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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leopold Aüimnerlich

Vater ganz Recht. Wie gründlich lernt unsereins das Leben kennen! Und
welche Erfahrungen sammelt man, von denen die bevorzugten Menschen keine
Ahnung haben!

Diese Gedanken Leopolds kamen mir sehr gelegen, denn ich konnte sie
benutzen, um das Selbstvertrauen in dem armen Menschen wieder etwas zu
beleben. Wir gingen eine ganze Reihe berühmter Männer durch, die sich aus
niedrigen Verhältnissen durch eigne Kraft emporgearbeitet hatten. Aber bald
merkte ich, daß Leopold zerstreut wurde und mit wachsender Unruhe und Auf¬
regung einem Gespräch am Nebentisch zuhörte.

Dort saßen drei Studenten, die über das juristische Studium sprachen.

Es sollte keiner, sagte der eine, ein höchst patent gekleideter Herr, etwas
näselnd, zur juristischen Fakultät zugelassen werden, der nicht über einen Wechsel
von mindestens fünfhundert Thalern verfügt. Was sieht mau jetzt für schäbige
Kerle in den Auditorien sitzen! Man möchte immer von ihnen wegrücken.

Ja, sagte ein Dicker mit biergerötetem Gesicht und einigen schmissen
drin, hinauswerfen sollte man diese Schusterseclen. Das hungert sich durchs
Studium und durch die Neferendarzeit und wird zeitlebens die Sklavennatnr
nicht los. Wie sollen nur solche Hungerleider, die immer getreten werden
und überall zu Kreuze kriechen, einmal schneidige Staatsbeamte abgeben!

Sehr richtig, sagte der dritte, der schon eine merkliche Glatze hatte, sehr
richtig, vorausgesetzt natürlich, daß die Leute nicht vorher schon das blühende
Handwerk eines Paletotmardcrs ergriffen haben.

Alle lachten und tranken einander zu. Leopold hörte gar nicht mehr auf
mich, er saß in furchtbarer Erregung da, wechselte seine Gesichtsfarbe und sah
sich nach den Sprechern um.

Es sängt oben schon ein andrer Wind an zu wehen, wie mir scheint,
sagte der näselnde. Sie lassen jetzt den Pöbel im Examen durchfliege", daß
es eine Art hat. Auch das letztemal ist so einer durchgerasselt -- mit Pauken
und Trompeten, sage ich Ihnen. Na, den Kerl hätten Sie in seinem gepumpten
Leibrock sehen sollen! Es war zum Schießen, wie dieser Trailerkloß dastand.
Solche Kerle sollten doch wegen Größenwahn ins Irrenhaus gesperrt werden.

Plötzlich entstand ein furchtbarer Lärm. Leopold Kümmerlich war auf¬
gesprungen, hatte dem näselnder Sprecher einen Faustschlag ins Gesicht ver¬
setzt und war dann mit lautem Aufschrei vhnmüchtig zusammengebrochen.

Das ganze Lokal geriet in Aufregung. Ich hatte Mühe, die drei Stu¬
denten, die fortwährend nach Satisfaktion brüllten, zu beruhigen und ihnen
zu versichern, daß ihnen jede gewünschte Genugthuung gegeben werden würde.

Ein Mediziner hatte sich über den Ohnmächtigen gebeugt und untersuchte
eine Wunde, denn Leopold war mit dem Gesicht auf eine Stuhlkante gefallen
und blutete. Es war nur eine Hautwunde. Sie wurde verbunden, und der
freundliche Mediziner und ich schafften den noch immer regungslos daliegenden


Leopold Aüimnerlich

Vater ganz Recht. Wie gründlich lernt unsereins das Leben kennen! Und
welche Erfahrungen sammelt man, von denen die bevorzugten Menschen keine
Ahnung haben!

Diese Gedanken Leopolds kamen mir sehr gelegen, denn ich konnte sie
benutzen, um das Selbstvertrauen in dem armen Menschen wieder etwas zu
beleben. Wir gingen eine ganze Reihe berühmter Männer durch, die sich aus
niedrigen Verhältnissen durch eigne Kraft emporgearbeitet hatten. Aber bald
merkte ich, daß Leopold zerstreut wurde und mit wachsender Unruhe und Auf¬
regung einem Gespräch am Nebentisch zuhörte.

Dort saßen drei Studenten, die über das juristische Studium sprachen.

Es sollte keiner, sagte der eine, ein höchst patent gekleideter Herr, etwas
näselnd, zur juristischen Fakultät zugelassen werden, der nicht über einen Wechsel
von mindestens fünfhundert Thalern verfügt. Was sieht mau jetzt für schäbige
Kerle in den Auditorien sitzen! Man möchte immer von ihnen wegrücken.

Ja, sagte ein Dicker mit biergerötetem Gesicht und einigen schmissen
drin, hinauswerfen sollte man diese Schusterseclen. Das hungert sich durchs
Studium und durch die Neferendarzeit und wird zeitlebens die Sklavennatnr
nicht los. Wie sollen nur solche Hungerleider, die immer getreten werden
und überall zu Kreuze kriechen, einmal schneidige Staatsbeamte abgeben!

Sehr richtig, sagte der dritte, der schon eine merkliche Glatze hatte, sehr
richtig, vorausgesetzt natürlich, daß die Leute nicht vorher schon das blühende
Handwerk eines Paletotmardcrs ergriffen haben.

