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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

Kansas City zählt etwa 200 000 Einwohner, darunter 15 000 Deutsche,
wohl an 30 000 Jrlcinder und 50 000 Neger. Von den 15 000 Deutschen
beschäftigt sich bei weitem die größere Hälfte mit dem Bier; entweder arbeite"
sie in einer der größern deutschen Brauereien, oder in Bierwirtschaften, deren
die Stadt mindestens hundert deutsche zählt. Die am Markt gelegne kleine
Wirtschaft, die wir betraten, glich den meisten übrigen: abgesehen von einigen
wenigen eleganten mit Nußbaumtäfelung an den Wänden und großartigem
Nußbaumladentisch und -Spiegel ausgestatteten roomZ*) unterscheidet sich die
Mehrzahl nur wenig von den bekannten Berliner Destillen, den Kutscherkneipen.
Sie haben einen Ladentisch, dahinter den Spiegel mit den obligaten Geweihen
oder Hirschköpfen, einige Bilder und große bunte Anschlagzettel, auch Wohl
einen automatischen Kassirer, der mit dem Bierlrahn in Verbindung steht und
dazu dient, den Kellner zu kontrolliren, wenn sich der Wirt einen hält. Sie
sind auch wie die Destillen meist auf das im Stehen trinkende Publikum, nicht
auf das sitzende angewiesen; trotzdem stehen hie und da im Hintergründe ein
paar einfache Tische und Stühle, wo sich dann wohl ein übermächtiger Gast
tabakkauend streckt, bis ihn der Wirt mahnt, sein Nickerchen zu unterbrechen.

Der Wirt, nachlässig gekleidet, im Sommer meist hemdsärmlig hinter seinein
Ladentisch stehend, ist gewohnt, den meistenGästen gegenüber ein freundlich protegi-
rendes Wesen anzunehmen, er weiß, daß die meisten, die zu ihm kommen, außer
dem Glase Bier noch etwas andres von ihm wollen; bald möchten sie eine
Auskunft über Vereins- oder Logenverhältnisse haben, bald führt sie der
Wunsch, bei der Wahl berücksichtigt zu werden oder irgend eine sonstige
geschäftliche Kleinigkeit hin. Und unter den Deutschen pflegt jedes Geschäft¬
chen beim Bierwirt mit einem Trunk besiegelt zu werden. Herr Püschel
war heute besonders gut aufgelegt; da er einen neuen deutschen Landsmann
vor sich hatte, so zeigte er mehrere seiner Taschenspielerkünste, ließ beim Geld¬
wechseln Thaler verschwinden, falsche Thaler statt der richtigen in die Höhe
springen, ja sogar volle Bierglüser verschwinden, die dann aus seiner Westentasche
auftauchten, während Richter Bolcmd den ersten Ireat all rormcl, die erste
"Runde" ausgab. Darauf folgte die zweite von meiner Seite, und statt der
dritten ein Cigarren-rrsat, Vonseiten Karls. Zuletzt gab der Wirt, der stets
mit eingeladen wurde, auch aus seinem Diminutivseidel zum Schein stets mit¬
trank und auch dafür Bezahlung nahm, auch noch eine Runde aus, und als
wir eben gehen wollten, füllte sich der Raum auf einen durch das Fenster
nach der Straße zu gegebnen Wink des Wirts mit etwa vier bis fünf Gestalten, die
auch noch etwas abhaben wollten. Tritt nämlich eine in politischen Ämtern



*) I^unLd-Roon oder LÄwxlo-Iioom nennt man schüchternerweisc dem Temperenzlerwescn
zuliebe die feinern Bierwirtschaften zum Unterschiede von den gewöhnlichen Saisons, den Bier¬
stuben.
Bilder aus dem Westen

Kansas City zählt etwa 200 000 Einwohner, darunter 15 000 Deutsche,
wohl an 30 000 Jrlcinder und 50 000 Neger. Von den 15 000 Deutschen
beschäftigt sich bei weitem die größere Hälfte mit dem Bier; entweder arbeite»
sie in einer der größern deutschen Brauereien, oder in Bierwirtschaften, deren
die Stadt mindestens hundert deutsche zählt. Die am Markt gelegne kleine
Wirtschaft, die wir betraten, glich den meisten übrigen: abgesehen von einigen
wenigen eleganten mit Nußbaumtäfelung an den Wänden und großartigem
Nußbaumladentisch und -Spiegel ausgestatteten roomZ*) unterscheidet sich die
Mehrzahl nur wenig von den bekannten Berliner Destillen, den Kutscherkneipen.
Sie haben einen Ladentisch, dahinter den Spiegel mit den obligaten Geweihen
oder Hirschköpfen, einige Bilder und große bunte Anschlagzettel, auch Wohl
einen automatischen Kassirer, der mit dem Bierlrahn in Verbindung steht und
dazu dient, den Kellner zu kontrolliren, wenn sich der Wirt einen hält. Sie
sind auch wie die Destillen meist auf das im Stehen trinkende Publikum, nicht
auf das sitzende angewiesen; trotzdem stehen hie und da im Hintergründe ein
paar einfache Tische und Stühle, wo sich dann wohl ein übermächtiger Gast
tabakkauend streckt, bis ihn der Wirt mahnt, sein Nickerchen zu unterbrechen.

