnmern) zu wählen sein. Die Einberufung des
großen Bundesrath würde jederzeit dann einzutreten haben, wenn es von der
Neichsregiernng angeordnet oder von einer gewissen Stimmenzahl im kleinen
Bundesrat hinsichtlich der zur Beratung stehenden Fragen verlangt wird.

Die jetzigen Funktionen des Bundesrath könnten durch eine derartige
Erweiterung kaum beeinträchtigt werden, seine Stellung würde der Neichs-
regierung wie den? Reichstage gegenüber sehr an Bedeutung gewinnen, er würde
an Rückgrat wie an Sachkenntnis wachsen und bei der steigenden Bedeutung
der wirtschaftlichen Fragen für das Leben der Nation vielleicht der ausschlag¬
gebende Faktor werden. Der Grundgedanke des Bundesrath ist schon heute
Interessenvertretung, Schutz der berechtigten Interessen der Einzelstaaten gegen
Majorisirung durch die Allgemeinheit. Jeder Zuwachs, den er in dieser
Richtung erhielte, würde nicht bloß den wirtschaftlichen Interessen der einzelnen
Bundesstaaten zu gute kommen und daher von diesen kaum bekämpft werden.
Möglich, daß mit der Zeit aus diesem großen Bundesrat ein wirklich
machtvolles Oberhaus herauswüchse, dem naturgemäß die Vermittlung
und Versöhnung zwischen der monarchischen Spitze und dem demagogischen
Unterbau unsrer parlamentarischen Verfassung zufallen würde, die sich heute
ganz unvermittelt gegenüber stehen,, und deren innere Unvereinbarkeit früher
oder später unvermeidlich zu Krisen führen wird. Daß ohne ein solches starkes
im Volke selbst wurzelndes Gegengewicht die Monarchie dem heranziehenden
demagogischen Ungewitter dauernd werde standhalten können, wird selbst der
zuversichtlichste Monarchist kaum zu behaupten wagen. Heute hat die Monarchie
nur noch eine unerschütterliche Stütze -- das Heer! Ohne dieses wäre der
Straßenkampf mit Anarchie und Sozialdemokratie längst entbrannt. Wie lange
wird diese Stütze unversehrt bleiben? "Nicht Roß, nicht Reisige sichern die
steile Höh, wo Fürsten stehn!" heißt es im Preußenliede. Die sicherste Stütze
des Throns liegt auch heute noch in der Liebe und Dankbarkeit des Volkes,
die täglich neu aus der Überzeugung geboren werden muß, daß die berechtigten
Interessen des Volks ihre beste Stütze im Throne finden.

Wohl nie hat ein Fürst seinen Nachfolgern ein größeres monarchisches
Kapital hinterlassen, als Kaiser Wilhelm der Erste und Einzige an jenem
9. Märztage des Jahres 1888. Schier unerschöpflich schien es zu sein. Fünf
kurze Jahre sind seitdem verflossen. Wer wie wir unter und mit dem Volke
lebt und dabei einen Abscheu gegen jede bewußte Schönfärberei und Fälschung
der Wahrheit hat, der wird sich mit Trauer eingestehen, daß der neue Kurs


Interessenvertretung und Bundesrat

freier Wahl der Hauptberufsstände hervorgehender Beirat mit vollem Stimm¬
recht zur Seite gestellt werden könnte. Die Mitglieder dieses Beirath würden
nach dem jetzigen Steuerverhältnis der Rcichsverfnssnng auf die einzelnen
Bundesstaaten zu verteilen sein und in diesen dnrch Wahl der bereits be¬
stehenden oder zu schaffenden Bernfsorganisativnen (Handelskammern, Gewerbe-
kmmnern, Landwirtschastskmnmern) zu wählen sein. Die Einberufung des
großen Bundesrath würde jederzeit dann einzutreten haben, wenn es von der
Neichsregiernng angeordnet oder von einer gewissen Stimmenzahl im kleinen
Bundesrat hinsichtlich der zur Beratung stehenden Fragen verlangt wird.

Die jetzigen Funktionen des Bundesrath könnten durch eine derartige
Erweiterung kaum beeinträchtigt werden, seine Stellung würde der Neichs-
regierung wie den? Reichstage gegenüber sehr an Bedeutung gewinnen, er würde
an Rückgrat wie an Sachkenntnis wachsen und bei der steigenden Bedeutung
der wirtschaftlichen Fragen für das Leben der Nation vielleicht der ausschlag¬
gebende Faktor werden. Der Grundgedanke des Bundesrath ist schon heute
Interessenvertretung, Schutz der berechtigten Interessen der Einzelstaaten gegen
Majorisirung durch die Allgemeinheit. Jeder Zuwachs, den er in dieser
Richtung erhielte, würde nicht bloß den wirtschaftlichen Interessen der einzelnen
Bundesstaaten zu gute kommen und daher von diesen kaum bekämpft werden.
Möglich, daß mit der Zeit aus diesem großen Bundesrat ein wirklich
machtvolles Oberhaus herauswüchse, dem naturgemäß die Vermittlung
und Versöhnung zwischen der monarchischen Spitze und dem demagogischen
Unterbau unsrer parlamentarischen Verfassung zufallen würde, die sich heute
ganz unvermittelt gegenüber stehen,, und deren innere Unvereinbarkeit früher
oder später unvermeidlich zu Krisen führen wird. Daß ohne ein solches starkes
im Volke selbst wurzelndes Gegengewicht die Monarchie dem heranziehenden
demagogischen Ungewitter dauernd werde standhalten können, wird selbst der
zuversichtlichste Monarchist kaum zu behaupten wagen. Heute hat die Monarchie
nur noch eine unerschütterliche Stütze — das Heer! Ohne dieses wäre der
Straßenkampf mit Anarchie und Sozialdemokratie längst entbrannt. Wie lange
wird diese Stütze unversehrt bleiben? „Nicht Roß, nicht Reisige sichern die
steile Höh, wo Fürsten stehn!" heißt es im Preußenliede. Die sicherste Stütze
des Throns liegt auch heute noch in der Liebe und Dankbarkeit des Volkes,
die täglich neu aus der Überzeugung geboren werden muß, daß die berechtigten
Interessen des Volks ihre beste Stütze im Throne finden.

