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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Mänteln der vor den Läden in den Kutscher haltenden Ladies sieht man viel
Brillanten, viel ausgeschnittene Kleider und viel grelle Seide und Spitzen.
In allen Blicken ist etwas hastiges, unstütes, selbst in den Blicken der Kinder;
selten zeigen sie etwas sinniges oder träumerisches. Aber nicht nur das hastige,
auch das mißtrauische, feindselige, das der ausbeuterische Geschäftsbetrieb unsrer
heutigen Gesellschaft mit sich bringt, Prägt sich deutlich auf den meisten Ge¬
sichtern aus, nur mit Ausnahme jener Eckensteher, die, nach Arbeit lungernd,
sich dort am Geländer des Baues aufhalten, teils stehend, sich streckend und
wenn sie gähnen, mit Armen und Beinen dein Vorübergehenden entgegen¬
fahrend, teils ans dein Geländer des Bruch sitzend und derartig mit den
Beinen baumelnd, daß man beim Vorbeigehen einen Bogen machen muß, um
nicht von ihren Füßen einen Schlag ans Schienbein zu bekommen. Auch
aus andern Gründen ist es ratsam, womöglich bis zum Straßendcunm
vor diesen tabakkauenden Irländern und Negern auszubiegen, denn wo sie
sitzen, ist das Trottoir ringsum braungesprenkelt. Diese scheußliche Unsitte
ist in ihren Angen der Ausdruck des amerikanischen Unabhüngigkeitsgeftthls,
und die Polizei weiß recht gut, warum sie gegen dies "Stimmmaterial" nach¬
sichtig ist. Denn es ist die Knüppelgarde, die zur Zeit der Wahl überall auf
dem Posten ist und nötigenfalls das Unmögliche möglich zu macheu versteht,
das Gas anstrebt, die Stimmkasten durcheinanderwirft und schließlich mit
Pistolen bewaffnet bei der Wahl den Ausschlag giebt - - d. h. wenn es sein
muß, wenn es gar nicht anders geht! An einer andern Ecke, in der Nähe
eines Möbelauktionslokals, wo Küchengeschirre und Schlafstubengerütschaften
die Straße verbauen, treiben sich Neger herum, die einen Auftrag oder eine
Bestellung suchen, Kragen und Ärmel des Überziehers mit abgeschabten Opossum¬
pelz geziert. Gelbgrau bis gelbschwarz vou Gesichtsfarbe, mager, immer schwitzend,
verschmitzt um sich schauend, versperren sie, in politische Unterhaltung vertieft,
die Trottoirs vor diesen und ähnlichen Verkaufsladen zweiter Klasse, wo alte
Sache feilgeboten oder verauktionirt werden, oder vor den Barbiersalons und
Whiskeysalons, wo etwas für sie abfallen könnte.

Diese untern Zehntausend, die überall bei jedem größern und kleinern
neuen Unternehmen geschäftig mit dabei sind, diese tausend fleißigen Hände,
die sich trotz aller anscheinenden Müßigkeit hier ans dem Trottoir sofort, wenn
es verlangt wird, "in munterm Bund regen," sie sind es aber doch, die die
Zivilisationsarbeiten nach Westen vorwärts schieben im Verein mit den Zwischen¬
decklern, die auf einem der letzten Dampfer ihr letztes ans dem alternden Europa
gerettetes Scherflein mit herübergebracht haben. Darum sind sie nicht ge¬
ringer anzuschlagen als die obern Zehntausend, die draußen an den pracht¬
vollen Boulevards in malerischen Villen wohnen und nur auf ein paar
Stunden in das Gewühl der Geschäftsstadt untertauchen.

Mit den obern Zehntausend werden Sie bekannt werden, wenn Sie die


Mänteln der vor den Läden in den Kutscher haltenden Ladies sieht man viel
Brillanten, viel ausgeschnittene Kleider und viel grelle Seide und Spitzen.
In allen Blicken ist etwas hastiges, unstütes, selbst in den Blicken der Kinder;
selten zeigen sie etwas sinniges oder träumerisches. Aber nicht nur das hastige,
auch das mißtrauische, feindselige, das der ausbeuterische Geschäftsbetrieb unsrer
heutigen Gesellschaft mit sich bringt, Prägt sich deutlich auf den meisten Ge¬
sichtern aus, nur mit Ausnahme jener Eckensteher, die, nach Arbeit lungernd,
sich dort am Geländer des Baues aufhalten, teils stehend, sich streckend und
wenn sie gähnen, mit Armen und Beinen dein Vorübergehenden entgegen¬
fahrend, teils ans dein Geländer des Bruch sitzend und derartig mit den
Beinen baumelnd, daß man beim Vorbeigehen einen Bogen machen muß, um
nicht von ihren Füßen einen Schlag ans Schienbein zu bekommen. Auch
aus andern Gründen ist es ratsam, womöglich bis zum Straßendcunm
vor diesen tabakkauenden Irländern und Negern auszubiegen, denn wo sie
sitzen, ist das Trottoir ringsum braungesprenkelt. Diese scheußliche Unsitte
ist in ihren Angen der Ausdruck des amerikanischen Unabhüngigkeitsgeftthls,
und die Polizei weiß recht gut, warum sie gegen dies „Stimmmaterial" nach¬
sichtig ist. Denn es ist die Knüppelgarde, die zur Zeit der Wahl überall auf
dem Posten ist und nötigenfalls das Unmögliche möglich zu macheu versteht,
das Gas anstrebt, die Stimmkasten durcheinanderwirft und schließlich mit
Pistolen bewaffnet bei der Wahl den Ausschlag giebt - - d. h. wenn es sein
muß, wenn es gar nicht anders geht! An einer andern Ecke, in der Nähe
eines Möbelauktionslokals, wo Küchengeschirre und Schlafstubengerütschaften
die Straße verbauen, treiben sich Neger herum, die einen Auftrag oder eine
Bestellung suchen, Kragen und Ärmel des Überziehers mit abgeschabten Opossum¬
pelz geziert. Gelbgrau bis gelbschwarz vou Gesichtsfarbe, mager, immer schwitzend,
verschmitzt um sich schauend, versperren sie, in politische Unterhaltung vertieft,
die Trottoirs vor diesen und ähnlichen Verkaufsladen zweiter Klasse, wo alte
Sache feilgeboten oder verauktionirt werden, oder vor den Barbiersalons und
Whiskeysalons, wo etwas für sie abfallen könnte.

