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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Briefwechsel

nach der Innsbrucker Hofburg. Schon die Zusammensetzung dieser Deputation
war wunderlich genug, Hebbel neben Saphir und Otto Prechtler, zu denen
sich noch ein Dr. Wildner gesellte; noch wunderlicher der Verlauf der Dinge.
Während den nach Innsbruck reisenden die Nachrichten von weitern Revo-
lutionswirreu in Wien zu Schreckbildern wurde", sodaß Saphir den Mut zur
Weiterreise verlor und Hebbel wenigstens von Linz aus seine Frau beschwor,
Wien zu verlassen ("Ohne dich ist die Welt mir nichts; hab ich dich, so küm¬
mert es mich nicht, ob wir unsern Bettel verlieren oder behalten. Darum be¬
schwöre ich dich gleich, so bald die Sachen sich noch schlimmer stellen, sicher
zu kommen!"), liefen sie in Tirol Gefahr, von der loyal erregten Menge, die
in jedem Wiener Deputirten einen "Roten" vermutete, mißhandelt zu werden.
Am Hoflager wurden sie jedenfalls als unbequem augesehen, die persönlichen
Vorstellungen an den armen kranken Kaiser hatten natürlich keinen Erfolg, und
Hebbel, in dessen Natur es ein für allemal nicht lag, sich mit dem bloßen
Schein zu begnügen, drang auf Gehör beim Erzherzog Franz Karl, dem er
nicht verhehlte, daß die Wiederherstellung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit
in Wien von der Rückkehr des Kaisers abhängig sei. aber nicht, wie man am
Hofe meinte, ihr vorausgehen müsse. Man kann sich leicht vorstellen, daß das
Pathos, das ihm in solchen Dingen eigen war, von der Art seiner Wiener
Genossen weit abwich, und braucht sich nicht darüber zu Wundern, daß nach
Jahren und nnter gänzlich veränderten Verhältnissen der Wiener Spott sich
mit Vorliebe um das Auftreten Hebbels am Innsbrucker Hoflager heftete. Noch
vor kurzem ist in Adam Müller-Guttenbrunus Buche "Im Jahrhundert Grill-
parzers" nach Otto Prechtlers Erinnerungen die Geschichte dieser litterarischen
Abordnung wieder vorgesucht und Hebbel dadurch lächerlich gemacht worden,
daß erzählt wird, wie sich der arme geistig unzurechnungsfähige Kaiser vor
dem Nededonner des aufgeregten Dichters gefürchtet und schließlich vor ihm
hinter einen Tisch im Audienzsaale geflüchtet habe. Man darf der Wiene¬
rischen Malice ebenso gut die Erfindung einer solchen Anekdote zutrauen, wie
sie auf völliger Wahrheit beruhen kann, da sie mit deu bekannten Umständen
in keinem Widerspruch steht. Die Lächerlichkeit aber fällt auf die zurück, die
dem damals erst seit zwei Jahren in Österreich lebenden, alles schwer und
ernst nehmenden Dichter ohne weiteres mundeten, sich in ihre traurige Ge¬
wöhnung hineinzudenken, den epileptisch kranken Kaiser Ferdinand für nicht
viel mehr als einen "Trödel" zu nehmen und uuter dieser Voraussetzung die
Rolle in der tragikomischen Staatskomödic mit dem richtigen Accent zu spielen.

Überhaupt und ganz abgesehen von der verunglückten Teilnahme an der
Politik muß man sagen, daß, was der Dichter auch Wien zu danken hatte
lind wie gut er es verstand, sich innerhalb der gegebnen, für ihn ungünstigen
Bedingungen zu behaupten, er in der Kaiserstadt niemals recht an seinem Platze
gewesen ist. Den österreichischen Einwirkungen auf seine Anschauung der Welt-


Friedrich Hebbels Briefwechsel

nach der Innsbrucker Hofburg. Schon die Zusammensetzung dieser Deputation
war wunderlich genug, Hebbel neben Saphir und Otto Prechtler, zu denen
sich noch ein Dr. Wildner gesellte; noch wunderlicher der Verlauf der Dinge.
Während den nach Innsbruck reisenden die Nachrichten von weitern Revo-
lutionswirreu in Wien zu Schreckbildern wurde», sodaß Saphir den Mut zur
Weiterreise verlor und Hebbel wenigstens von Linz aus seine Frau beschwor,
Wien zu verlassen („Ohne dich ist die Welt mir nichts; hab ich dich, so küm¬
mert es mich nicht, ob wir unsern Bettel verlieren oder behalten. Darum be¬
schwöre ich dich gleich, so bald die Sachen sich noch schlimmer stellen, sicher
zu kommen!"), liefen sie in Tirol Gefahr, von der loyal erregten Menge, die
in jedem Wiener Deputirten einen „Roten" vermutete, mißhandelt zu werden.
Am Hoflager wurden sie jedenfalls als unbequem augesehen, die persönlichen
Vorstellungen an den armen kranken Kaiser hatten natürlich keinen Erfolg, und
Hebbel, in dessen Natur es ein für allemal nicht lag, sich mit dem bloßen
Schein zu begnügen, drang auf Gehör beim Erzherzog Franz Karl, dem er
nicht verhehlte, daß die Wiederherstellung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit
in Wien von der Rückkehr des Kaisers abhängig sei. aber nicht, wie man am
Hofe meinte, ihr vorausgehen müsse. Man kann sich leicht vorstellen, daß das
Pathos, das ihm in solchen Dingen eigen war, von der Art seiner Wiener
Genossen weit abwich, und braucht sich nicht darüber zu Wundern, daß nach
Jahren und nnter gänzlich veränderten Verhältnissen der Wiener Spott sich
mit Vorliebe um das Auftreten Hebbels am Innsbrucker Hoflager heftete. Noch
vor kurzem ist in Adam Müller-Guttenbrunus Buche „Im Jahrhundert Grill-
parzers" nach Otto Prechtlers Erinnerungen die Geschichte dieser litterarischen
Abordnung wieder vorgesucht und Hebbel dadurch lächerlich gemacht worden,
daß erzählt wird, wie sich der arme geistig unzurechnungsfähige Kaiser vor
dem Nededonner des aufgeregten Dichters gefürchtet und schließlich vor ihm
hinter einen Tisch im Audienzsaale geflüchtet habe. Man darf der Wiene¬
rischen Malice ebenso gut die Erfindung einer solchen Anekdote zutrauen, wie
sie auf völliger Wahrheit beruhen kann, da sie mit deu bekannten Umständen
in keinem Widerspruch steht. Die Lächerlichkeit aber fällt auf die zurück, die
dem damals erst seit zwei Jahren in Österreich lebenden, alles schwer und
ernst nehmenden Dichter ohne weiteres mundeten, sich in ihre traurige Ge¬
wöhnung hineinzudenken, den epileptisch kranken Kaiser Ferdinand für nicht
viel mehr als einen „Trödel" zu nehmen und uuter dieser Voraussetzung die
Rolle in der tragikomischen Staatskomödic mit dem richtigen Accent zu spielen.

