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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Zur Jesmtenfrage

Jahren ist er uns nicht mehr zu Gesicht gekommen! Dieser Tage fragten
wir einen höher gestellten evangelischen Geistlichen, wie er sich die Störung
dieses abwesenden Friedens durch die Jesuiten eigentlich denke. Er sann ein
Weilchen nach, dann sagte er: Nun, ich meine, sie werden in den gemischten
Ehen den Frieden stören. Worauf wir ihm erwiderten: Giebt es wohl heut¬
zutage einen einzigen evangelischen oder katholischen Geistlichen, der eine fried¬
liche gemischte Ehe duldete, wenn der Friede auf der Nachgiebigkeit des seiner
Konfession angehörenden Teils beruht? Eine friedliche gemischte Ehe ist,
wenigstens wo Kinder vorhanden sind, nur unter der Bedingung denkbar, daß
einer der Ehegatten indifferent ist, oder daß es beide sind. Daß eine ihrem
Glauben aufrichtig und herzlich ergebne Person nicht alles aufböte, ihre sämt¬
lichen Kinder für denselben Glauben zu gewinnen, das kommt gar nicht vor,
und die Geistlichen wirken selbstverständlich in demselben Sinne, teils weil sie
aufrichtig von der alleinseligmachenden Kraft ihres Glaubens überzeugt sind,
teils um den Besitzstand ihrer Kirche nicht schmälern zu lassen. Man hat
nicht gehört, daß der katholische Klerus Ungarns bei seinem Wegtaufstreit der
Anfeuerung durch die Jesuiten bedurft hatte. Es hat eine Zeit gegeben
-- so etwa von 1750 bis 1830 --, wo man in Deutschland allenfalls von
konfessionellen Frieden sprechen konnte. Es war die Zeit der "Aufklärung,"
wo zahlreiche katholische Geistliche dem Freimaurerorden angehörten und die
Messe einen Hokuspokus nannten, wo ein Erzbischof und Kurfürst von Mainz
bei einem Besuch in ^ Paris das Gerücht verbreitete, er werde am nächsten
Sonntag in Notredcime predigen, auch wirklich die Kanzel bestieg und der
tauseudköpsigen neugierigen Menge verkündigte, daß heute der erste April sei,
wo die Leute ohne Unterschied der Konfession immer die Kirche besuchten, in
der sie die beste Predigt -- gewöhnlich eine leere Schönrednerei -- erwarten
durften, und wo man die Kinder nur deswegen katholisch oder evangelisch
taufen ließ, weil es das Herkommen und die Obrigkeit geboten, irgendwo
laufen zu lassen. Nun wird zwar behauptet, die seitdem eingetretne katho¬
lische Reaktion sei eben das Werk der Jesuiten, allein diese Behauptung schlägt
der Chronologie mit erstaunlicher Naivität ins Gesicht. Die Aufklärung ist
zur Herrschaft gelangt, während die Jesuiten noch ungestört wirkten. Die Re¬
aktion hat sich vorbereitet, während die wenigen noch übrigen Glieder des auf¬
gelösten Ordens teils in portugiesischen Gefängnissen lagen, teils als unbedeu¬
tende, einflußlose und von den Regierungen durchaus abhängige vereinzelte
Lehrer an preußischen und bairischen Gymnasien wirkten. Zur Zeit der Hoch¬
flut der katholischen Reaktion befand sich kein einziges Mitglied des mittlerweile
wieder hergestellten Ordens in Deutschland, und als sie 1848 wieder einzogen,
da war das Werk schon vollendet. Wir gedenken die Geschichte dieser merk¬
würdigen Reaktion oder Renaissance des Katholizismus einmal bei einer andern
Gelegenheit darzustellen und werden dann zeigen, wie die Jesuiten allerdings