Diese untern Zehntausend, die überall bei jedem größern und kleinern
neuen Unternehmen geschäftig mit dabei sind, diese tausend fleißigen Hände,
die sich trotz aller anscheinenden Müßigkeit hier ans dem Trottoir sofort, wenn
es verlangt wird, „in munterm Bund regen," sie sind es aber doch, die die
Zivilisationsarbeiten nach Westen vorwärts schieben im Verein mit den Zwischen¬
decklern, die auf einem der letzten Dampfer ihr letztes ans dem alternden Europa
gerettetes Scherflein mit herübergebracht haben. Darum sind sie nicht ge¬
ringer anzuschlagen als die obern Zehntausend, die draußen an den pracht¬
vollen Boulevards in malerischen Villen wohnen und nur auf ein paar
Stunden in das Gewühl der Geschäftsstadt untertauchen.

Mit den obern Zehntausend werden Sie bekannt werden, wenn Sie die


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[0237] Mänteln der vor den Läden in den Kutscher haltenden Ladies sieht man viel Brillanten, viel ausgeschnittene Kleider und viel grelle Seide und Spitzen. In allen Blicken ist etwas hastiges, unstütes, selbst in den Blicken der Kinder; selten zeigen sie etwas sinniges oder träumerisches. Aber nicht nur das hastige, auch das mißtrauische, feindselige, das der ausbeuterische Geschäftsbetrieb unsrer heutigen Gesellschaft mit sich bringt, Prägt sich deutlich auf den meisten Ge¬ sichtern aus, nur mit Ausnahme jener Eckensteher, die, nach Arbeit lungernd, sich dort am Geländer des Baues aufhalten, teils stehend, sich streckend und wenn sie gähnen, mit Armen und Beinen dein Vorübergehenden entgegen¬ fahrend, teils ans dein Geländer des Bruch sitzend und derartig mit den Beinen baumelnd, daß man beim Vorbeigehen einen Bogen machen muß, um nicht von ihren Füßen einen Schlag ans Schienbein zu bekommen. Auch aus andern Gründen ist es ratsam, womöglich bis zum Straßendcunm vor diesen tabakkauenden Irländern und Negern auszubiegen, denn wo sie sitzen, ist das Trottoir ringsum braungesprenkelt. Diese scheußliche Unsitte ist in ihren Angen der Ausdruck des amerikanischen Unabhüngigkeitsgeftthls, und die Polizei weiß recht gut, warum sie gegen dies „Stimmmaterial" nach¬ sichtig ist. Denn es ist die Knüppelgarde, die zur Zeit der Wahl überall auf dem Posten ist und nötigenfalls das Unmögliche möglich zu macheu versteht, das Gas anstrebt, die Stimmkasten durcheinanderwirft und schließlich mit Pistolen bewaffnet bei der Wahl den Ausschlag giebt - - d. h. wenn es sein muß, wenn es gar nicht anders geht! An einer andern Ecke, in der Nähe eines Möbelauktionslokals, wo Küchengeschirre und Schlafstubengerütschaften die Straße verbauen, treiben sich Neger herum, die einen Auftrag oder eine Bestellung suchen, Kragen und Ärmel des Überziehers mit abgeschabten Opossum¬ pelz geziert. Gelbgrau bis gelbschwarz vou Gesichtsfarbe, mager, immer schwitzend, verschmitzt um sich schauend, versperren sie, in politische Unterhaltung vertieft, die Trottoirs vor diesen und ähnlichen Verkaufsladen zweiter Klasse, wo alte Sache feilgeboten oder verauktionirt werden, oder vor den Barbiersalons und Whiskeysalons, wo etwas für sie abfallen könnte. Diese untern Zehntausend, die überall bei jedem größern und kleinern neuen Unternehmen geschäftig mit dabei sind, diese tausend fleißigen Hände, die sich trotz aller anscheinenden Müßigkeit hier ans dem Trottoir sofort, wenn es verlangt wird, „in munterm Bund regen," sie sind es aber doch, die die Zivilisationsarbeiten nach Westen vorwärts schieben im Verein mit den Zwischen¬ decklern, die auf einem der letzten Dampfer ihr letztes ans dem alternden Europa gerettetes Scherflein mit herübergebracht haben. Darum sind sie nicht ge¬ ringer anzuschlagen als die obern Zehntausend, die draußen an den pracht¬ vollen Boulevards in malerischen Villen wohnen und nur auf ein paar Stunden in das Gewühl der Geschäftsstadt untertauchen. Mit den obern Zehntausend werden Sie bekannt werden, wenn Sie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/237>, abgerufen am 24.07.2024.