Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Theodor von Bernhards Jugenderinnerungen spätern Schwiegervaters, des Admirals von Krusenstern, von dem er sagt: Meisterhaft sind seine Schilderungen esthnischen Stilllebens, denen eine In diese Weltabgeschiedenheit drangen nur wenige Nachrichten aus dem In der provinziellen Vereinzelung Esthlands gediehen Originale wie jenes Auch wer aus dem Westen in diese Luft kam, verfiel in manchen Fällen Theodor von Bernhards Jugenderinnerungen spätern Schwiegervaters, des Admirals von Krusenstern, von dem er sagt: Meisterhaft sind seine Schilderungen esthnischen Stilllebens, denen eine In diese Weltabgeschiedenheit drangen nur wenige Nachrichten aus dem In der provinziellen Vereinzelung Esthlands gediehen Originale wie jenes Auch wer aus dem Westen in diese Luft kam, verfiel in manchen Fällen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214719"/> <fw type="header" place="top"> Theodor von Bernhards Jugenderinnerungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1020" prev="#ID_1019"> spätern Schwiegervaters, des Admirals von Krusenstern, von dem er sagt:<lb/> „Während die meisten seiner Landsleute Rußland ziemlich gleichgültig be¬<lb/> trachteten, von einem Vaterlande überhaupt nichts wußten und ausschließlich<lb/> ihren provinziellen Svnderinteressen lebten, war Krusenstern Patriot aus Pflicht¬<lb/> gefühl, nicht nur zu jedem Opfer bereit für den Staat, dem er einmal an¬<lb/> gehörte, sondern anch bereit, diese Opfer mit Begeisterung zu bringen." Diese<lb/> Unbefangenheit des Urteils ist um so anerkennenswerter, als sich Bernhardt<lb/> schon in frühester Jugend durchaus als Deutscher fühlte und während jenes<lb/> ländlichen Stilllebens keine größere Sehnsucht hatte als die nach einer dentschen<lb/> Universität.</p><lb/> <p xml:id="ID_1021"> Meisterhaft sind seine Schilderungen esthnischen Stilllebens, denen eine<lb/> Schilderung der Landschaft zur Grundlage dient. Wir sehen die flache Hoch¬<lb/> ebne vor uns, die aus Kalkfelsen ruht und gegen das Meer hin mit einem<lb/> jähen Felsabhang endet. Die nicht zahlreichen Bäche haben so wenig Wasser<lb/> und so geringes Gefälle, daß sie meist Sümpfe bilden und langsam ohne Thal<lb/> und Thalränder dahingleiten. Nur wo sich mehrere vereinigen, gelingt es<lb/> ihnen, eine Schlucht in die Hochebne einzuschneiden und sich ins Meer hinab¬<lb/> zustürzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1022"> In diese Weltabgeschiedenheit drangen nur wenige Nachrichten aus dem<lb/> europäischen Westen, die noch dazu manchmal so beschaffen waren, wie die Mit¬<lb/> teilung eines wandernden Tierarztes ans Ungarn, ans denen ein Kammer¬<lb/> diener die Kunde entnahm, die Österreicher hätten Schlesien besetzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1023"> In der provinziellen Vereinzelung Esthlands gediehen Originale wie jenes<lb/> Ehepaar, dessen Schloß ans einer Reihe neben einander liegender und nur<lb/> unter sich zusammenhängender Zimmer bestand, deren mittleres das Schlafzimmer<lb/> war, von dem aus die Schloßherrin jedem ihrer Gäste seine Stelle anwies:<lb/> „Hier sind die Mcumsen, dort sind die Dans!" Noch ergötzlicher ist der alte<lb/> Oberst, der den reichlichen Genuß starken Weines dadurch ausglich, daß er<lb/> vor dem Schlafengehen sehr heißen Thee trank und sich dann in Federbetten<lb/> begrub, beim Aufstehen fünf Schlafrocke übereinander anzog, ebensoviele<lb/> Schlafmützen aufsetzte, und bis zum Mittagessen die Zeit damit zubrachte, daß<lb/> er sich allmählich aus diesen Umhüllungen herausschälen ließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_1024" next="#ID_1025"> Auch wer aus dem Westen in diese Luft kam, verfiel in