Wohl nie hat ein Fürst seinen Nachfolgern ein größeres monarchisches
Kapital hinterlassen, als Kaiser Wilhelm der Erste und Einzige an jenem
9. Märztage des Jahres 1888. Schier unerschöpflich schien es zu sein. Fünf
kurze Jahre sind seitdem verflossen. Wer wie wir unter und mit dem Volke
lebt und dabei einen Abscheu gegen jede bewußte Schönfärberei und Fälschung
der Wahrheit hat, der wird sich mit Trauer eingestehen, daß der neue Kurs


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[0303] Interessenvertretung und Bundesrat freier Wahl der Hauptberufsstände hervorgehender Beirat mit vollem Stimm¬ recht zur Seite gestellt werden könnte. Die Mitglieder dieses Beirath würden nach dem jetzigen Steuerverhältnis der Rcichsverfnssnng auf die einzelnen Bundesstaaten zu verteilen sein und in diesen dnrch Wahl der bereits be¬ stehenden oder zu schaffenden Bernfsorganisativnen (Handelskammern, Gewerbe- kmmnern, Landwirtschastskmnmern) zu wählen sein. Die Einberufung des großen Bundesrath würde jederzeit dann einzutreten haben, wenn es von der Neichsregiernng angeordnet oder von einer gewissen Stimmenzahl im kleinen Bundesrat hinsichtlich der zur Beratung stehenden Fragen verlangt wird. Die jetzigen Funktionen des Bundesrath könnten durch eine derartige Erweiterung kaum beeinträchtigt werden, seine Stellung würde der Neichs- regierung wie den? Reichstage gegenüber sehr an Bedeutung gewinnen, er würde an Rückgrat wie an Sachkenntnis wachsen und bei der steigenden Bedeutung der wirtschaftlichen Fragen für das Leben der Nation vielleicht der ausschlag¬ gebende Faktor werden. Der Grundgedanke des Bundesrath ist schon heute Interessenvertretung, Schutz der berechtigten Interessen der Einzelstaaten gegen Majorisirung durch die Allgemeinheit. Jeder Zuwachs, den er in dieser Richtung erhielte, würde nicht bloß den wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Bundesstaaten zu gute kommen und daher von diesen kaum bekämpft werden. Möglich, daß mit der Zeit aus diesem großen Bundesrat ein wirklich machtvolles Oberhaus herauswüchse, dem naturgemäß die Vermittlung und Versöhnung zwischen der monarchischen Spitze und dem demagogischen Unterbau unsrer parlamentarischen Verfassung zufallen würde, die sich heute ganz unvermittelt gegenüber stehen,, und deren innere Unvereinbarkeit früher oder später unvermeidlich zu Krisen führen wird. Daß ohne ein solches starkes im Volke selbst wurzelndes Gegengewicht die Monarchie dem heranziehenden demagogischen Ungewitter dauernd werde standhalten können, wird selbst der zuversichtlichste Monarchist kaum zu behaupten wagen. Heute hat die Monarchie nur noch eine unerschütterliche Stütze — das Heer! Ohne dieses wäre der Straßenkampf mit Anarchie und Sozialdemokratie längst entbrannt. Wie lange wird diese Stütze unversehrt bleiben? „Nicht Roß, nicht Reisige sichern die steile Höh, wo Fürsten stehn!" heißt es im Preußenliede. Die sicherste Stütze des Throns liegt auch heute noch in der Liebe und Dankbarkeit des Volkes, die täglich neu aus der Überzeugung geboren werden muß, daß die berechtigten Interessen des Volks ihre beste Stütze im Throne finden. Wohl nie hat ein Fürst seinen Nachfolgern ein größeres monarchisches Kapital hinterlassen, als Kaiser Wilhelm der Erste und Einzige an jenem 9. Märztage des Jahres 1888. Schier unerschöpflich schien es zu sein. Fünf kurze Jahre sind seitdem verflossen. Wer wie wir unter und mit dem Volke lebt und dabei einen Abscheu gegen jede bewußte Schönfärberei und Fälschung der Wahrheit hat, der wird sich mit Trauer eingestehen, daß der neue Kurs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/303>, abgerufen am 01.07.2024.