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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Verhältnisse konnte er sich nicht völlig entziehen, so mannhaft er sich auch da¬
gegen wehrte. Die Wiener Revolution und die ihr nachfolgende Säbel- und
Konkordatsherrschaft hatten an ihm einen ebenso unerbittlichen wie scharfsich¬
tigen Gegner; was er unmittelbar fah, darüber konnte er sich nicht wohl
täuschen. Dagegen beeinflußte ihn mehr und mehr die Wienerische Auffassung, die
Schmerling und seine Genossen 1848 in der Frankfurter Nationalversamiuluug
vertreten hatten: daß das gesamte Deutschland nur ein Anhängsel Österreichs
sei, der Traum, daß es nur eines kräftigen Entschlusses des österreichischen
Kaisers bedürfe, um das alte Imperium der Salier und der Staufer wieder
aufzurichten. Und nicht ungestraft verkehrte er in den Jahren nach 1849 mit
einzelnen hohe" österreichischen Offizieren, die ihre tiefe Verachtung der Italiener,
ihre brutalen Forderungen, daß die Lombardei mit Beilen und Unter bei
Österreich festgehalten werden müßte, unvermerkt auf ihn übertrugen. Er,
der sonst die leisesten Wandlungen der Bölkerseele wie der Menschenseele be¬
obachtete, übersah vollständig den Umschwung der Empfindung, das Erwachen
eines opferwilligen und opferfähiger vaterländischen Geistes bei den Italienern,
er bewegte sich noch im Beginn des Krieges von 1859 in den Vorstellungen,
die Custozza, Curtatvne und Novara, sowie das von Wien aus viel verherr¬
lichte Nadetzkysche Standrechtsregiment unbewußt in ihm wachgerufen hatten.
So konnte es geschehen, daß er mit Friedrich von Üchtritz in einen politischen
Zwiespalt geriet, der viel weniger leicht zu schlichten und zu beschwichtigen
war, als der frühere religiöse. Denn als er auf Üchtritz ehrliches Eingeständnis:
"Ich kann und will meine Sympathien für das unglückliche Italien nicht ver¬
leugnen. Es ist ein sich vordrängender Ehrgeiz in dein Königshause von Sar¬
dinien; aber ich müßte mich allen historischen Urteils entschlagen, wenn ich
mir verhehlen wollte, daß dem ersten König von Italien ein hoher und echter
Ruhmesplatz in der Geschichte seines Volkes nicht entgehen wird," nur den
ingrimmigen Ausruf zur Antwort hatte: "Sie haben Sympathie für die Ita¬
liener und trauen ihnen nationale Lebensfähigkeit zu; ich halte sie, auf An¬
schauungen gestützt, die ich in ihrer Mitte gewann, in dieser Beziehung für
viel verkommner als Juden und Polen, und zwar durch eigne Schuld, durch
den Mangel des staatenbildenden Faktors, nicht durch die Schuld des Regi¬
ments. Daß man mit dem italienisch-österreichischen Regiment vom Grafen
an bis zum Facchino herunter (der Unterschied bedeutet dort freilich nicht viel)
höchst unzufrieden war, ist gewiß; man würde aber mit jedem Regiment un¬
zufrieden gewesen sein, und das österreichische hatte nur den einen Fehler der
zu großen Milde, die überall besser am Platze ist, wie in Italien, wo man
sie für Schwäche und Feigheit hält/") glaubte er aus allerpersönlichsten An¬
schauungen heraus zu reden, vergaß, daß er in Italien selbst die lebendigsten



') An Friedrich von Üchtntz; Orth bei Gmunden, 25. Juli 1859.

Verhältnisse konnte er sich nicht völlig entziehen, so mannhaft er sich auch da¬
gegen wehrte. Die Wiener Revolution und die ihr nachfolgende Säbel- und
Konkordatsherrschaft hatten an ihm einen ebenso unerbittlichen wie scharfsich¬
tigen Gegner; was er unmittelbar fah, darüber konnte er sich nicht wohl
täuschen. Dagegen beeinflußte ihn mehr und mehr die Wienerische Auffassung, die
Schmerling und seine Genossen 1848 in der Frankfurter Nationalversamiuluug
vertreten hatten: daß das gesamte Deutschland nur ein Anhängsel Österreichs
sei, der Traum, daß es nur eines kräftigen Entschlusses des österreichischen
Kaisers bedürfe, um das alte Imperium der Salier und der Staufer wieder
aufzurichten. Und nicht ungestraft verkehrte er in den Jahren nach 1849 mit
einzelnen hohe» österreichischen Offizieren, die ihre tiefe Verachtung der Italiener,
ihre brutalen Forderungen, daß die Lombardei mit Beilen und Unter bei
Österreich festgehalten werden müßte, unvermerkt auf ihn übertrugen. Er,
der sonst die leisesten Wandlungen der Bölkerseele wie der Menschenseele be¬
obachtete, übersah vollständig den Umschwung der Empfindung, das Erwachen
eines opferwilligen und opferfähiger vaterländischen Geistes bei den Italienern,
er bewegte sich noch im Beginn des Krieges von 1859 in den Vorstellungen,
die Custozza, Curtatvne und Novara, sowie das von Wien aus viel verherr¬
lichte Nadetzkysche Standrechtsregiment unbewußt in ihm wachgerufen hatten.
So konnte es geschehen, daß er mit Friedrich von Üchtritz in einen politischen
Zwiespalt geriet, der viel weniger leicht zu schlichten und zu beschwichtigen
war, als der frühere religiöse. Denn als er auf Üchtritz ehrliches Eingeständnis:
„Ich kann und will meine Sympathien für das unglückliche Italien nicht ver¬
leugnen. Es ist ein sich vordrängender Ehrgeiz in dein Königshause von Sar¬
dinien; aber ich müßte mich allen historischen Urteils entschlagen, wenn ich
mir verhehlen wollte, daß dem ersten König von Italien ein hoher und echter
Ruhmesplatz in der Geschichte seines Volkes nicht entgehen wird," nur den
ingrimmigen Ausruf zur Antwort hatte: „Sie haben Sympathie für die Ita¬
liener und trauen ihnen nationale Lebensfähigkeit zu; ich halte sie, auf An¬
schauungen gestützt, die ich in ihrer Mitte gewann, in dieser Beziehung für
viel verkommner als Juden und Polen, und zwar durch eigne Schuld, durch
den Mangel des staatenbildenden Faktors, nicht durch die Schuld des Regi¬
ments. Daß man mit dem italienisch-österreichischen Regiment vom Grafen
an bis zum Facchino herunter (der Unterschied bedeutet dort freilich nicht viel)
höchst unzufrieden war, ist gewiß; man würde aber mit jedem Regiment un¬
zufrieden gewesen sein, und das österreichische hatte nur den einen Fehler der
zu großen Milde, die überall besser am Platze ist, wie in Italien, wo man
sie für Schwäche und Feigheit hält/") glaubte er aus allerpersönlichsten An¬
schauungen heraus zu reden, vergaß, daß er in Italien selbst die lebendigsten