Der Wirt, nachlässig gekleidet, im Sommer meist hemdsärmlig hinter seinein
Ladentisch stehend, ist gewohnt, den meistenGästen gegenüber ein freundlich protegi-
rendes Wesen anzunehmen, er weiß, daß die meisten, die zu ihm kommen, außer
dem Glase Bier noch etwas andres von ihm wollen; bald möchten sie eine
Auskunft über Vereins- oder Logenverhältnisse haben, bald führt sie der
Wunsch, bei der Wahl berücksichtigt zu werden oder irgend eine sonstige
geschäftliche Kleinigkeit hin. Und unter den Deutschen pflegt jedes Geschäft¬
chen beim Bierwirt mit einem Trunk besiegelt zu werden. Herr Püschel
war heute besonders gut aufgelegt; da er einen neuen deutschen Landsmann
vor sich hatte, so zeigte er mehrere seiner Taschenspielerkünste, ließ beim Geld¬
wechseln Thaler verschwinden, falsche Thaler statt der richtigen in die Höhe
springen, ja sogar volle Bierglüser verschwinden, die dann aus seiner Westentasche
auftauchten, während Richter Bolcmd den ersten Ireat all rormcl, die erste
„Runde" ausgab. Darauf folgte die zweite von meiner Seite, und statt der
dritten ein Cigarren-rrsat, Vonseiten Karls. Zuletzt gab der Wirt, der stets
mit eingeladen wurde, auch aus seinem Diminutivseidel zum Schein stets mit¬
trank und auch dafür Bezahlung nahm, auch noch eine Runde aus, und als
wir eben gehen wollten, füllte sich der Raum auf einen durch das Fenster
nach der Straße zu gegebnen Wink des Wirts mit etwa vier bis fünf Gestalten, die
auch noch etwas abhaben wollten. Tritt nämlich eine in politischen Ämtern



*) I^unLd-Roon oder LÄwxlo-Iioom nennt man schüchternerweisc dem Temperenzlerwescn
zuliebe die feinern Bierwirtschaften zum Unterschiede von den gewöhnlichen Saisons, den Bier¬
stuben.
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[0235] Bilder aus dem Westen Kansas City zählt etwa 200 000 Einwohner, darunter 15 000 Deutsche, wohl an 30 000 Jrlcinder und 50 000 Neger. Von den 15 000 Deutschen beschäftigt sich bei weitem die größere Hälfte mit dem Bier; entweder arbeite» sie in einer der größern deutschen Brauereien, oder in Bierwirtschaften, deren die Stadt mindestens hundert deutsche zählt. Die am Markt gelegne kleine Wirtschaft, die wir betraten, glich den meisten übrigen: abgesehen von einigen wenigen eleganten mit Nußbaumtäfelung an den Wänden und großartigem Nußbaumladentisch und -Spiegel ausgestatteten roomZ*) unterscheidet sich die Mehrzahl nur wenig von den bekannten Berliner Destillen, den Kutscherkneipen. Sie haben einen Ladentisch, dahinter den Spiegel mit den obligaten Geweihen oder Hirschköpfen, einige Bilder und große bunte Anschlagzettel, auch Wohl einen automatischen Kassirer, der mit dem Bierlrahn in Verbindung steht und dazu dient, den Kellner zu kontrolliren, wenn sich der Wirt einen hält. Sie sind auch wie die Destillen meist auf das im Stehen trinkende Publikum, nicht auf das sitzende angewiesen; trotzdem stehen hie und da im Hintergründe ein paar einfache Tische und Stühle, wo sich dann wohl ein übermächtiger Gast tabakkauend streckt, bis ihn der Wirt mahnt, sein Nickerchen zu unterbrechen. Der Wirt, nachlässig gekleidet, im Sommer meist hemdsärmlig hinter seinein Ladentisch stehend, ist gewohnt, den meistenGästen gegenüber ein freundlich protegi- rendes Wesen anzunehmen, er weiß, daß die meisten, die zu ihm kommen, außer dem Glase Bier noch etwas andres von ihm wollen; bald möchten sie eine Auskunft über Vereins- oder Logenverhältnisse haben, bald führt sie der Wunsch, bei der Wahl berücksichtigt zu werden oder irgend eine sonstige geschäftliche Kleinigkeit hin. Und unter den Deutschen pflegt jedes Geschäft¬ chen beim Bierwirt mit einem Trunk besiegelt zu werden. Herr Püschel war heute besonders gut aufgelegt; da er einen neuen deutschen Landsmann vor sich hatte, so zeigte er mehrere seiner Taschenspielerkünste, ließ beim Geld¬ wechseln Thaler verschwinden, falsche Thaler statt der richtigen in die Höhe springen, ja sogar volle Bierglüser verschwinden, die dann aus seiner Westentasche auftauchten, während Richter Bolcmd den ersten Ireat all rormcl, die erste „Runde" ausgab. Darauf folgte die zweite von meiner Seite, und statt der dritten ein Cigarren-rrsat, Vonseiten Karls. Zuletzt gab der Wirt, der stets mit eingeladen wurde, auch aus seinem Diminutivseidel zum Schein stets mit¬ trank und auch dafür Bezahlung nahm, auch noch eine Runde aus, und als wir eben gehen wollten, füllte sich der Raum auf einen durch das Fenster nach der Straße zu gegebnen Wink des Wirts mit etwa vier bis fünf Gestalten, die auch noch etwas abhaben wollten. Tritt nämlich eine in politischen Ämtern *) I^unLd-Roon oder LÄwxlo-Iioom nennt man schüchternerweisc dem Temperenzlerwescn zuliebe die feinern Bierwirtschaften zum Unterschiede von den gewöhnlichen Saisons, den Bier¬ stuben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/235>, abgerufen am 24.07.2024.