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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich HM'elf Briefwechsel

und nachhaltigsten Eindrücke von dein verkommenen Volke einer Stadt wie
Neapel erhalten, daß er zwölf Jahre hindurch mit jeder Unterredung und
gleichsam mit jedem Atemzuge den brutalen Welschenhaß österreichischer
Soldaten und Polizeibeamten eingesogen hatte. Nur so war es begreif¬
lich und zu verzeihen, daß er dem österreichischen Regiment in Italien "zu
große Milde" nachrühmte; jeder, der sich der Thaten der Zobel, Hahuau
und ihrer Genossen erinnerte, Hütte ihm ins Gesicht lachen können. Üchtritz
überwand sich in seiner tiefbegründeten Verehrung für Hebbel und schwieg zu¬
nächst, im nächsten Jahre aber, wo der italienische Einheitsdrnng und Schwung
über den zweideutigen Befreier Napoleon den Dritten hinweg seine Stärke be¬
währte, schrieb er ihm einfach: "An der Befähigung und Würdigkeit der Ita¬
liener, sich als Volk zu konstituiren, werden Sie jetzt unmöglich mehr zweifeln
können." Und wenn Hebbel dann über den deutschen Kosmopolitismus schalt,
der sich für die Befreiung der Italiener interessire (oder wie der Satz in Hebbels
drastischer Bildersprache lautete: "der dem falschen, ränkesüchtigen, alles Deutsche
verachtenden Italiener im Flohfang beistehen möchte"), während er der dänischen
Tyrannei in den edelsten deutschen Provinzen gelassen zusehe, so war das nicht
viel mehr als ein geschickter Fechterstreich.

Unablässig lagen seine eignen Einsichten, seine heißen Empfindungen und
Wünsche für Deutschlands Zukunft (die ja auch die Befreiung der schleswig-
holsteiuischen Heimat bringen mußte) und die in Wien angenommnen Borurteile
im harten Kampfe mit einander. Als Preußen im Frühling 1859 für Öster¬
reichs italienischen Besitz nicht ohne weiteres zu den Waffen griff, hegte Hebbel
die Furcht, daß die Rheinprovinzen der Lombardei folgen würden, und traute
ebeu Preußen nicht die Kraft und Macht zu, dn zu stehen und zu siege", wo
Österreich unterlegen war. Bereits im folgenden Jahre war er so weit, an
Üchtritz zu schreiben: "Daß wir die politischen Ereignisse des vorigen Jahres
verschieden beurteilen würden, mußte ich erwarten; wenn Sie aber Zorn i"
meinen Worten bemerkt haben wollen, Zorn über die Verkehrtheit und Schwäche
der von Ihnen vertretnen Ansicht, so kann ich Sie versichern, daß ich von
der Stimmung weit entfernt war, die es einer solchen Empfindung verstattet
hätte, nur auch nur unwillkürlich durch die Feder zu fließen. Mich erfüllte
nichts, als der tiefste Schmerz, gerade Deutschland dem tragischen Gesetz, das
alle Verständigung der Parteien ausschließt und die Losung an den Kampf
knüpft, verfallen sehen zu müssen; ich war so weit davon entfernt, zu verur¬
teilen und zu verdammen, wenn ich mich auch, wie sich wohl jeder in der
Bedrängnis des Moments einbildet, zum Chor rechnen zu dürfen glaubte,
daß ich die Politik der Vergangenheit mit der der Gegenwart entschuldigte
und umgekehrt; wie hätte in dem alten Tragiker Wohl der Zorn aufflammen
können? Auch jetzt schaue ich dein weitern Verlauf der Dinge nur mit der
bittersten Wehmut zu, obgleich alles, was geschehen ist und waS bevorzustehen


Friedrich HM'elf Briefwechsel

und nachhaltigsten Eindrücke von dein verkommenen Volke einer Stadt wie
Neapel erhalten, daß er zwölf Jahre hindurch mit jeder Unterredung und
gleichsam mit jedem Atemzuge den brutalen Welschenhaß österreichischer
Soldaten und Polizeibeamten eingesogen hatte. Nur so war es begreif¬
lich und zu verzeihen, daß er dem österreichischen Regiment in Italien „zu
große Milde" nachrühmte; jeder, der sich der Thaten der Zobel, Hahuau
und ihrer Genossen erinnerte, Hütte ihm ins Gesicht lachen können. Üchtritz
überwand sich in seiner tiefbegründeten Verehrung für Hebbel und schwieg zu¬
nächst, im nächsten Jahre aber, wo der italienische Einheitsdrnng und Schwung
über den zweideutigen Befreier Napoleon den Dritten hinweg seine Stärke be¬
währte, schrieb er ihm einfach: „An der Befähigung und Würdigkeit der Ita¬
liener, sich als Volk zu konstituiren, werden Sie jetzt unmöglich mehr zweifeln
können." Und wenn Hebbel dann über den deutschen Kosmopolitismus schalt,
der sich für die Befreiung der Italiener interessire (oder wie der Satz in Hebbels
drastischer Bildersprache lautete: „der dem falschen, ränkesüchtigen, alles Deutsche
verachtenden Italiener im Flohfang beistehen möchte"), während er der dänischen
Tyrannei in den edelsten deutschen Provinzen gelassen zusehe, so war das nicht
viel mehr als ein geschickter Fechterstreich.

