Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.Friedrich ?ebbels Briefwechsel Wenn aber der Dichter selbst in diesem Briefe den Zweifel ausdrückt, ob -) Wie", 1. Mui
Friedrich ?ebbels Briefwechsel Wenn aber der Dichter selbst in diesem Briefe den Zweifel ausdrückt, ob -) Wie», 1. Mui
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214686"/> <fw type="header" place="top"> Friedrich ?ebbels Briefwechsel</fw><lb/> <p xml:id="ID_903" next="#ID_904"> Wenn aber der Dichter selbst in diesem Briefe den Zweifel ausdrückt, ob<lb/> er zum Mitglied auch der bestgesinnten, das Höchste wollenden, gegen sich selbst<lb/> unerbittlichen „Koalition" geeignet gewesen wäre, so darf man nach seinen<lb/> Briefen und seineu darin deutlich werdenden Beziehungen zu litterarischen<lb/> Freunden seine Fähigkeit dazu ohne weiteres verneinen. Gewiß konnte und<lb/> wollte Hebbel gelegentlich auch „klug" sein und manches für sich behalten,<lb/> was die, denen er gegenüberstund, nicht aufzunehmen, ja nicht einmal zu be¬<lb/> greifen vermochten. Aber immer durfte es sich dabei nur um Äußerlichkeiten<lb/> und Nebendinge handeln. Droste eine Lebensfrage der Kunst oder eine ernste<lb/> Frage des Lebens durch Schweigen verdunkelt oder in falsches Licht gerückt<lb/> zu werden, so brach seine mächtige Natur durch alle diese Klugheit hindurch.<lb/> Mau braucht nicht auf die beinahe komisch verunglückten Versuche hinzuweisen,<lb/> sich mit einem Schriftsteller wie Karl Gutzkow gleichsam als Macht zu Macht<lb/> zu stellen, sondern kann es unmittelbar aus dem Briefwechsel mit seineu nächst¬<lb/> stehenden Freunden bestätigen. Imponirend ist der Eindruck, den wir in diesem<lb/> Betracht namentlich aus Hebbels Briefen an Friedrich von Üchtritz empfangen.<lb/> Und wie eine letzte Zusammenfassung der eignen Anschauung und der ethischen<lb/> Notwendigkeit zugleich klingt der Brief an Siegmund Engländer/) wo Hebbel<lb/> kurz vor seinem Ende die Hauptsätze seines künstlerischen Credo noch einmal<lb/> vorträgt: „Sie werden überhaupt finden, daß die Lebensprozesse nichts mit<lb/> dem Bewußtsein zu thun haben, und die künstlerische Zeugung ist der höchste<lb/> vou allen; sie unterscheiden sich ja eben dadurch von den logischen, daß mau<lb/> sie absolut uicht auf bestimmte Faktoren zurückführen kann. Wer hat das<lb/> Werden je in irgend einer seiner Phasen belauscht, und was hat die Befruch¬<lb/> tungstheorie der Physiologie trotz der mikroskopisch genauen Beschreibung des<lb/> arbeitenden Apparats für die Lösung des Grundgeheimnisses gethan? Kann<lb/> sie auch nur einen Buckel erklären? Dagegen kann es keine Kombination geben,<lb/> die nicht in allen ihren Schlangenwindungen zu verfolgen und endlich aufzu¬<lb/> lösen wäre; das Weltgebäude ist uns erschlossen, zum Tanz der Himmels¬<lb/> körper können wir allenfalls die Geige streichen, aber der sprossende Halm ist<lb/> uns ein Rätsel und wird es ewig bleiben. — Systeme werden nicht erträumt,<lb/> Kunstwerke aber auch nicht errechnet, oder was auf das nämliche hinausläuft,<lb/> da das Denken nur ein höheres Rechnen ist, erdacht. Die künstlerische Phan¬<lb/> tasie ist eben das Organ, das diejenigen Tiefen der Welt erschöpft, die den<lb/> übrigen Fakultäten unzugänglich sind, und meine Anschauungsweise setzt dem¬<lb/> nach an die Stelle eines falschen Realismus, der den Teil für das Ganze<lb/> nimmt, nur den wahren, der auch das mit umfaßt, was nicht auf der Ober¬<lb/> fläche liegt. Übrigens wird auch dieser falsche nicht dadurch verkürzt, deun<lb/> wenn man sich auch so wenig aufs Dichten wie aufs Träumen vorbereiten kann,</p><lb/> <note xml:id="FID_35" place="foot"> -) Wie», 1. Mui</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0231]
