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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Grenzen des ärztlichen Berufs

Eine weitere Ansicht nimmt für das Recht des Arztes zu Eingriffen den
ärztlichen Beruf zur Grundlage. Indem der Staat die Ausübung des ärzt¬
lichen Berufs billige, berechtige er dadurch deu Arzt auch, alle Eingriffe vor¬
zunehmen, die die ärztliche Wissenschaft verlange und gestatte. Auch diesen
Gesichtspunkt läßt der Verfasser nicht gelten, weil unter Umständen auch einem
Nichtärzte Eingriffe in das körperliche Befinden eines Kranken gestattet seien,
wenn sie diesem nur zum Heile gereichen.

Wenn aber alle diese Versuche, das Recht des Arztes zu körperlichen
Eingriffen zu erklären, nicht ausreichten, so bleibe nur noch ein Erklärungs¬
mittel. Das sei das Gewohnheitsrecht. Es sei gewohnheitsrechtlich erlaubt,
daß für ärztliche Zwecke auch Eingriffe in das körperliche Befinden eines
Menschen geübt werden dürften.

Nun geht der Verfasser die einzelnen Verhältnisse dnrch, unter denen solche
Eingriffe üblich seien. Für die Heilung von Kranken stellt er als Regel auf,
daß, wenn der Kranke volljährig und geistesgesuud sei, Eingriffe der erwähnten
Art nur mit seinem Willen geschehen dürfen. Doch müßten Ausnahmen davon
gemacht werden. Ein von einem schweren Unglücksfall betroffner, namentlich
einer, der sich das Leben zu nehmen versucht habe, könne auch ohne seinen
Willen sofort ärztlich behandelt werden. Dagegen erfordre jede Operation, so
groß oder so gering sie sei, die Einwilligung des zu vperirenden. Lebens¬
gefährliche Operationen dürften überhaupt nur vorgenommen werden, wenn
sich kein andres Heilmittel darbiete, wenn dem Kranken die Gefahr des Ein¬
griffs zum Bewußtsein gebracht sei, und wenn bei der Operation alle mög¬
lichen Mittel zur Beseitigung der Gefahr getroffen seien. Unter diesen Be¬
dingungen habe der Arzt selbst das Recht zu einen: den Tod wahrscheinlich
herbeiführender Eingriffe.

Unter gleichen Bedingungen habe der Arzt auch das Recht zur Anwen¬
dung lebensgefährlicher Arzneimittel. Oster kämen Arzneimittel in Frage,
me wissenschaftlich empfohlen, aber doch noch nicht genügend erprobt seien,
(wie z. B. das Tuberkuliu kurz nach seiner Entdeckung). In einem solchen
Falle sei der Arzt berechtigt, das Arzneimittel anzuwenden, wenn es nach
glaubwürdiger wissenschaftlicher Forschung als zweckentsprechend betrachtet werden
omne. Niemals aber dürfe der Arzt unsittliche Dinge als Heilmittel anwenden.
Dies gelte namentlich auch von körperlicher Züchtigung als vermeintlichen
Heilmittel.

Eingriffe in das körperliche Wohlbefinden Gesunder zur Heilung von
andern Erkrankten kommen heutzutage namentlich vor bei Entnahme von Blut
Transfusion) oder zur Entnahme von Hautstücken (Transplantation). Zu
lochen Eingriffen sei der Arzt berechtigt, wenn die betreffende Person ihre
mnulllgung gebe, wenn ihr dnrch den Eingriff kein dauernder Schaden zn-
lugt werde, und wenn ihre Schädigung durch den Eingriff ein weit geringeres


Die Grenzen des ärztlichen Berufs

Eine weitere Ansicht nimmt für das Recht des Arztes zu Eingriffen den
ärztlichen Beruf zur Grundlage. Indem der Staat die Ausübung des ärzt¬
lichen Berufs billige, berechtige er dadurch deu Arzt auch, alle Eingriffe vor¬
zunehmen, die die ärztliche Wissenschaft verlange und gestatte. Auch diesen
Gesichtspunkt läßt der Verfasser nicht gelten, weil unter Umständen auch einem
Nichtärzte Eingriffe in das körperliche Befinden eines Kranken gestattet seien,
wenn sie diesem nur zum Heile gereichen.

Wenn aber alle diese Versuche, das Recht des Arztes zu körperlichen
Eingriffen zu erklären, nicht ausreichten, so bleibe nur noch ein Erklärungs¬
mittel. Das sei das Gewohnheitsrecht. Es sei gewohnheitsrechtlich erlaubt,
daß für ärztliche Zwecke auch Eingriffe in das körperliche Befinden eines
Menschen geübt werden dürften.

Nun geht der Verfasser die einzelnen Verhältnisse dnrch, unter denen solche
Eingriffe üblich seien. Für die Heilung von Kranken stellt er als Regel auf,
daß, wenn der Kranke volljährig und geistesgesuud sei, Eingriffe der erwähnten
Art nur mit seinem Willen geschehen dürfen. Doch müßten Ausnahmen davon
gemacht werden. Ein von einem schweren Unglücksfall betroffner, namentlich
einer, der sich das Leben zu nehmen versucht habe, könne auch ohne seinen
Willen sofort ärztlich behandelt werden. Dagegen erfordre jede Operation, so
groß oder so gering sie sei, die Einwilligung des zu vperirenden. Lebens¬
gefährliche Operationen dürften überhaupt nur vorgenommen werden, wenn
sich kein andres Heilmittel darbiete, wenn dem Kranken die Gefahr des Ein¬
griffs zum Bewußtsein gebracht sei, und wenn bei der Operation alle mög¬
lichen Mittel zur Beseitigung der Gefahr getroffen seien. Unter diesen Be¬
dingungen habe der Arzt selbst das Recht zu einen: den Tod wahrscheinlich
herbeiführender Eingriffe.