Zur Jesmtenfrage

Jahren ist er uns nicht mehr zu Gesicht gekommen! Dieser Tage fragten
wir einen höher gestellten evangelischen Geistlichen, wie er sich die Störung
dieses abwesenden Friedens durch die Jesuiten eigentlich denke. Er sann ein
Weilchen nach, dann sagte er: Nun, ich meine, sie werden in den gemischten
Ehen den Frieden stören. Worauf wir ihm erwiderten: Giebt es wohl heut¬
zutage einen einzigen evangelischen oder katholischen Geistlichen, der eine fried¬
liche gemischte Ehe duldete, wenn der Friede auf der Nachgiebigkeit des seiner
Konfession angehörenden Teils beruht? Eine friedliche gemischte Ehe ist,
wenigstens wo Kinder vorhanden sind, nur unter der Bedingung denkbar, daß
einer der Ehegatten indifferent ist, oder daß es beide sind. Daß eine ihrem
Glauben aufrichtig und herzlich ergebne Person nicht alles aufböte, ihre sämt¬
lichen Kinder für denselben Glauben zu gewinnen, das kommt gar nicht vor,
und die Geistlichen wirken selbstverständlich in demselben Sinne, teils weil sie
aufrichtig von der alleinseligmachenden Kraft ihres Glaubens überzeugt sind,
teils um den Besitzstand ihrer Kirche nicht schmälern zu lassen. Man hat
nicht gehört, daß der katholische Klerus Ungarns bei seinem Wegtaufstreit der
Anfeuerung durch die Jesuiten bedurft hatte. Es hat eine Zeit gegeben
— so etwa von 1750 bis 1830 —, wo man in Deutschland allenfalls von
konfessionellen Frieden sprechen konnte. Es war die Zeit der „Aufklärung,"
wo zahlreiche katholische Geistliche dem Freimaurerorden angehörten und die
Messe einen Hokuspokus nannten, wo ein Erzbischof und Kurfürst von Mainz
bei einem Besuch in ^ Paris das Gerücht verbreitete, er werde am nächsten
Sonntag in Notredcime predigen, auch wirklich die Kanzel bestieg und der
tauseudköpsigen neugierigen Menge verkündigte, daß heute der erste April sei,
wo die Leute ohne Unterschied der Konfession immer die Kirche besuchten, in
der sie die beste Predigt — gewöhnlich eine leere Schönrednerei — erwarten
durften, und wo man die Kinder nur deswegen katholisch oder evangelisch
taufen ließ, weil es das Herkommen und die Obrigkeit geboten, irgendwo
laufen zu lassen. Nun wird zwar behauptet, die seitdem eingetretne katho¬
lische Reaktion sei eben das Werk der Jesuiten, allein diese Behauptung schlägt
der Chronologie mit erstaunlicher Naivität ins Gesicht. Die Aufklärung ist
zur Herrschaft gelangt, während die Jesuiten noch ungestört wirkten. Die Re¬
aktion hat sich vorbereitet, während die wenigen noch übrigen Glieder des auf¬
gelösten Ordens teils in portugiesischen Gefängnissen lagen, teils als unbedeu¬
tende, einflußlose und von den Regierungen durchaus abhängige vereinzelte
Lehrer an preußischen und bairischen Gymnasien wirkten. Zur Zeit der Hoch¬
flut der katholischen Reaktion befand sich kein einziges Mitglied des mittlerweile
wieder hergestellten Ordens in Deutschland, und als sie 1848 wieder einzogen,
da war das Werk schon vollendet. Wir gedenken die Geschichte dieser merk¬
würdigen Reaktion oder Renaissance des Katholizismus einmal bei einer andern
Gelegenheit darzustellen und werden dann zeigen, wie die Jesuiten allerdings


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[0205] Zur Jesmtenfrage Jahren ist er uns nicht mehr zu Gesicht gekommen! Dieser Tage fragten wir einen höher gestellten evangelischen Geistlichen, wie er sich die Störung dieses abwesenden Friedens durch die Jesuiten eigentlich denke. Er sann ein Weilchen nach, dann sagte er: Nun, ich meine, sie werden in den gemischten Ehen den Frieden stören. Worauf wir ihm erwiderten: Giebt es wohl heut¬ zutage einen einzigen evangelischen oder katholischen Geistlichen, der eine fried¬ liche gemischte Ehe duldete, wenn der Friede auf der Nachgiebigkeit des seiner Konfession angehörenden Teils beruht? Eine friedliche gemischte Ehe ist, wenigstens wo Kinder vorhanden sind, nur unter der Bedingung denkbar, daß einer der Ehegatten indifferent ist, oder daß es beide sind. Daß eine ihrem Glauben aufrichtig und herzlich ergebne Person nicht alles aufböte, ihre sämt¬ lichen Kinder für denselben Glauben zu gewinnen, das kommt gar nicht vor, und die Geistlichen wirken selbstverständlich in demselben Sinne, teils weil sie aufrichtig von der alleinseligmachenden Kraft ihres Glaubens überzeugt sind, teils um den Besitzstand ihrer Kirche nicht schmälern zu lassen. Man hat nicht gehört, daß der katholische Klerus Ungarns bei seinem Wegtaufstreit der Anfeuerung durch die Jesuiten bedurft hatte. Es hat eine Zeit gegeben — so etwa von 1750 bis 1830 —, wo man in Deutschland allenfalls von konfessionellen Frieden sprechen konnte. Es war die Zeit der „Aufklärung," wo zahlreiche katholische Geistliche dem Freimaurerorden angehörten und die Messe einen Hokuspokus nannten, wo ein Erzbischof und Kurfürst von Mainz bei einem Besuch in ^ Paris das Gerücht verbreitete, er werde am nächsten Sonntag in Notredcime predigen, auch wirklich die Kanzel bestieg und der tauseudköpsigen neugierigen Menge verkündigte, daß heute der erste April sei, wo die Leute ohne Unterschied der Konfession immer die Kirche besuchten, in der sie die beste Predigt — gewöhnlich eine leere Schönrednerei — erwarten durften, und wo man die Kinder nur deswegen katholisch oder evangelisch taufen ließ, weil es das Herkommen und die Obrigkeit geboten, irgendwo laufen zu lassen. Nun wird zwar behauptet, die seitdem eingetretne katho¬ lische Reaktion sei eben das Werk der Jesuiten, allein diese Behauptung schlägt der Chronologie mit erstaunlicher Naivität ins Gesicht. Die Aufklärung ist zur Herrschaft gelangt, während die Jesuiten noch ungestört wirkten. Die Re¬ aktion hat sich vorbereitet, während die wenigen noch übrigen Glieder des auf¬ gelösten Ordens teils in portugiesischen Gefängnissen lagen, teils als unbedeu¬ tende, einflußlose und von den Regierungen durchaus abhängige vereinzelte Lehrer an preußischen und bairischen Gymnasien wirkten. Zur Zeit der Hoch¬ flut der katholischen Reaktion befand sich kein einziges Mitglied des mittlerweile wieder hergestellten Ordens in Deutschland, und als sie 1848 wieder einzogen, da war das Werk schon vollendet. Wir gedenken die Geschichte dieser merk¬ würdigen Reaktion oder Renaissance des Katholizismus einmal bei einer andern Gelegenheit darzustellen und werden dann zeigen, wie die Jesuiten allerdings

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/205>, abgerufen am 26.08.2024.