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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leopold Kümmerlich

Ja, sagte er leise, die haben mit helfen müssen, das sind sie nicht
gewöhnt.

Er trank hastig das halbe Glas ans, und nun erfuhr ich denn auch sein
neuestes wunderliches Erlebnis. Es klingt fast unglaublich, aber ich erzähle
es wieder, wie er mirs erzählte.

Um sich das heiß ersehnte Oorpus Mri8 wiederzuvcrschaffen, war er vom
schwarzen Bret gerades Wegs nach dem Kohlengeschäft am Alexanderplatz
geeilt. Wie er hinkommt, giebt es in der Hausflur gerade einen lebhaften
Wortwechsel zwischen einem Kommis und einem Kohleuarbeiter. Er eilt vorüber
und tritt in die Geschäftsstube. Da sitzt hinterm Schreibtisch der "Chef," ein
kleiner dicker Herr mit rotem, glattrasirten Gesicht, und Leopold bringt sein
Anliegen vor.

Was wollen Se denn mit dem Buche? fragt ihn der Dicke brummig.
Soviel ich davon verstehe, is das nichts zum Kolportiren -- dazu wollen
Se's doch? Ich Hab's für die Studenten ans schwarze Bret schlagen lassen,
aber nich für solche Leute wie Sie. Das sieht mir 'n bischen nach Schwindel aus.

Dem armen Leopold schießt das Blut ins Gesicht -- er wird also nicht
für einen Studenten gehalten! Da zieht er es vor, sich ganz zu verleugnen.
Es ist nicht für mich, sagt er stammelnd, ich soll's für einen Studenten kaufen,
der mit in meinem Hause wohnt; der hat mich hergeschickt.

So? erwiederte der Dicke, na warum sagen Se denn das nich gleich?
Hier is es! Wir Haben's neulich so'ner oller Studeuteumutter in der Iohcmnis-
gasse abpfänden lassen. Sie war fünf Mark für Koth schuldig, und die muß
ich aus dem Schmöker wieder raus haben. Es sind verschiedne Fettflecken und
Tintenklexe drin, aber der Einband is noch gut, sehn Se sichs nur an!

Leopold nimmt das Buch, der Einband kommt ihm bekannt vor. Er
schlägt es auf -- bei Gott! es ist sein altes Loipus Mri8! Oben rechts auf
dem Titelblatte war noch ganz schwach sein Name zu lesen, den der letzte
Besitzer ausgekratzt hatte.

Er zieht mit zitternder Hand sein Portemonnaie, wühlt darin und zählt
alles, was er hat, in die hohle Hand. Endlich sagt er traurig: Ich habe
nur vier Mark fünfzig bei mir -- lassen Sie mir's dafür!

Aha, ein Zwischengeschäftchen wollen Se machen? erwiederte der Dicke.
Nee, mein Bester, das giebts nich; gehen Se man wieder nach Hanse um
holen Se gefälligst das übrige, unter fünf Mark is es nich, und wenn --

In diesem Augenblicke tritt der Kommis herein und ruft: Mit dem Kerl
ist nichts anzufangen! Er ist mit fünfzig Pfennigen nicht zufrieden, er will
für die letzten zehn Körbe eine ganze Mark haben!

Der Dicke springt ans Fenster, reißt es auf und schreit dem Arbeiter,
der breitbeinig, die Schippe unterm Arm dasteht, zu: Sind Se verrückt?
Machen Se sofort, daß Se vom Kohlenplatz wegkommen! Wir sind fertig mit


Leopold Kümmerlich

Ja, sagte er leise, die haben mit helfen müssen, das sind sie nicht
gewöhnt.

Er trank hastig das halbe Glas ans, und nun erfuhr ich denn auch sein
neuestes wunderliches Erlebnis. Es klingt fast unglaublich, aber ich erzähle
es wieder, wie er mirs erzählte.

Um sich das heiß ersehnte Oorpus Mri8 wiederzuvcrschaffen, war er vom
schwarzen Bret gerades Wegs nach dem Kohlengeschäft am Alexanderplatz
geeilt. Wie er hinkommt, giebt es in der Hausflur gerade einen lebhaften
Wortwechsel zwischen einem Kommis und einem Kohleuarbeiter. Er eilt vorüber
und tritt in die Geschäftsstube. Da sitzt hinterm Schreibtisch der „Chef," ein
kleiner dicker Herr mit rotem, glattrasirten Gesicht, und Leopold bringt sein
Anliegen vor.

Was wollen Se denn mit dem Buche? fragt ihn der Dicke brummig.
Soviel ich davon verstehe, is das nichts zum Kolportiren — dazu wollen
Se's doch? Ich Hab's für die Studenten ans schwarze Bret schlagen lassen,
aber nich für solche Leute wie Sie. Das sieht mir 'n bischen nach Schwindel aus.

Dem armen Leopold schießt das Blut ins Gesicht — er wird also nicht
für einen Studenten gehalten! Da zieht er es vor, sich ganz zu verleugnen.
Es ist nicht für mich, sagt er stammelnd, ich soll's für einen Studenten kaufen,
der mit in meinem Hause wohnt; der hat mich hergeschickt.