Überhaupt und ganz abgesehen von der verunglückten Teilnahme an der
Politik muß man sagen, daß, was der Dichter auch Wien zu danken hatte
lind wie gut er es verstand, sich innerhalb der gegebnen, für ihn ungünstigen
Bedingungen zu behaupten, er in der Kaiserstadt niemals recht an seinem Platze
gewesen ist. Den österreichischen Einwirkungen auf seine Anschauung der Welt-


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[0270] Friedrich Hebbels Briefwechsel nach der Innsbrucker Hofburg. Schon die Zusammensetzung dieser Deputation war wunderlich genug, Hebbel neben Saphir und Otto Prechtler, zu denen sich noch ein Dr. Wildner gesellte; noch wunderlicher der Verlauf der Dinge. Während den nach Innsbruck reisenden die Nachrichten von weitern Revo- lutionswirreu in Wien zu Schreckbildern wurde», sodaß Saphir den Mut zur Weiterreise verlor und Hebbel wenigstens von Linz aus seine Frau beschwor, Wien zu verlassen („Ohne dich ist die Welt mir nichts; hab ich dich, so küm¬ mert es mich nicht, ob wir unsern Bettel verlieren oder behalten. Darum be¬ schwöre ich dich gleich, so bald die Sachen sich noch schlimmer stellen, sicher zu kommen!"), liefen sie in Tirol Gefahr, von der loyal erregten Menge, die in jedem Wiener Deputirten einen „Roten" vermutete, mißhandelt zu werden. Am Hoflager wurden sie jedenfalls als unbequem augesehen, die persönlichen Vorstellungen an den armen kranken Kaiser hatten natürlich keinen Erfolg, und Hebbel, in dessen Natur es ein für allemal nicht lag, sich mit dem bloßen Schein zu begnügen, drang auf Gehör beim Erzherzog Franz Karl, dem er nicht verhehlte, daß die Wiederherstellung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit in Wien von der Rückkehr des Kaisers abhängig sei. aber nicht, wie man am Hofe meinte, ihr vorausgehen müsse. Man kann sich leicht vorstellen, daß das Pathos, das ihm in solchen Dingen eigen war, von der Art seiner Wiener Genossen weit abwich, und braucht sich nicht darüber zu Wundern, daß nach Jahren und nnter gänzlich veränderten Verhältnissen der Wiener Spott sich mit Vorliebe um das Auftreten Hebbels am Innsbrucker Hoflager heftete. Noch vor kurzem ist in Adam Müller-Guttenbrunus Buche „Im Jahrhundert Grill- parzers" nach Otto Prechtlers Erinnerungen die Geschichte dieser litterarischen Abordnung wieder vorgesucht und Hebbel dadurch lächerlich gemacht worden, daß erzählt wird, wie sich der arme geistig unzurechnungsfähige Kaiser vor dem Nededonner des aufgeregten Dichters gefürchtet und schließlich vor ihm hinter einen Tisch im Audienzsaale geflüchtet habe. Man darf der Wiene¬ rischen Malice ebenso gut die Erfindung einer solchen Anekdote zutrauen, wie sie auf völliger Wahrheit beruhen kann, da sie mit deu bekannten Umständen in keinem Widerspruch steht. Die Lächerlichkeit aber fällt auf die zurück, die dem damals erst seit zwei Jahren in Österreich lebenden, alles schwer und ernst nehmenden Dichter ohne weiteres mundeten, sich in ihre traurige Ge¬ wöhnung hineinzudenken, den epileptisch kranken Kaiser Ferdinand für nicht viel mehr als einen „Trödel" zu nehmen und uuter dieser Voraussetzung die Rolle in der tragikomischen Staatskomödic mit dem richtigen Accent zu spielen. Überhaupt und ganz abgesehen von der verunglückten Teilnahme an der Politik muß man sagen, daß, was der Dichter auch Wien zu danken hatte lind wie gut er es verstand, sich innerhalb der gegebnen, für ihn ungünstigen Bedingungen zu behaupten, er in der Kaiserstadt niemals recht an seinem Platze gewesen ist. Den österreichischen Einwirkungen auf seine Anschauung der Welt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/270>, abgerufen am 03.07.2024.