manchen Fällen<lb/> diesem Zuge provinzieller Komik, wie jener Professor Morgenstern, der den<lb/> Kopf nach links gesenkt trug, weil mau in seiner Jugend eine Ähnlichkeit mit<lb/> dem Christus vou Leonardo da Vinci an ihm gefunden hatte, oder der hau-<lb/> »översche Fähndrich, der sich, nachdem er eine ungewöhnlich häßliche alte<lb/> Jungfrau geheiratet hatte, von ihm selbst angefertigte Briefe kommen ließ, in<lb/> denen ihm ernste Vorwürfe darüber gemacht wurden, daß er seiner Zeit die<lb/> reizende junge Fürstin Sapieha nicht geheiratet habe. Unterbrochen wurde<lb/> das Stillleben auf deu einsamen Edelhöfen durch russische Offiziere, die mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0264]
Theodor von Bernhards Jugenderinnerungen
spätern Schwiegervaters, des Admirals von Krusenstern, von dem er sagt:
„Während die meisten seiner Landsleute Rußland ziemlich gleichgültig be¬
trachteten, von einem Vaterlande überhaupt nichts wußten und ausschließlich
ihren provinziellen Svnderinteressen lebten, war Krusenstern Patriot aus Pflicht¬
gefühl, nicht nur zu jedem Opfer bereit für den Staat, dem er einmal an¬
gehörte, sondern anch bereit, diese Opfer mit Begeisterung zu bringen." Diese
Unbefangenheit des Urteils ist um so anerkennenswerter, als sich Bernhardt
schon in frühester Jugend durchaus als Deutscher fühlte und während jenes
ländlichen Stilllebens keine größere Sehnsucht hatte als die nach einer dentschen
Universität.
Meisterhaft sind seine Schilderungen esthnischen Stilllebens, denen eine
Schilderung der Landschaft zur Grundlage dient. Wir sehen die flache Hoch¬
ebne vor uns, die aus Kalkfelsen ruht und gegen das Meer hin mit einem
jähen Felsabhang endet. Die nicht zahlreichen Bäche haben so wenig Wasser
und so geringes Gefälle, daß sie meist Sümpfe bilden und langsam ohne Thal
und Thalränder dahingleiten. Nur wo sich mehrere vereinigen, gelingt es
ihnen, eine Schlucht in die Hochebne einzuschneiden und sich ins Meer hinab¬
zustürzen.
In diese Weltabgeschiedenheit drangen nur wenige Nachrichten aus dem
europäischen Westen, die noch dazu manchmal so beschaffen waren, wie die Mit¬
teilung eines wandernden Tierarztes ans Ungarn, ans denen ein Kammer¬
diener die Kunde entnahm, die Österreicher hätten Schlesien besetzt.
In der provinziellen Vereinzelung Esthlands gediehen Originale wie jenes
Ehepaar, dessen Schloß ans einer Reihe neben einander liegender und nur
unter sich zusammenhängender Zimmer bestand, deren mittleres das Schlafzimmer
war, von dem aus die Schloßherrin jedem ihrer Gäste seine Stelle anwies:
„Hier sind die Mcumsen, dort sind die Dans!" Noch ergötzlicher ist der alte
Oberst, der den reichlichen Genuß starken Weines dadurch ausglich, daß er
vor dem Schlafengehen sehr heißen Thee trank und sich dann in Federbetten
begrub, beim Aufstehen fünf Schlafrocke übereinander anzog, ebensoviele
Schlafmützen aufsetzte, und bis zum Mittagessen die Zeit damit zubrachte, daß
er sich allmählich aus diesen Umhüllungen herausschälen ließ.
Auch wer aus dem Westen in diese Luft kam, verfiel in manchen Fällen
diesem Zuge provinzieller Komik, wie jener Professor Morgenstern, der den
Kopf nach links gesenkt trug, weil mau in seiner Jugend eine Ähnlichkeit mit
dem Christus vou Leonardo da Vinci an ihm gefunden hatte, oder der hau-
»översche Fähndrich, der sich, nachdem er eine ungewöhnlich häßliche alte
Jungfrau geheiratet hatte, von ihm selbst angefertigte Briefe kommen ließ, in
denen ihm ernste Vorwürfe darüber gemacht wurden, daß er seiner Zeit die
reizende junge Fürstin Sapieha nicht geheiratet habe. Unterbrochen wurde
das Stillleben auf deu einsamen Edelhöfen durch russische Offiziere, die mit
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |