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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Briefwechsel

eine Fülle der wunderbarsten Bilder und der reichsten Anschauungen? Hat Ihr
Enthusiasmus sich geschwächt, so hat Ihre Ironie sich dafür gesteigert, und
den Enthusiasmus brauchen Sie bei Betrachtung der deutschen Litteratur selten,
die Ironie aber alle Tage.") An Emil Kuh richtete er die tiefen Worte:
"Sie treten in Ihrer Auffassung dem Geheimnis der Kunst immer näher;
allerdings ist es ihr innerstes Wesen, das dem Menschen eingeborne Sehnen
zu stillen, ja in der Wurzel auszubrennen, und eben darum kann der Künstler
im Zwiespalt zwischen sich und der Welt nicht stecken bleiben, da er von dieser
noch gar nichts sieht, wenn er sie nicht rund sieht. Doch darüber ist un¬
endlich viel zu sagen; es ist der einzige Knäuel, der sich nie ganz abwickeln
laßt, und ich sage: Gott sei Dank! dazu."") Wie ein Schrei aus tief ge¬
preßtem Herzen und in seiner Wahrheit geradezu erschütternd, klingt im Gegen¬
satz zu dieser höchsten Auffassung der Kunst seine Charakteristik der Tages¬
litteratur: "Es ist im eigentlichem Verstände eine Selbstzerstörungssncht über
die Welt gekommen, die sich in allen Kreisen auf gleiche Weise äußert, und
die, so sehr sie auch alle Grenzen überschreitet, doch nur die gesunde Folge
unsrer kranken Zustande ist. Alles wütet in den eignen Eingeweiden, und die
Litteratur, in der sich die sämtlichen Lebensprozesse konzentriren, am meisten
und freilich am widerwärtigsten. Man muß eben durch, und was zusammen¬
gehört, muß sich zusammenschließen, nicht bloß zum Schutz, sondern auch zum
Trutz. Es ist die Periode der Koalitionen gekommen, denn wenn die Götter
nichts mehr für den Künstler thun, wenn sie ihm sogar Licht und Luft ent¬
ziehen, die sie ihm schuldig sind, bleibt ihm nur die Selbsthilfe übrig. Ein
halbes Menschenleben lang habe ich mich gegen diese Wahrheit gesträubt; jetzt
muß ich sie anerkennen, wenn ich auch stark bezweifle, daß ich sie meinerseits
Praktisch werden lassen kann. Das Theater soll eine Arena der Nullität sein,
und was die Leiter in unsern Augen herabsetzt, erhöht sie in denen ihrer Vor¬
stände. Die Journalistik soll den Chor von hunderttausend Narren, deren
Faust gedenkt, vorstellen, und der Grund liegt auf der Hand. Das Buch soll
um seinen Kredit gebracht werden, daher die Begünstigung der Feuilleton¬
schreiberei. Das hängt alles zusammen, und die Rückwirkung äußert sich in
der Litteratur, die sich gemißbraucht und erniedrigt fühlt, ohne sich wehren zu
können, als Ekel vor sich selbst, der zuletzt, wie bei körperlich verwahrlosten
Individuen von Geist und Charakter, in Selbstverspottung umschlägt."Man
starrt einigermaßen Ungläubig auf da5 DätUm dieser schauerlich wahren Cha¬
rakteristik und fragt sich, wie Hebbel/ dem schon 1853 die Zustände so trostlos
erschienen, volle vierzig Jahre später die Lage der Litteratur, das heißt der
Litteratur, -die diesen Namen verdient, und ihr Verhältnis zum Publikum, und
zur sogenannten öffentlichen Meinung angesehen haben würde.



') An Siegmund Engländer; Wien, 9. September 1857. -- -) Orth bei Gmunden,
26. Juli 1858. - An Adolf Pichler; Wien, 24. Juli 1853.
Friedrich Hebbels Briefwechsel

eine Fülle der wunderbarsten Bilder und der reichsten Anschauungen? Hat Ihr
Enthusiasmus sich geschwächt, so hat Ihre Ironie sich dafür gesteigert, und
den Enthusiasmus brauchen Sie bei Betrachtung der deutschen Litteratur selten,
die Ironie aber alle Tage.") An Emil Kuh richtete er die tiefen Worte:
„Sie treten in Ihrer Auffassung dem Geheimnis der Kunst immer näher;
allerdings ist es ihr innerstes Wesen, das dem Menschen eingeborne Sehnen
zu stillen, ja in der Wurzel auszubrennen, und eben darum kann der Künstler
im Zwiespalt zwischen sich und der Welt nicht stecken bleiben, da er von dieser
noch gar nichts sieht, wenn er sie nicht rund sieht. Doch darüber ist un¬
endlich viel zu sagen; es ist der einzige Knäuel, der sich nie ganz abwickeln
laßt, und ich sage: Gott sei Dank! dazu."") Wie ein Schrei aus tief ge¬
preßtem Herzen und in seiner Wahrheit geradezu erschütternd, klingt im Gegen¬
satz zu dieser höchsten Auffassung der Kunst seine Charakteristik der Tages¬
litteratur: „Es ist im eigentlichem Verstände eine Selbstzerstörungssncht über
die Welt gekommen, die sich in allen Kreisen auf gleiche Weise äußert, und
die, so sehr sie auch alle Grenzen überschreitet, doch nur die gesunde Folge
unsrer kranken Zustande ist. Alles wütet in den eignen Eingeweiden, und die
Litteratur, in der sich die sämtlichen Lebensprozesse konzentriren, am meisten
und freilich am widerwärtigsten. Man muß eben durch, und was zusammen¬
gehört, muß sich zusammenschließen, nicht bloß zum Schutz, sondern auch zum
Trutz. Es ist die Periode der Koalitionen gekommen, denn wenn die Götter
nichts mehr für den Künstler thun, wenn sie ihm sogar Licht und Luft ent¬
ziehen, die sie ihm schuldig sind, bleibt ihm nur die Selbsthilfe übrig. Ein
halbes Menschenleben lang habe ich mich gegen diese Wahrheit gesträubt; jetzt
muß ich sie anerkennen, wenn ich auch stark bezweifle, daß ich sie meinerseits
Praktisch werden lassen kann. Das Theater soll eine Arena der Nullität sein,
und was die Leiter in unsern Augen herabsetzt, erhöht sie in denen ihrer Vor¬
stände. Die Journalistik soll den Chor von hunderttausend Narren, deren
Faust gedenkt, vorstellen, und der Grund liegt auf der Hand. Das Buch soll
um seinen Kredit gebracht werden, daher die Begünstigung der Feuilleton¬
schreiberei. Das hängt alles zusammen, und die Rückwirkung äußert sich in
der Litteratur, die sich gemißbraucht und erniedrigt fühlt, ohne sich wehren zu
können, als Ekel vor sich selbst, der zuletzt, wie bei körperlich verwahrlosten
Individuen von Geist und Charakter, in Selbstverspottung umschlägt."Man
starrt einigermaßen Ungläubig auf da5 DätUm dieser schauerlich wahren Cha¬
rakteristik und fragt sich, wie Hebbel/ dem schon 1853 die Zustände so trostlos
erschienen, volle vierzig Jahre später die Lage der Litteratur, das heißt der
Litteratur, -die diesen Namen verdient, und ihr Verhältnis zum Publikum, und
zur sogenannten öffentlichen Meinung angesehen haben würde.



') An Siegmund Engländer; Wien, 9. September 1857. — -) Orth bei Gmunden,
26. Juli 1858. - An Adolf Pichler; Wien, 24. Juli 1853.
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[0230] Friedrich Hebbels Briefwechsel eine Fülle der wunderbarsten Bilder und der reichsten Anschauungen? Hat Ihr Enthusiasmus sich geschwächt, so hat Ihre Ironie sich dafür gesteigert, und den Enthusiasmus brauchen Sie bei Betrachtung der deutschen Litteratur selten, die Ironie aber alle Tage.") An Emil Kuh richtete er die tiefen Worte: „Sie treten in Ihrer Auffassung dem Geheimnis der Kunst immer näher; allerdings ist es ihr innerstes Wesen, das dem Menschen eingeborne Sehnen zu stillen, ja in der Wurzel auszubrennen, und eben darum kann der Künstler im Zwiespalt zwischen sich und der Welt nicht stecken bleiben, da er von dieser noch gar nichts sieht, wenn er sie nicht rund sieht. Doch darüber ist un¬ endlich viel zu sagen; es ist der einzige Knäuel, der sich nie ganz abwickeln laßt, und ich sage: Gott sei Dank! dazu."") Wie ein Schrei aus tief ge¬ preßtem Herzen und in seiner Wahrheit geradezu erschütternd, klingt im Gegen¬ satz zu dieser höchsten Auffassung der Kunst seine Charakteristik der Tages¬ litteratur: „Es ist im eigentlichem Verstände eine Selbstzerstörungssncht über die Welt gekommen, die sich in allen Kreisen auf gleiche Weise äußert, und die, so sehr sie auch alle Grenzen überschreitet, doch nur die gesunde Folge unsrer kranken Zustande ist. Alles wütet in den eignen Eingeweiden, und die Litteratur, in der sich die sämtlichen Lebensprozesse konzentriren, am meisten und freilich am widerwärtigsten. Man muß eben durch, und was zusammen¬ gehört, muß sich zusammenschließen, nicht bloß zum Schutz, sondern auch zum Trutz. Es ist die Periode der Koalitionen gekommen, denn wenn die Götter nichts mehr für den Künstler thun, wenn sie ihm sogar Licht und Luft ent¬ ziehen, die sie ihm schuldig sind, bleibt ihm nur die Selbsthilfe übrig. Ein halbes Menschenleben lang habe ich mich gegen diese Wahrheit gesträubt; jetzt muß ich sie anerkennen, wenn ich auch stark bezweifle, daß ich sie meinerseits Praktisch werden lassen kann. Das Theater soll eine Arena der Nullität sein, und was die Leiter in unsern Augen herabsetzt, erhöht sie in denen ihrer Vor¬ stände. Die Journalistik soll den Chor von hunderttausend Narren, deren Faust gedenkt, vorstellen, und der Grund liegt auf der Hand. Das Buch soll um seinen Kredit gebracht werden, daher die Begünstigung der Feuilleton¬ schreiberei. Das hängt alles zusammen, und die Rückwirkung äußert sich in der Litteratur, die sich gemißbraucht und erniedrigt fühlt, ohne sich wehren zu können, als Ekel vor sich selbst, der zuletzt, wie bei körperlich verwahrlosten Individuen von Geist und Charakter, in Selbstverspottung umschlägt."Man starrt einigermaßen Ungläubig auf da5 DätUm dieser schauerlich wahren Cha¬ rakteristik und fragt sich, wie Hebbel/ dem schon 1853 die Zustände so trostlos erschienen, volle vierzig Jahre später die Lage der Litteratur, das heißt der Litteratur, -die diesen Namen verdient, und ihr Verhältnis zum Publikum, und zur sogenannten öffentlichen Meinung angesehen haben würde. ') An Siegmund Engländer; Wien, 9. September 1857. — -) Orth bei Gmunden, 26. Juli 1858. - An Adolf Pichler; Wien, 24. Juli 1853.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/230>, abgerufen am 24.07.2024.