Friedrich ?ebbels Briefwechsel
Wenn aber der Dichter selbst in diesem Briefe den Zweifel ausdrückt, ob
er zum Mitglied auch der bestgesinnten, das Höchste wollenden, gegen sich selbst
unerbittlichen „Koalition" geeignet gewesen wäre, so darf man nach seinen
Briefen und seineu darin deutlich werdenden Beziehungen zu litterarischen
Freunden seine Fähigkeit dazu ohne weiteres verneinen. Gewiß konnte und
wollte Hebbel gelegentlich auch „klug" sein und manches für sich behalten,
was die, denen er gegenüberstund, nicht aufzunehmen, ja nicht einmal zu be¬
greifen vermochten. Aber immer durfte es sich dabei nur um Äußerlichkeiten
und Nebendinge handeln. Droste eine Lebensfrage der Kunst oder eine ernste
Frage des Lebens durch Schweigen verdunkelt oder in falsches Licht gerückt
zu werden, so brach seine mächtige Natur durch alle diese Klugheit hindurch.
Mau braucht nicht auf die beinahe komisch verunglückten Versuche hinzuweisen,
sich mit einem Schriftsteller wie Karl Gutzkow gleichsam als Macht zu Macht
zu stellen, sondern kann es unmittelbar aus dem Briefwechsel mit seineu nächst¬
stehenden Freunden bestätigen. Imponirend ist der Eindruck, den wir in diesem
Betracht namentlich aus Hebbels Briefen an Friedrich von Üchtritz empfangen.
Und wie eine letzte Zusammenfassung der eignen Anschauung und der ethischen
Notwendigkeit zugleich klingt der Brief an Siegmund Engländer/) wo Hebbel
kurz vor seinem Ende die Hauptsätze seines künstlerischen Credo noch einmal
vorträgt: „Sie werden überhaupt finden, daß die Lebensprozesse nichts mit
dem Bewußtsein zu thun haben, und die künstlerische Zeugung ist der höchste
vou allen; sie unterscheiden sich ja eben dadurch von den logischen, daß mau
sie absolut uicht auf bestimmte Faktoren zurückführen kann. Wer hat das
Werden je in irgend einer seiner Phasen belauscht, und was hat die Befruch¬
tungstheorie der Physiologie trotz der mikroskopisch genauen Beschreibung des
arbeitenden Apparats für die Lösung des Grundgeheimnisses gethan? Kann
sie auch nur einen Buckel erklären? Dagegen kann es keine Kombination geben,
die nicht in allen ihren Schlangenwindungen zu verfolgen und endlich aufzu¬
lösen wäre; das Weltgebäude ist uns erschlossen, zum Tanz der Himmels¬
körper können wir allenfalls die Geige streichen, aber der sprossende Halm ist
uns ein Rätsel und wird es ewig bleiben. — Systeme werden nicht erträumt,
Kunstwerke aber auch nicht errechnet, oder was auf das nämliche hinausläuft,
da das Denken nur ein höheres Rechnen ist, erdacht. Die künstlerische Phan¬
tasie ist eben das Organ, das diejenigen Tiefen der Welt erschöpft, die den
übrigen Fakultäten unzugänglich sind, und meine Anschauungsweise setzt dem¬
nach an die Stelle eines falschen Realismus, der den Teil für das Ganze
nimmt, nur den wahren, der auch das mit umfaßt, was nicht auf der Ober¬
fläche liegt. Übrigens wird auch dieser falsche nicht dadurch verkürzt, deun
wenn man sich auch so wenig aufs Dichten wie aufs Träumen vorbereiten kann,
-) Wie», 1. Mui
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