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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leopold Kümmerlich

einander, Mlz fertig! Dann schlägt er das Fenster krachend wieder zu und
sagt zum Kommis: Na, da sitzen wir nu mit dem Koth. Alle Leute sind
unterwegs, die Körbe sollen in einer halben Stunde abgeholt werden, wer
schippt se uns nu voll?

Leopold hat mit wachsender Spannung dem Gespräch zugehört, eine
freudige Erregung geht über sein Gesicht -- hier kaun er etwas verdienen!
Er bietet dem Kohlenhändler an, er wolle die paar Körbe vollschippen, wenn
ihm dann das (üorpus juris gelassen werde. Der Dicke willigt ein, und eine
halbe Minute später steht Leopold mit der Schippe in der Hand draußen vor
dem Kokslager, und nachdem er seine Gnmmistnlpen abgenommen und in die
Rocktasche gesteckt hat, fängt er an, den ersten Korb zu füllen.

Die Bewegung thut ihm wohl. Es geht zuerst etwas langsam und un¬
geschickt, er schippt oft vorbei, läßt auch ein paarmal die Schippe fallen, daß
es klirrt und der Dicke ärgerlich ans Fenster springt. Aber beim zweiten Korb
hat er schon die nötigen Kunstgriffe weg, es kommt etwas wie Galgenhumor
über ihn, er muß an deu Gassenhauer denken: "Mutter, der Mann mit dem
Koth is da," und an die Bariante: "Mutter, der Referendar is dn," und so
schaufelt er denn munter weiter. Beim vierten, fünften Korbe erlahmt er.
Aber mit Aufbietung aller Kräfte und in fieberhafter Hast schaufelt er weiter,
bis auch der letzte Korb gestillt ist, stürzt dann keuchend und in Schweiß ge¬
badet wieder in die Geschäftsstube und erhält nun endlich sein vorpus juris
eingehändigt!

Als mir Leopold die Geschichte zu Ende erzählt hatte, fuhr er sich mit der
Hand über die matten Augen. Aus dem Nebenzimmer, wo eine Verbindung
einen Kommers abhielt, drangen die übermütigen und lärmenden Töne des
alten Studentenliedes "Sind wir nicht zur Herrlichkeit geboren?" herüber. Ach
Gott, sagte Leopold, die Herrlichkeit! Wie oft habe ich neben mir in der
Karlstraße die Bückergesellen beneidet, wenn sie um die Mittagszeit behaglich
an die Thürpfosten gelehnt dastanden, mit ihren verschränkten dicken Armen,
die kleine Thonpfeife im Munde, und die Weiße Mütze im Genick. Meine
ganze klassische Bildung und meine ganze Studentenherrlichkeit hätte ich drum
gegeben, wenn ich manchmal so ein zufriedner, gesättigter Bäckergeselle hätte
sein können. Na, jetzt habe ich mein Oorvus furis wieder, jetzt soll es anders
werden. Mir ist, als käme neuer Mut über mich. In Iroo ÄWo viuvss!
Dabei klopfte er mit der Hand auf das Buch.

Jetzt haben wir Februar, fuhr er fort, bald wird es wieder Frühling
werden. Glauben Sie mir wohl, daß ich seit drei Jahren keine Lerche gehört
habe? Erinnern Sie sich noch, wie wir als Jungen auf dem Lehmberge die
aufsteigenden Lerchen mit den Augen verfolgten? Wissen Sie, ich habe neulich
so darüber nachgedacht, aus kleinen Städten und untergeordneten Familien
Und doch viele tüchtige, berühmte Männer hervorgegangen. Darin hat mein'


Grenzboten It 18W 24
Leopold Kümmerlich

einander, Mlz fertig! Dann schlägt er das Fenster krachend wieder zu und
sagt zum Kommis: Na, da sitzen wir nu mit dem Koth. Alle Leute sind
unterwegs, die Körbe sollen in einer halben Stunde abgeholt werden, wer
schippt se uns nu voll?

Leopold hat mit wachsender Spannung dem Gespräch zugehört, eine
freudige Erregung geht über sein Gesicht — hier kaun er etwas verdienen!
Er bietet dem Kohlenhändler an, er wolle die paar Körbe vollschippen, wenn
ihm dann das (üorpus juris gelassen werde. Der Dicke willigt ein, und eine
halbe Minute später steht Leopold mit der Schippe in der Hand draußen vor
dem Kokslager, und nachdem er seine Gnmmistnlpen abgenommen und in die
Rocktasche gesteckt hat, fängt er an, den ersten Korb zu füllen.

Die Bewegung thut ihm wohl. Es geht zuerst etwas langsam und un¬
geschickt, er schippt oft vorbei, läßt auch ein paarmal die Schippe fallen, daß
es klirrt und der Dicke ärgerlich ans Fenster springt. Aber beim zweiten Korb
hat er schon die nötigen Kunstgriffe weg, es kommt etwas wie Galgenhumor
über ihn, er muß an deu Gassenhauer denken: „Mutter, der Mann mit dem
Koth is da," und an die Bariante: „Mutter, der Referendar is dn," und so
schaufelt er denn munter weiter. Beim vierten, fünften Korbe erlahmt er.
Aber mit Aufbietung aller Kräfte und in fieberhafter Hast schaufelt er weiter,
bis auch der letzte Korb gestillt ist, stürzt dann keuchend und in Schweiß ge¬
badet wieder in die Geschäftsstube und erhält nun endlich sein vorpus juris
eingehändigt!