Unablässig lagen seine eignen Einsichten, seine heißen Empfindungen und
Wünsche für Deutschlands Zukunft (die ja auch die Befreiung der schleswig-
holsteiuischen Heimat bringen mußte) und die in Wien angenommnen Borurteile
im harten Kampfe mit einander. Als Preußen im Frühling 1859 für Öster¬
reichs italienischen Besitz nicht ohne weiteres zu den Waffen griff, hegte Hebbel
die Furcht, daß die Rheinprovinzen der Lombardei folgen würden, und traute
ebeu Preußen nicht die Kraft und Macht zu, dn zu stehen und zu siege», wo
Österreich unterlegen war. Bereits im folgenden Jahre war er so weit, an
Üchtritz zu schreiben: „Daß wir die politischen Ereignisse des vorigen Jahres
verschieden beurteilen würden, mußte ich erwarten; wenn Sie aber Zorn i»
meinen Worten bemerkt haben wollen, Zorn über die Verkehrtheit und Schwäche
der von Ihnen vertretnen Ansicht, so kann ich Sie versichern, daß ich von
der Stimmung weit entfernt war, die es einer solchen Empfindung verstattet
hätte, nur auch nur unwillkürlich durch die Feder zu fließen. Mich erfüllte
nichts, als der tiefste Schmerz, gerade Deutschland dem tragischen Gesetz, das
alle Verständigung der Parteien ausschließt und die Losung an den Kampf
knüpft, verfallen sehen zu müssen; ich war so weit davon entfernt, zu verur¬
teilen und zu verdammen, wenn ich mich auch, wie sich wohl jeder in der
Bedrängnis des Moments einbildet, zum Chor rechnen zu dürfen glaubte,
daß ich die Politik der Vergangenheit mit der der Gegenwart entschuldigte
und umgekehrt; wie hätte in dem alten Tragiker Wohl der Zorn aufflammen
können? Auch jetzt schaue ich dein weitern Verlauf der Dinge nur mit der
bittersten Wehmut zu, obgleich alles, was geschehen ist und waS bevorzustehen


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[0272] Friedrich HM'elf Briefwechsel und nachhaltigsten Eindrücke von dein verkommenen Volke einer Stadt wie Neapel erhalten, daß er zwölf Jahre hindurch mit jeder Unterredung und gleichsam mit jedem Atemzuge den brutalen Welschenhaß österreichischer Soldaten und Polizeibeamten eingesogen hatte. Nur so war es begreif¬ lich und zu verzeihen, daß er dem österreichischen Regiment in Italien „zu große Milde" nachrühmte; jeder, der sich der Thaten der Zobel, Hahuau und ihrer Genossen erinnerte, Hütte ihm ins Gesicht lachen können. Üchtritz überwand sich in seiner tiefbegründeten Verehrung für Hebbel und schwieg zu¬ nächst, im nächsten Jahre aber, wo der italienische Einheitsdrnng und Schwung über den zweideutigen Befreier Napoleon den Dritten hinweg seine Stärke be¬ währte, schrieb er ihm einfach: „An der Befähigung und Würdigkeit der Ita¬ liener, sich als Volk zu konstituiren, werden Sie jetzt unmöglich mehr zweifeln können." Und wenn Hebbel dann über den deutschen Kosmopolitismus schalt, der sich für die Befreiung der Italiener interessire (oder wie der Satz in Hebbels drastischer Bildersprache lautete: „der dem falschen, ränkesüchtigen, alles Deutsche verachtenden Italiener im Flohfang beistehen möchte"), während er der dänischen Tyrannei in den edelsten deutschen Provinzen gelassen zusehe, so war das nicht viel mehr als ein geschickter Fechterstreich. Unablässig lagen seine eignen Einsichten, seine heißen Empfindungen und Wünsche für Deutschlands Zukunft (die ja auch die Befreiung der schleswig- holsteiuischen Heimat bringen mußte) und die in Wien angenommnen Borurteile im harten Kampfe mit einander. Als Preußen im Frühling 1859 für Öster¬ reichs italienischen Besitz nicht ohne weiteres zu den Waffen griff, hegte Hebbel die Furcht, daß die Rheinprovinzen der Lombardei folgen würden, und traute ebeu Preußen nicht die Kraft und Macht zu, dn zu stehen und zu siege», wo Österreich unterlegen war. Bereits im folgenden Jahre war er so weit, an Üchtritz zu schreiben: „Daß wir die politischen Ereignisse des vorigen Jahres verschieden beurteilen würden, mußte ich erwarten; wenn Sie aber Zorn i» meinen Worten bemerkt haben wollen, Zorn über die Verkehrtheit und Schwäche der von Ihnen vertretnen Ansicht, so kann ich Sie versichern, daß ich von der Stimmung weit entfernt war, die es einer solchen Empfindung verstattet hätte, nur auch nur unwillkürlich durch die Feder zu fließen. Mich erfüllte nichts, als der tiefste Schmerz, gerade Deutschland dem tragischen Gesetz, das alle Verständigung der Parteien ausschließt und die Losung an den Kampf knüpft, verfallen sehen zu müssen; ich war so weit davon entfernt, zu verur¬ teilen und zu verdammen, wenn ich mich auch, wie sich wohl jeder in der Bedrängnis des Moments einbildet, zum Chor rechnen zu dürfen glaubte, daß ich die Politik der Vergangenheit mit der der Gegenwart entschuldigte und umgekehrt; wie hätte in dem alten Tragiker Wohl der Zorn aufflammen können? Auch jetzt schaue ich dein weitern Verlauf der Dinge nur mit der bittersten Wehmut zu, obgleich alles, was geschehen ist und waS bevorzustehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/272>, abgerufen am 23.07.2024.