') An Friedrich von Üchtntz; Orth bei Gmunden, 25. Juli 1859.
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[0271] Verhältnisse konnte er sich nicht völlig entziehen, so mannhaft er sich auch da¬ gegen wehrte. Die Wiener Revolution und die ihr nachfolgende Säbel- und Konkordatsherrschaft hatten an ihm einen ebenso unerbittlichen wie scharfsich¬ tigen Gegner; was er unmittelbar fah, darüber konnte er sich nicht wohl täuschen. Dagegen beeinflußte ihn mehr und mehr die Wienerische Auffassung, die Schmerling und seine Genossen 1848 in der Frankfurter Nationalversamiuluug vertreten hatten: daß das gesamte Deutschland nur ein Anhängsel Österreichs sei, der Traum, daß es nur eines kräftigen Entschlusses des österreichischen Kaisers bedürfe, um das alte Imperium der Salier und der Staufer wieder aufzurichten. Und nicht ungestraft verkehrte er in den Jahren nach 1849 mit einzelnen hohe» österreichischen Offizieren, die ihre tiefe Verachtung der Italiener, ihre brutalen Forderungen, daß die Lombardei mit Beilen und Unter bei Österreich festgehalten werden müßte, unvermerkt auf ihn übertrugen. Er, der sonst die leisesten Wandlungen der Bölkerseele wie der Menschenseele be¬ obachtete, übersah vollständig den Umschwung der Empfindung, das Erwachen eines opferwilligen und opferfähiger vaterländischen Geistes bei den Italienern, er bewegte sich noch im Beginn des Krieges von 1859 in den Vorstellungen, die Custozza, Curtatvne und Novara, sowie das von Wien aus viel verherr¬ lichte Nadetzkysche Standrechtsregiment unbewußt in ihm wachgerufen hatten. So konnte es geschehen, daß er mit Friedrich von Üchtritz in einen politischen Zwiespalt geriet, der viel weniger leicht zu schlichten und zu beschwichtigen war, als der frühere religiöse. Denn als er auf Üchtritz ehrliches Eingeständnis: „Ich kann und will meine Sympathien für das unglückliche Italien nicht ver¬ leugnen. Es ist ein sich vordrängender Ehrgeiz in dein Königshause von Sar¬ dinien; aber ich müßte mich allen historischen Urteils entschlagen, wenn ich mir verhehlen wollte, daß dem ersten König von Italien ein hoher und echter Ruhmesplatz in der Geschichte seines Volkes nicht entgehen wird," nur den ingrimmigen Ausruf zur Antwort hatte: „Sie haben Sympathie für die Ita¬ liener und trauen ihnen nationale Lebensfähigkeit zu; ich halte sie, auf An¬ schauungen gestützt, die ich in ihrer Mitte gewann, in dieser Beziehung für viel verkommner als Juden und Polen, und zwar durch eigne Schuld, durch den Mangel des staatenbildenden Faktors, nicht durch die Schuld des Regi¬ ments. Daß man mit dem italienisch-österreichischen Regiment vom Grafen an bis zum Facchino herunter (der Unterschied bedeutet dort freilich nicht viel) höchst unzufrieden war, ist gewiß; man würde aber mit jedem Regiment un¬ zufrieden gewesen sein, und das österreichische hatte nur den einen Fehler der zu großen Milde, die überall besser am Platze ist, wie in Italien, wo man sie für Schwäche und Feigheit hält/") glaubte er aus allerpersönlichsten An¬ schauungen heraus zu reden, vergaß, daß er in Italien selbst die lebendigsten ') An Friedrich von Üchtntz; Orth bei Gmunden, 25. Juli 1859.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/271>, abgerufen am 23.07.2024.