Als mir Leopold die Geschichte zu Ende erzählt hatte, fuhr er sich mit der
Hand über die matten Augen. Aus dem Nebenzimmer, wo eine Verbindung
einen Kommers abhielt, drangen die übermütigen und lärmenden Töne des
alten Studentenliedes „Sind wir nicht zur Herrlichkeit geboren?" herüber. Ach
Gott, sagte Leopold, die Herrlichkeit! Wie oft habe ich neben mir in der
Karlstraße die Bückergesellen beneidet, wenn sie um die Mittagszeit behaglich
an die Thürpfosten gelehnt dastanden, mit ihren verschränkten dicken Armen,
die kleine Thonpfeife im Munde, und die Weiße Mütze im Genick. Meine
ganze klassische Bildung und meine ganze Studentenherrlichkeit hätte ich drum
gegeben, wenn ich manchmal so ein zufriedner, gesättigter Bäckergeselle hätte
sein können. Na, jetzt habe ich mein Oorvus furis wieder, jetzt soll es anders
werden. Mir ist, als käme neuer Mut über mich. In Iroo ÄWo viuvss!
Dabei klopfte er mit der Hand auf das Buch.

Jetzt haben wir Februar, fuhr er fort, bald wird es wieder Frühling
werden. Glauben Sie mir wohl, daß ich seit drei Jahren keine Lerche gehört
habe? Erinnern Sie sich noch, wie wir als Jungen auf dem Lehmberge die
aufsteigenden Lerchen mit den Augen verfolgten? Wissen Sie, ich habe neulich
so darüber nachgedacht, aus kleinen Städten und untergeordneten Familien
Und doch viele tüchtige, berühmte Männer hervorgegangen. Darin hat mein'


Grenzboten It 18W 24
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[0194] Leopold Kümmerlich einander, Mlz fertig! Dann schlägt er das Fenster krachend wieder zu und sagt zum Kommis: Na, da sitzen wir nu mit dem Koth. Alle Leute sind unterwegs, die Körbe sollen in einer halben Stunde abgeholt werden, wer schippt se uns nu voll? Leopold hat mit wachsender Spannung dem Gespräch zugehört, eine freudige Erregung geht über sein Gesicht — hier kaun er etwas verdienen! Er bietet dem Kohlenhändler an, er wolle die paar Körbe vollschippen, wenn ihm dann das (üorpus juris gelassen werde. Der Dicke willigt ein, und eine halbe Minute später steht Leopold mit der Schippe in der Hand draußen vor dem Kokslager, und nachdem er seine Gnmmistnlpen abgenommen und in die Rocktasche gesteckt hat, fängt er an, den ersten Korb zu füllen. Die Bewegung thut ihm wohl. Es geht zuerst etwas langsam und un¬ geschickt, er schippt oft vorbei, läßt auch ein paarmal die Schippe fallen, daß es klirrt und der Dicke ärgerlich ans Fenster springt. Aber beim zweiten Korb hat er schon die nötigen Kunstgriffe weg, es kommt etwas wie Galgenhumor über ihn, er muß an deu Gassenhauer denken: „Mutter, der Mann mit dem Koth is da," und an die Bariante: „Mutter, der Referendar is dn," und so schaufelt er denn munter weiter. Beim vierten, fünften Korbe erlahmt er. Aber mit Aufbietung aller Kräfte und in fieberhafter Hast schaufelt er weiter, bis auch der letzte Korb gestillt ist, stürzt dann keuchend und in Schweiß ge¬ badet wieder in die Geschäftsstube und erhält nun endlich sein vorpus juris eingehändigt! Als mir Leopold die Geschichte zu Ende erzählt hatte, fuhr er sich mit der Hand über die matten Augen. Aus dem Nebenzimmer, wo eine Verbindung einen Kommers abhielt, drangen die übermütigen und lärmenden Töne des alten Studentenliedes „Sind wir nicht zur Herrlichkeit geboren?" herüber. Ach Gott, sagte Leopold, die Herrlichkeit! Wie oft habe ich neben mir in der Karlstraße die Bückergesellen beneidet, wenn sie um die Mittagszeit behaglich an die Thürpfosten gelehnt dastanden, mit ihren verschränkten dicken Armen, die kleine Thonpfeife im Munde, und die Weiße Mütze im Genick. Meine ganze klassische Bildung und meine ganze Studentenherrlichkeit hätte ich drum gegeben, wenn ich manchmal so ein zufriedner, gesättigter Bäckergeselle hätte sein können. Na, jetzt habe ich mein Oorvus furis wieder, jetzt soll es anders werden. Mir ist, als käme neuer Mut über mich. In Iroo ÄWo viuvss! Dabei klopfte er mit der Hand auf das Buch. Jetzt haben wir Februar, fuhr er fort, bald wird es wieder Frühling werden. Glauben Sie mir wohl, daß ich seit drei Jahren keine Lerche gehört habe? Erinnern Sie sich noch, wie wir als Jungen auf dem Lehmberge die aufsteigenden Lerchen mit den Augen verfolgten? Wissen Sie, ich habe neulich so darüber nachgedacht, aus kleinen Städten und untergeordneten Familien Und doch viele tüchtige, berühmte Männer hervorgegangen. Darin hat mein' Grenzboten It 18W 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/194>, abgerufen am 03.07.2024.