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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

befindliche Persönlichkeit, die womöglich bei der nächsten Herbstwahl etwas
Berücksichtigung beim Janhagel wünscht, in ein Trinklokal, so kann man sicher
sein, daß alsbald einige schmunzelnde Eckensteher bereit sind, ein Trinkgeld für
die nächsten Wahlen vorweg zu nehmen.

Was trinkst du, Jack? war natürlich die Frage des lwiioriMs.juclM
an die neuangekommnen, und mit unnachahmlicher Fixigkeit ließ der finger¬
fertige Wirt mehrere MlüsIcL^-I'oääic!" auf dem Ladentische antanzen, als ob
er das Eintreffen der neuen Gäste schon geahnt hätte.

Jack, Bill, Freddy u. s. w. waren natürlich alles der Geburt nach Deutsche,
die ein scheußliches Englisch zu dem Richter sprachen, mit Ausnahme des
einzigen Pät, des Jrlünders. Jeder Jrländer heißt nämlich Pät (Patrick),
wenn er auch Tom oder Gustav heißt. Diese Gentlemen rochen so nach allen
denkbaren Dingen, daß ich froh war, als ich aus dem niedrigen kleinen
Raum wieder heraus war. Herr von Nachdem, der nicht zum trsg-t gekommen
war, nötigte uns dann noch in ein andres derartiges Lokal, wo sich fast die¬
selbe Szene wiederholt Hütte, wenn nicht Richter Boland um Entschuldigung
gebeten und sich aufs Gericht begeben hätte, wo er seines Amtes zu walten
hatte.

Das Straßenleben einer solchen Stadt kann den, der an die Ordnung
und Sauberkeit Berlins gewöhnt ist, zur Verzweiflung bringen. Alles stürmt
und jagt ohne andre Rücksichten auf den Nächsten als die, die die Achtung
vor der Arbeit und der Respekt vor der schwieligen Faust gerade erheischt.
Die Bürgersteige sind mit Trottoirs belegt, aber niemand kommt es in den
Sinn, daß das einen Schönheitszweck hat, denn die Trottoirs sind wieder
in so großen Lettern mit Geschüftsanzeigen verunziert, und aller Unrat von
Verkaufsständen (Obstschalen, Papierfetzen) liegt überall so massenhaft um¬
her, daß von Schönheit und Gleichmäßigkeit beim Anblick dieser Trottoirs
nicht die Rede sein kann, geschweige denn beim Anblick des Fahrdamms und
der Häuserfronten, die mit den lächerlichsten und häßlichsten Sachen geradezu
überlade" sind. Hier hängt ein drei Stockwerke langes nacktes, bunt angestrichnes
hölzernes Bein zum Fenster heraus und weht im Winde über den Köpfen der
Vorübergehenden; dort ist es ein Riesenbruchband oder eine Riesenbrille, die
die Fernsicht versperrt. Alle Fenster, bis hinauf zum vierzehnten, fünfzehnten
Stockwerk, sind mit großen, in die Augen fallenden Buchstaben verunziert.
Und dabei um uns her die seltsamsten Gestalten. An Trachten freilich giebt es hier
außer denen der chinesischen Wüscher und chinesischen Ärzte nichts außergewöhn¬
liches. Höchstens fällt in den kältern Monaten die Vorliebe der Neger für
Opoffumpelzbesatz auf, der meist ein sehr ruppiges Aussehen hat, oder die
Vorliebe der Herren für Schlcipphüte, mit Ausnahme der Pastoren, der höhern
Gerichtsbeamten und der Bankiers u. s. w., die dem seidnen Cylinder huldigen.
Die Damenkleidttng ist geschmackvoll und dabei kühn. Unter den geöffneten


Bilder aus dem Westen

befindliche Persönlichkeit, die womöglich bei der nächsten Herbstwahl etwas
Berücksichtigung beim Janhagel wünscht, in ein Trinklokal, so kann man sicher
sein, daß alsbald einige schmunzelnde Eckensteher bereit sind, ein Trinkgeld für
die nächsten Wahlen vorweg zu nehmen.

Was trinkst du, Jack? war natürlich die Frage des lwiioriMs.juclM
an die neuangekommnen, und mit unnachahmlicher Fixigkeit ließ der finger¬
fertige Wirt mehrere MlüsIcL^-I'oääic!« auf dem Ladentische antanzen, als ob
er das Eintreffen der neuen Gäste schon geahnt hätte.

Jack, Bill, Freddy u. s. w. waren natürlich alles der Geburt nach Deutsche,
die ein scheußliches Englisch zu dem Richter sprachen, mit Ausnahme des
einzigen Pät, des Jrlünders. Jeder Jrländer heißt nämlich Pät (Patrick),
wenn er auch Tom oder Gustav heißt. Diese Gentlemen rochen so nach allen
denkbaren Dingen, daß ich froh war, als ich aus dem niedrigen kleinen
Raum wieder heraus war. Herr von Nachdem, der nicht zum trsg-t gekommen
war, nötigte uns dann noch in ein andres derartiges Lokal, wo sich fast die¬
selbe Szene wiederholt Hütte, wenn nicht Richter Boland um Entschuldigung
gebeten und sich aufs Gericht begeben hätte, wo er seines Amtes zu walten
hatte.