Alle lachten und tranken einander zu. Leopold hörte gar nicht mehr auf
mich, er saß in furchtbarer Erregung da, wechselte seine Gesichtsfarbe und sah
sich nach den Sprechern um.

Es sängt oben schon ein andrer Wind an zu wehen, wie mir scheint,
sagte der näselnde. Sie lassen jetzt den Pöbel im Examen durchfliege», daß
es eine Art hat. Auch das letztemal ist so einer durchgerasselt — mit Pauken
und Trompeten, sage ich Ihnen. Na, den Kerl hätten Sie in seinem gepumpten
Leibrock sehen sollen! Es war zum Schießen, wie dieser Trailerkloß dastand.
Solche Kerle sollten doch wegen Größenwahn ins Irrenhaus gesperrt werden.

Plötzlich entstand ein furchtbarer Lärm. Leopold Kümmerlich war auf¬
gesprungen, hatte dem näselnder Sprecher einen Faustschlag ins Gesicht ver¬
setzt und war dann mit lautem Aufschrei vhnmüchtig zusammengebrochen.

Das ganze Lokal geriet in Aufregung. Ich hatte Mühe, die drei Stu¬
denten, die fortwährend nach Satisfaktion brüllten, zu beruhigen und ihnen
zu versichern, daß ihnen jede gewünschte Genugthuung gegeben werden würde.

Ein Mediziner hatte sich über den Ohnmächtigen gebeugt und untersuchte
eine Wunde, denn Leopold war mit dem Gesicht auf eine Stuhlkante gefallen
und blutete. Es war nur eine Hautwunde. Sie wurde verbunden, und der
freundliche Mediziner und ich schafften den noch immer regungslos daliegenden


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[0195] Leopold Aüimnerlich Vater ganz Recht. Wie gründlich lernt unsereins das Leben kennen! Und welche Erfahrungen sammelt man, von denen die bevorzugten Menschen keine Ahnung haben! Diese Gedanken Leopolds kamen mir sehr gelegen, denn ich konnte sie benutzen, um das Selbstvertrauen in dem armen Menschen wieder etwas zu beleben. Wir gingen eine ganze Reihe berühmter Männer durch, die sich aus niedrigen Verhältnissen durch eigne Kraft emporgearbeitet hatten. Aber bald merkte ich, daß Leopold zerstreut wurde und mit wachsender Unruhe und Auf¬ regung einem Gespräch am Nebentisch zuhörte. Dort saßen drei Studenten, die über das juristische Studium sprachen. Es sollte keiner, sagte der eine, ein höchst patent gekleideter Herr, etwas näselnd, zur juristischen Fakultät zugelassen werden, der nicht über einen Wechsel von mindestens fünfhundert Thalern verfügt. Was sieht mau jetzt für schäbige Kerle in den Auditorien sitzen! Man möchte immer von ihnen wegrücken. Ja, sagte ein Dicker mit biergerötetem Gesicht und einigen schmissen drin, hinauswerfen sollte man diese Schusterseclen. Das hungert sich durchs Studium und durch die Neferendarzeit und wird zeitlebens die Sklavennatnr nicht los. Wie sollen nur solche Hungerleider, die immer getreten werden und überall zu Kreuze kriechen, einmal schneidige Staatsbeamte abgeben! Sehr richtig, sagte der dritte, der schon eine merkliche Glatze hatte, sehr richtig, vorausgesetzt natürlich, daß die Leute nicht vorher schon das blühende Handwerk eines Paletotmardcrs ergriffen haben. Alle lachten und tranken einander zu. Leopold hörte gar nicht mehr auf mich, er saß in furchtbarer Erregung da, wechselte seine Gesichtsfarbe und sah sich nach den Sprechern um. Es sängt oben schon ein andrer Wind an zu wehen, wie mir scheint, sagte der näselnde. Sie lassen jetzt den Pöbel im Examen durchfliege», daß es eine Art hat. Auch das letztemal ist so einer durchgerasselt — mit Pauken und Trompeten, sage ich Ihnen. Na, den Kerl hätten Sie in seinem gepumpten Leibrock sehen sollen! Es war zum Schießen, wie dieser Trailerkloß dastand. Solche Kerle sollten doch wegen Größenwahn ins Irrenhaus gesperrt werden. Plötzlich entstand ein furchtbarer Lärm. Leopold Kümmerlich war auf¬ gesprungen, hatte dem näselnder Sprecher einen Faustschlag ins Gesicht ver¬ setzt und war dann mit lautem Aufschrei vhnmüchtig zusammengebrochen. Das ganze Lokal geriet in Aufregung. Ich hatte Mühe, die drei Stu¬ denten, die fortwährend nach Satisfaktion brüllten, zu beruhigen und ihnen zu versichern, daß ihnen jede gewünschte Genugthuung gegeben werden würde. Ein Mediziner hatte sich über den Ohnmächtigen gebeugt und untersuchte eine Wunde, denn Leopold war mit dem Gesicht auf eine Stuhlkante gefallen und blutete. Es war nur eine Hautwunde. Sie wurde verbunden, und der freundliche Mediziner und ich schafften den noch immer regungslos daliegenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/195>, abgerufen am 27.07.2024.