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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Zur Jesuiteilfrage

ihre Früchte geerntet haben, aber nicht ihre Urheber gewesen sind, ja in Deutsch¬
land gar nicht daran beteiligt gewesen sind. Hier mag die Bemerkung genügen,
daß die Einsparung der zwei Erzbischöfe im Jahre 1837 und 1839 und das
Auftreten Ronges im Jahre 1844--1845 die Bewegung mehr gefördert haben,
als es alle Jesuiten der Welt vermocht hätten, wenn sie sich sämtlich in
Preußen niedergelassen hätten. Will man jenen verflossenen Frieden wieder
herstellen und die katholische Kirche zum zweitenmal ohnmächtig machen, dann
versenke mau das Volk wieder in den süßen Schlummer des Indifferentismus.
Dazu scheinen uns nun kulturkämpferische Agitationen und Ausnahmegesetze
nicht die geeigneten Mittel zu sein; die Kriegstrompete des Evangelischen
Bundes ist kein Instrument für Schlummerlieder.

Moralische Vergiftung des deutschen Volkes fürchtet man von den Je¬
suiten. Nehmen wir als bewiesen an, daß der Jesuitenorden schlechte Moral-
gruudsätzc habe -- ist die Zahl der Leute mit schlechte" Moralgrundsätzen
bei uns nicht so schon Legion? Klagen nicht die Frommen im Lande jnhrnns
jahrein über die schlechte Presse, über die unsittlichen Romane, über die Un¬
zucht, die in vormals nie dagewesener Ausdehnung herrsche? Behaupten nicht
andrerseits die Gegner der Frommen, die ganze konventionelle Moral und
Religion sei lauter Lüge und Heuchelei, hinter deren Maske frecher Unglaube
und bodenlose Unsittlichkeit ihr Wesen trieben? Erklären nicht die Ordnungs¬
parteien die zehn Millionen Sozialdemokraten - so viele mögen ihrer mit
Familienangehörigen wohl sein -- für Meineidige und gottlose, grobe Mate¬
rialisten, die Sozialdemokraten aber die Bourgeois für eine in Grund und
Boden verderbte, sittlich verfaulte Menschenklasse? Und wenn wir alle diese
gegenseitigen Beschuldigungen für Übertreibung, Lüge und Unsinn erklären
wollten, welches Zeugnis würden wir damit der Wahrheitsliebe und dem ge¬
sunden Menschenverstande unsers Volkes aufstellen? Und sind nicht wirklich
die europäische Diplomatie, die Redaktionsstubeu der Presse aller Parteien
und die Komptoirs vieler Geschäftsleute Hochschulen der Lüge, des Schwindels,
des Betrugs und des Ränkespiels, an denen die Schläuchen Jesuiten in diesen
Künsten wohl noch viel zu lernen, aber nichts mehr zu lehren finden würden?

Sodann, wie stünde es um die Quantität dessen, was die Jesuiten in
Ausbreitung ihrer schlechten Grundsätze zu leisten vermöchten? Schrift und
Druck kommen nicht in Betracht, denn dadurch wirken sie jetzt schon. Es
handelt sich also bloß um Beichte, Predigt und persönlichen Umgang. Auf
viel mehr als zweihundert würde die Zahl der Jesuiten in Deutschland nicht
anwachsen, aber nehmen wir an, sie wüchsen bis auf tausend um. Gepredigt
wird für gewöhnlich etwa an sechzig Tagen im Jahr, und die Predigt dauert
w den katholischen Kirchen höchstens eine Stunde. Die Ohrenbeichte einer
Person währt, wie man beim Besuch katholischer Kirchen beobachte,: kaun,
selten länger als zehn Minuten, und wenn der Geistliche in einem Jahre


Zur Jesuiteilfrage

ihre Früchte geerntet haben, aber nicht ihre Urheber gewesen sind, ja in Deutsch¬
land gar nicht daran beteiligt gewesen sind. Hier mag die Bemerkung genügen,
daß die Einsparung der zwei Erzbischöfe im Jahre 1837 und 1839 und das
Auftreten Ronges im Jahre 1844—1845 die Bewegung mehr gefördert haben,
als es alle Jesuiten der Welt vermocht hätten, wenn sie sich sämtlich in
Preußen niedergelassen hätten. Will man jenen verflossenen Frieden wieder
herstellen und die katholische Kirche zum zweitenmal ohnmächtig machen, dann
versenke mau das Volk wieder in den süßen Schlummer des Indifferentismus.
Dazu scheinen uns nun kulturkämpferische Agitationen und Ausnahmegesetze
nicht die geeigneten Mittel zu sein; die Kriegstrompete des Evangelischen
Bundes ist kein Instrument für Schlummerlieder.