Unter gleichen Bedingungen habe der Arzt auch das Recht zur Anwen¬
dung lebensgefährlicher Arzneimittel. Oster kämen Arzneimittel in Frage,
me wissenschaftlich empfohlen, aber doch noch nicht genügend erprobt seien,
(wie z. B. das Tuberkuliu kurz nach seiner Entdeckung). In einem solchen
Falle sei der Arzt berechtigt, das Arzneimittel anzuwenden, wenn es nach
glaubwürdiger wissenschaftlicher Forschung als zweckentsprechend betrachtet werden
omne. Niemals aber dürfe der Arzt unsittliche Dinge als Heilmittel anwenden.
Dies gelte namentlich auch von körperlicher Züchtigung als vermeintlichen
Heilmittel.

Eingriffe in das körperliche Wohlbefinden Gesunder zur Heilung von
andern Erkrankten kommen heutzutage namentlich vor bei Entnahme von Blut
Transfusion) oder zur Entnahme von Hautstücken (Transplantation). Zu
lochen Eingriffen sei der Arzt berechtigt, wenn die betreffende Person ihre
mnulllgung gebe, wenn ihr dnrch den Eingriff kein dauernder Schaden zn-
lugt werde, und wenn ihre Schädigung durch den Eingriff ein weit geringeres


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[0021] Die Grenzen des ärztlichen Berufs Eine weitere Ansicht nimmt für das Recht des Arztes zu Eingriffen den ärztlichen Beruf zur Grundlage. Indem der Staat die Ausübung des ärzt¬ lichen Berufs billige, berechtige er dadurch deu Arzt auch, alle Eingriffe vor¬ zunehmen, die die ärztliche Wissenschaft verlange und gestatte. Auch diesen Gesichtspunkt läßt der Verfasser nicht gelten, weil unter Umständen auch einem Nichtärzte Eingriffe in das körperliche Befinden eines Kranken gestattet seien, wenn sie diesem nur zum Heile gereichen. Wenn aber alle diese Versuche, das Recht des Arztes zu körperlichen Eingriffen zu erklären, nicht ausreichten, so bleibe nur noch ein Erklärungs¬ mittel. Das sei das Gewohnheitsrecht. Es sei gewohnheitsrechtlich erlaubt, daß für ärztliche Zwecke auch Eingriffe in das körperliche Befinden eines Menschen geübt werden dürften. Nun geht der Verfasser die einzelnen Verhältnisse dnrch, unter denen solche Eingriffe üblich seien. Für die Heilung von Kranken stellt er als Regel auf, daß, wenn der Kranke volljährig und geistesgesuud sei, Eingriffe der erwähnten Art nur mit seinem Willen geschehen dürfen. Doch müßten Ausnahmen davon gemacht werden. Ein von einem schweren Unglücksfall betroffner, namentlich einer, der sich das Leben zu nehmen versucht habe, könne auch ohne seinen Willen sofort ärztlich behandelt werden. Dagegen erfordre jede Operation, so groß oder so gering sie sei, die Einwilligung des zu vperirenden. Lebens¬ gefährliche Operationen dürften überhaupt nur vorgenommen werden, wenn sich kein andres Heilmittel darbiete, wenn dem Kranken die Gefahr des Ein¬ griffs zum Bewußtsein gebracht sei, und wenn bei der Operation alle mög¬ lichen Mittel zur Beseitigung der Gefahr getroffen seien. Unter diesen Be¬ dingungen habe der Arzt selbst das Recht zu einen: den Tod wahrscheinlich herbeiführender Eingriffe. Unter gleichen Bedingungen habe der Arzt auch das Recht zur Anwen¬ dung lebensgefährlicher Arzneimittel. Oster kämen Arzneimittel in Frage, me wissenschaftlich empfohlen, aber doch noch nicht genügend erprobt seien, (wie z. B. das Tuberkuliu kurz nach seiner Entdeckung). In einem solchen Falle sei der Arzt berechtigt, das Arzneimittel anzuwenden, wenn es nach glaubwürdiger wissenschaftlicher Forschung als zweckentsprechend betrachtet werden omne. Niemals aber dürfe der Arzt unsittliche Dinge als Heilmittel anwenden. Dies gelte namentlich auch von körperlicher Züchtigung als vermeintlichen Heilmittel. Eingriffe in das körperliche Wohlbefinden Gesunder zur Heilung von andern Erkrankten kommen heutzutage namentlich vor bei Entnahme von Blut Transfusion) oder zur Entnahme von Hautstücken (Transplantation). Zu lochen Eingriffen sei der Arzt berechtigt, wenn die betreffende Person ihre mnulllgung gebe, wenn ihr dnrch den Eingriff kein dauernder Schaden zn- lugt werde, und wenn ihre Schädigung durch den Eingriff ein weit geringeres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/21>, abgerufen am 23.07.2024.