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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dem Richter

enorme Ladentische der Cigarrenhändler, der Frucht- und Süßigkeitshäudler,
ja sogar Polsterstühle für die des Schuhwichsens beflissueu Negerjungen, die
jeden hereinkommenden umdrängen mit ihrem Linus? Mus, 8ir? (Blank¬
machen? blankmachen, Herr?). Da werden Couverts, Schreibgerätschaften aller
Art, Bücher und Zeitungen dem hastig vorbeischreitenden zum Verkauf ent¬
gegengestreckt. In krassen Widerspruch zu der kalten Pracht der von Marmor¬
säulen getragnen maurischen Halle, zu dem endlosem getäfelten Fußboden aus
schwarzem und weißem Marmor, zu den breiten weißmarmornen Freitreppen
und den herrlichen elektrischen Glühlichtbvuquets wird man hier umdrängt von
den richtigsten Kleinlichkeiten des Menschenlebens.

Auch der Gutmütigste, der mit der festen Absicht hierher kommt, alles
schön und großartig zu finden, muß sich seltsam berührt fühlen, wenn er nach
schneller Fahrstuhlreise in einen der langen prächtigen Korridore tritt, wo
sich -- in jedem Stockwerk -- Hunderte von Geschüftszimmerchen für Notare,
Spediteure, Techniker, Kommissionäre u. s. w., alle numerirt, rechts und links
in langen Reihen hinziehen. In jedem dieser Gänge sieht man in der Mitte
eine Reihe dicker, braungelber Töpfe stehen, in deren Umkreis der schwarz und
weiß getäfelte Marmorfußboden braun gesprenkelt erscheint, und überall an
den Wänden steht die Inschrift: vou't sxit g.t eins lloor! Man merkt, daß
mau sich unter Auswurf befindet, und alle Pracht und Vornehmheit ist dahin.

Oben im vierzehnten oder fünfzehnten Stockwerk befindet sich ein gro߬
artiges Restaurant mit warmem und kaltem Lunch, ein ungeheurer Eßsaal,
Billardsäle u. s. w. Vou den Fenstern aus überblickt man einen guten Teil
des Missourithales, man sieht hinüber über die Brücke in die Gefilde des
Staates Kansas, wo die berühmte 8t>g,t<z-I^iiuz, dem Meridian folgend, die bier-
trinkenden Wölfe des Staates Missouri von den wassertrinkenden Lämmern
des jenseitigen Teils vou Kansas City scheidet, der zum Staate Kansas gehört.
Heimlich trinken freilich die Lämmer desto mehr Schnäpse, und wollen sie am
hellen Tage einen Blick in deu Höllenpfuhl der Bicrtrinkerei thun, so brauchen
sie bloß jene Grenzstraße zu überschreiten, und sie finden Kneipe an Kneipe, meist
von Deutschen oder Jrländern verwaltet.

Drüben bei den Wassertrinkern kann man tagelang in Geschäften umher¬
eilen, ohne etwas andres als Limonade oder Selterswasser mit Eis zu be¬
kommen. Daher der stets verdorbne Magen der meisten der Temperenzlerei
huldigenden Jankees. Sie gönnen sich keine Zeit zum Essen in der halben
Mittagsfrcistuude. Sie setzen sich kaum dazu, sie kauern in langen Reihen, auf
hohen Stühlchen an der bar, dein Ladentisch, dann stürzen sie hastig ihr
Eiswasser hinunter, und in kurzer Zeit ist der chronische Magenkatarrh fertig,
den man fast allen schon von fern anmerken würde, wenn sie nicht fort¬
während wohlriechenden Gummi oder Tabak lauten. Noch haben die Tempe¬
renzler in dem diesseitigen Teile der Stadt nicht die nötige Gewalt, darum


Bilder aus dem Richter

enorme Ladentische der Cigarrenhändler, der Frucht- und Süßigkeitshäudler,
ja sogar Polsterstühle für die des Schuhwichsens beflissueu Negerjungen, die
jeden hereinkommenden umdrängen mit ihrem Linus? Mus, 8ir? (Blank¬
machen? blankmachen, Herr?). Da werden Couverts, Schreibgerätschaften aller
Art, Bücher und Zeitungen dem hastig vorbeischreitenden zum Verkauf ent¬
gegengestreckt. In krassen Widerspruch zu der kalten Pracht der von Marmor¬
säulen getragnen maurischen Halle, zu dem endlosem getäfelten Fußboden aus
schwarzem und weißem Marmor, zu den breiten weißmarmornen Freitreppen
und den herrlichen elektrischen Glühlichtbvuquets wird man hier umdrängt von
den richtigsten Kleinlichkeiten des Menschenlebens.

Auch der Gutmütigste, der mit der festen Absicht hierher kommt, alles
schön und großartig zu finden, muß sich seltsam berührt fühlen, wenn er nach
schneller Fahrstuhlreise in einen der langen prächtigen Korridore tritt, wo
sich — in jedem Stockwerk — Hunderte von Geschüftszimmerchen für Notare,
Spediteure, Techniker, Kommissionäre u. s. w., alle numerirt, rechts und links
in langen Reihen hinziehen. In jedem dieser Gänge sieht man in der Mitte
eine Reihe dicker, braungelber Töpfe stehen, in deren Umkreis der schwarz und
weiß getäfelte Marmorfußboden braun gesprenkelt erscheint, und überall an
den Wänden steht die Inschrift: vou't sxit g.t eins lloor! Man merkt, daß
mau sich unter Auswurf befindet, und alle Pracht und Vornehmheit ist dahin.

Oben im vierzehnten oder fünfzehnten Stockwerk befindet sich ein gro߬
artiges Restaurant mit warmem und kaltem Lunch, ein ungeheurer Eßsaal,
Billardsäle u. s. w. Vou den Fenstern aus überblickt man einen guten Teil
des Missourithales, man sieht hinüber über die Brücke in die Gefilde des
Staates Kansas, wo die berühmte 8t>g,t<z-I^iiuz, dem Meridian folgend, die bier-
trinkenden Wölfe des Staates Missouri von den wassertrinkenden Lämmern
des jenseitigen Teils vou Kansas City scheidet, der zum Staate Kansas gehört.
Heimlich trinken freilich die Lämmer desto mehr Schnäpse, und wollen sie am
hellen Tage einen Blick in deu Höllenpfuhl der Bicrtrinkerei thun, so brauchen
sie bloß jene Grenzstraße zu überschreiten, und sie finden Kneipe an Kneipe, meist
von Deutschen oder Jrländern verwaltet.

Drüben bei den Wassertrinkern kann man tagelang in Geschäften umher¬
eilen, ohne etwas andres als Limonade oder Selterswasser mit Eis zu be¬
kommen. Daher der stets verdorbne Magen der meisten der Temperenzlerei
huldigenden Jankees. Sie gönnen sich keine Zeit zum Essen in der halben
Mittagsfrcistuude. Sie setzen sich kaum dazu, sie kauern in langen Reihen, auf
hohen Stühlchen an der bar, dein Ladentisch, dann stürzen sie hastig ihr
Eiswasser hinunter, und in kurzer Zeit ist der chronische Magenkatarrh fertig,
den man fast allen schon von fern anmerken würde, wenn sie nicht fort¬
während wohlriechenden Gummi oder Tabak lauten. Noch haben die Tempe¬
renzler in dem diesseitigen Teile der Stadt nicht die nötige Gewalt, darum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/189>, abgerufen am 23.07.2024.