Das Straßenleben einer solchen Stadt kann den, der an die Ordnung
und Sauberkeit Berlins gewöhnt ist, zur Verzweiflung bringen. Alles stürmt
und jagt ohne andre Rücksichten auf den Nächsten als die, die die Achtung
vor der Arbeit und der Respekt vor der schwieligen Faust gerade erheischt.
Die Bürgersteige sind mit Trottoirs belegt, aber niemand kommt es in den
Sinn, daß das einen Schönheitszweck hat, denn die Trottoirs sind wieder
in so großen Lettern mit Geschüftsanzeigen verunziert, und aller Unrat von
Verkaufsständen (Obstschalen, Papierfetzen) liegt überall so massenhaft um¬
her, daß von Schönheit und Gleichmäßigkeit beim Anblick dieser Trottoirs
nicht die Rede sein kann, geschweige denn beim Anblick des Fahrdamms und
der Häuserfronten, die mit den lächerlichsten und häßlichsten Sachen geradezu
überlade» sind. Hier hängt ein drei Stockwerke langes nacktes, bunt angestrichnes
hölzernes Bein zum Fenster heraus und weht im Winde über den Köpfen der
Vorübergehenden; dort ist es ein Riesenbruchband oder eine Riesenbrille, die
die Fernsicht versperrt. Alle Fenster, bis hinauf zum vierzehnten, fünfzehnten
Stockwerk, sind mit großen, in die Augen fallenden Buchstaben verunziert.
Und dabei um uns her die seltsamsten Gestalten. An Trachten freilich giebt es hier
außer denen der chinesischen Wüscher und chinesischen Ärzte nichts außergewöhn¬
liches. Höchstens fällt in den kältern Monaten die Vorliebe der Neger für
Opoffumpelzbesatz auf, der meist ein sehr ruppiges Aussehen hat, oder die
Vorliebe der Herren für Schlcipphüte, mit Ausnahme der Pastoren, der höhern
Gerichtsbeamten und der Bankiers u. s. w., die dem seidnen Cylinder huldigen.
Die Damenkleidttng ist geschmackvoll und dabei kühn. Unter den geöffneten


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[0236] Bilder aus dem Westen befindliche Persönlichkeit, die womöglich bei der nächsten Herbstwahl etwas Berücksichtigung beim Janhagel wünscht, in ein Trinklokal, so kann man sicher sein, daß alsbald einige schmunzelnde Eckensteher bereit sind, ein Trinkgeld für die nächsten Wahlen vorweg zu nehmen. Was trinkst du, Jack? war natürlich die Frage des lwiioriMs.juclM an die neuangekommnen, und mit unnachahmlicher Fixigkeit ließ der finger¬ fertige Wirt mehrere MlüsIcL^-I'oääic!« auf dem Ladentische antanzen, als ob er das Eintreffen der neuen Gäste schon geahnt hätte. Jack, Bill, Freddy u. s. w. waren natürlich alles der Geburt nach Deutsche, die ein scheußliches Englisch zu dem Richter sprachen, mit Ausnahme des einzigen Pät, des Jrlünders. Jeder Jrländer heißt nämlich Pät (Patrick), wenn er auch Tom oder Gustav heißt. Diese Gentlemen rochen so nach allen denkbaren Dingen, daß ich froh war, als ich aus dem niedrigen kleinen Raum wieder heraus war. Herr von Nachdem, der nicht zum trsg-t gekommen war, nötigte uns dann noch in ein andres derartiges Lokal, wo sich fast die¬ selbe Szene wiederholt Hütte, wenn nicht Richter Boland um Entschuldigung gebeten und sich aufs Gericht begeben hätte, wo er seines Amtes zu walten hatte. Das Straßenleben einer solchen Stadt kann den, der an die Ordnung und Sauberkeit Berlins gewöhnt ist, zur Verzweiflung bringen. Alles stürmt und jagt ohne andre Rücksichten auf den Nächsten als die, die die Achtung vor der Arbeit und der Respekt vor der schwieligen Faust gerade erheischt. Die Bürgersteige sind mit Trottoirs belegt, aber niemand kommt es in den Sinn, daß das einen Schönheitszweck hat, denn die Trottoirs sind wieder in so großen Lettern mit Geschüftsanzeigen verunziert, und aller Unrat von Verkaufsständen (Obstschalen, Papierfetzen) liegt überall so massenhaft um¬ her, daß von Schönheit und Gleichmäßigkeit beim Anblick dieser Trottoirs nicht die Rede sein kann, geschweige denn beim Anblick des Fahrdamms und der Häuserfronten, die mit den lächerlichsten und häßlichsten Sachen geradezu überlade» sind. Hier hängt ein drei Stockwerke langes nacktes, bunt angestrichnes hölzernes Bein zum Fenster heraus und weht im Winde über den Köpfen der Vorübergehenden; dort ist es ein Riesenbruchband oder eine Riesenbrille, die die Fernsicht versperrt. Alle Fenster, bis hinauf zum vierzehnten, fünfzehnten Stockwerk, sind mit großen, in die Augen fallenden Buchstaben verunziert. Und dabei um uns her die seltsamsten Gestalten. An Trachten freilich giebt es hier außer denen der chinesischen Wüscher und chinesischen Ärzte nichts außergewöhn¬ liches. Höchstens fällt in den kältern Monaten die Vorliebe der Neger für Opoffumpelzbesatz auf, der meist ein sehr ruppiges Aussehen hat, oder die Vorliebe der Herren für Schlcipphüte, mit Ausnahme der Pastoren, der höhern Gerichtsbeamten und der Bankiers u. s. w., die dem seidnen Cylinder huldigen. Die Damenkleidttng ist geschmackvoll und dabei kühn. Unter den geöffneten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/236>, abgerufen am 24.07.2024.