Moralische Vergiftung des deutschen Volkes fürchtet man von den Je¬
suiten. Nehmen wir als bewiesen an, daß der Jesuitenorden schlechte Moral-
gruudsätzc habe — ist die Zahl der Leute mit schlechte» Moralgrundsätzen
bei uns nicht so schon Legion? Klagen nicht die Frommen im Lande jnhrnns
jahrein über die schlechte Presse, über die unsittlichen Romane, über die Un¬
zucht, die in vormals nie dagewesener Ausdehnung herrsche? Behaupten nicht
andrerseits die Gegner der Frommen, die ganze konventionelle Moral und
Religion sei lauter Lüge und Heuchelei, hinter deren Maske frecher Unglaube
und bodenlose Unsittlichkeit ihr Wesen trieben? Erklären nicht die Ordnungs¬
parteien die zehn Millionen Sozialdemokraten - so viele mögen ihrer mit
Familienangehörigen wohl sein — für Meineidige und gottlose, grobe Mate¬
rialisten, die Sozialdemokraten aber die Bourgeois für eine in Grund und
Boden verderbte, sittlich verfaulte Menschenklasse? Und wenn wir alle diese
gegenseitigen Beschuldigungen für Übertreibung, Lüge und Unsinn erklären
wollten, welches Zeugnis würden wir damit der Wahrheitsliebe und dem ge¬
sunden Menschenverstande unsers Volkes aufstellen? Und sind nicht wirklich
die europäische Diplomatie, die Redaktionsstubeu der Presse aller Parteien
und die Komptoirs vieler Geschäftsleute Hochschulen der Lüge, des Schwindels,
des Betrugs und des Ränkespiels, an denen die Schläuchen Jesuiten in diesen
Künsten wohl noch viel zu lernen, aber nichts mehr zu lehren finden würden?

Sodann, wie stünde es um die Quantität dessen, was die Jesuiten in
Ausbreitung ihrer schlechten Grundsätze zu leisten vermöchten? Schrift und
Druck kommen nicht in Betracht, denn dadurch wirken sie jetzt schon. Es
handelt sich also bloß um Beichte, Predigt und persönlichen Umgang. Auf
viel mehr als zweihundert würde die Zahl der Jesuiten in Deutschland nicht
anwachsen, aber nehmen wir an, sie wüchsen bis auf tausend um. Gepredigt
wird für gewöhnlich etwa an sechzig Tagen im Jahr, und die Predigt dauert
w den katholischen Kirchen höchstens eine Stunde. Die Ohrenbeichte einer
Person währt, wie man beim Besuch katholischer Kirchen beobachte,: kaun,
selten länger als zehn Minuten, und wenn der Geistliche in einem Jahre


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[0206] Zur Jesuiteilfrage ihre Früchte geerntet haben, aber nicht ihre Urheber gewesen sind, ja in Deutsch¬ land gar nicht daran beteiligt gewesen sind. Hier mag die Bemerkung genügen, daß die Einsparung der zwei Erzbischöfe im Jahre 1837 und 1839 und das Auftreten Ronges im Jahre 1844—1845 die Bewegung mehr gefördert haben, als es alle Jesuiten der Welt vermocht hätten, wenn sie sich sämtlich in Preußen niedergelassen hätten. Will man jenen verflossenen Frieden wieder herstellen und die katholische Kirche zum zweitenmal ohnmächtig machen, dann versenke mau das Volk wieder in den süßen Schlummer des Indifferentismus. Dazu scheinen uns nun kulturkämpferische Agitationen und Ausnahmegesetze nicht die geeigneten Mittel zu sein; die Kriegstrompete des Evangelischen Bundes ist kein Instrument für Schlummerlieder. Moralische Vergiftung des deutschen Volkes fürchtet man von den Je¬ suiten. Nehmen wir als bewiesen an, daß der Jesuitenorden schlechte Moral- gruudsätzc habe — ist die Zahl der Leute mit schlechte» Moralgrundsätzen bei uns nicht so schon Legion? Klagen nicht die Frommen im Lande jnhrnns jahrein über die schlechte Presse, über die unsittlichen Romane, über die Un¬ zucht, die in vormals nie dagewesener Ausdehnung herrsche? Behaupten nicht andrerseits die Gegner der Frommen, die ganze konventionelle Moral und Religion sei lauter Lüge und Heuchelei, hinter deren Maske frecher Unglaube und bodenlose Unsittlichkeit ihr Wesen trieben? Erklären nicht die Ordnungs¬ parteien die zehn Millionen Sozialdemokraten - so viele mögen ihrer mit Familienangehörigen wohl sein — für Meineidige und gottlose, grobe Mate¬ rialisten, die Sozialdemokraten aber die Bourgeois für eine in Grund und Boden verderbte, sittlich verfaulte Menschenklasse? Und wenn wir alle diese gegenseitigen Beschuldigungen für Übertreibung, Lüge und Unsinn erklären wollten, welches Zeugnis würden wir damit der Wahrheitsliebe und dem ge¬ sunden Menschenverstande unsers Volkes aufstellen? Und sind nicht wirklich die europäische Diplomatie, die Redaktionsstubeu der Presse aller Parteien und die Komptoirs vieler Geschäftsleute Hochschulen der Lüge, des Schwindels, des Betrugs und des Ränkespiels, an denen die Schläuchen Jesuiten in diesen Künsten wohl noch viel zu lernen, aber nichts mehr zu lehren finden würden? Sodann, wie stünde es um die Quantität dessen, was die Jesuiten in Ausbreitung ihrer schlechten Grundsätze zu leisten vermöchten? Schrift und Druck kommen nicht in Betracht, denn dadurch wirken sie jetzt schon. Es handelt sich also bloß um Beichte, Predigt und persönlichen Umgang. Auf viel mehr als zweihundert würde die Zahl der Jesuiten in Deutschland nicht anwachsen, aber nehmen wir an, sie wüchsen bis auf tausend um. Gepredigt wird für gewöhnlich etwa an sechzig Tagen im Jahr, und die Predigt dauert w den katholischen Kirchen höchstens eine Stunde. Die Ohrenbeichte einer Person währt, wie man beim Besuch katholischer Kirchen beobachte,: kaun, selten länger als zehn Minuten, und wenn der Geistliche in einem Jahre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/206>, abgerufen am 25.08.2024.