So? erwiederte der Dicke, na warum sagen Se denn das nich gleich?
Hier is es! Wir Haben's neulich so'ner oller Studeuteumutter in der Iohcmnis-
gasse abpfänden lassen. Sie war fünf Mark für Koth schuldig, und die muß
ich aus dem Schmöker wieder raus haben. Es sind verschiedne Fettflecken und
Tintenklexe drin, aber der Einband is noch gut, sehn Se sichs nur an!

Leopold nimmt das Buch, der Einband kommt ihm bekannt vor. Er
schlägt es auf — bei Gott! es ist sein altes Loipus Mri8! Oben rechts auf
dem Titelblatte war noch ganz schwach sein Name zu lesen, den der letzte
Besitzer ausgekratzt hatte.

Er zieht mit zitternder Hand sein Portemonnaie, wühlt darin und zählt
alles, was er hat, in die hohle Hand. Endlich sagt er traurig: Ich habe
nur vier Mark fünfzig bei mir — lassen Sie mir's dafür!

Aha, ein Zwischengeschäftchen wollen Se machen? erwiederte der Dicke.
Nee, mein Bester, das giebts nich; gehen Se man wieder nach Hanse um
holen Se gefälligst das übrige, unter fünf Mark is es nich, und wenn —

In diesem Augenblicke tritt der Kommis herein und ruft: Mit dem Kerl
ist nichts anzufangen! Er ist mit fünfzig Pfennigen nicht zufrieden, er will
für die letzten zehn Körbe eine ganze Mark haben!

Der Dicke springt ans Fenster, reißt es auf und schreit dem Arbeiter,
der breitbeinig, die Schippe unterm Arm dasteht, zu: Sind Se verrückt?
Machen Se sofort, daß Se vom Kohlenplatz wegkommen! Wir sind fertig mit


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[0193] Leopold Kümmerlich Ja, sagte er leise, die haben mit helfen müssen, das sind sie nicht gewöhnt. Er trank hastig das halbe Glas ans, und nun erfuhr ich denn auch sein neuestes wunderliches Erlebnis. Es klingt fast unglaublich, aber ich erzähle es wieder, wie er mirs erzählte. Um sich das heiß ersehnte Oorpus Mri8 wiederzuvcrschaffen, war er vom schwarzen Bret gerades Wegs nach dem Kohlengeschäft am Alexanderplatz geeilt. Wie er hinkommt, giebt es in der Hausflur gerade einen lebhaften Wortwechsel zwischen einem Kommis und einem Kohleuarbeiter. Er eilt vorüber und tritt in die Geschäftsstube. Da sitzt hinterm Schreibtisch der „Chef," ein kleiner dicker Herr mit rotem, glattrasirten Gesicht, und Leopold bringt sein Anliegen vor. Was wollen Se denn mit dem Buche? fragt ihn der Dicke brummig. Soviel ich davon verstehe, is das nichts zum Kolportiren — dazu wollen Se's doch? Ich Hab's für die Studenten ans schwarze Bret schlagen lassen, aber nich für solche Leute wie Sie. Das sieht mir 'n bischen nach Schwindel aus. Dem armen Leopold schießt das Blut ins Gesicht — er wird also nicht für einen Studenten gehalten! Da zieht er es vor, sich ganz zu verleugnen. Es ist nicht für mich, sagt er stammelnd, ich soll's für einen Studenten kaufen, der mit in meinem Hause wohnt; der hat mich hergeschickt. So? erwiederte der Dicke, na warum sagen Se denn das nich gleich? Hier is es! Wir Haben's neulich so'ner oller Studeuteumutter in der Iohcmnis- gasse abpfänden lassen. Sie war fünf Mark für Koth schuldig, und die muß ich aus dem Schmöker wieder raus haben. Es sind verschiedne Fettflecken und Tintenklexe drin, aber der Einband is noch gut, sehn Se sichs nur an! Leopold nimmt das Buch, der Einband kommt ihm bekannt vor. Er schlägt es auf — bei Gott! es ist sein altes Loipus Mri8! Oben rechts auf dem Titelblatte war noch ganz schwach sein Name zu lesen, den der letzte Besitzer ausgekratzt hatte. Er zieht mit zitternder Hand sein Portemonnaie, wühlt darin und zählt alles, was er hat, in die hohle Hand. Endlich sagt er traurig: Ich habe nur vier Mark fünfzig bei mir — lassen Sie mir's dafür! Aha, ein Zwischengeschäftchen wollen Se machen? erwiederte der Dicke. Nee, mein Bester, das giebts nich; gehen Se man wieder nach Hanse um holen Se gefälligst das übrige, unter fünf Mark is es nich, und wenn — In diesem Augenblicke tritt der Kommis herein und ruft: Mit dem Kerl ist nichts anzufangen! Er ist mit fünfzig Pfennigen nicht zufrieden, er will für die letzten zehn Körbe eine ganze Mark haben! Der Dicke springt ans Fenster, reißt es auf und schreit dem Arbeiter, der breitbeinig, die Schippe unterm Arm dasteht, zu: Sind Se verrückt? Machen Se sofort, daß Se vom Kohlenplatz wegkommen! Wir sind fertig mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/193>, abgerufen am 03.07.2024.