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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder ans dein Westen

Unabsehbar dehnten sich die Lichterreihen der Straßen, teils den Neben¬
flußthälern folgend, teils sie bergauf, bergab durchkreuzend. Sie ließen sechs
bis sieben Hochebnen erkennen, die sich, nebeneinandergestreckt, zum Missouri
hinuntersenkten.

Mein Staunen wuchs, als ich am nächsten Morgen durch das Zentrum
der Stadt eilte, um den mexikanischen Konsul, Herrn von Nachdem, einen
frühern Bekannten von mir aus der Hauptstadt Mexiko, aufzusuchen, der mich
bei dem Chef der Packhäuser des Weltfleischmarktes, Mr. Armour, einführen
sollte. Auf meinem Wege dorthin, nach dem Hotel NötroxolitMUouss, mußte
ich unter Leitung meines ortskundigen Zeitungsmannes wegen meines Gepäcks
nach der Börse, dem Telephonamte und dem Postamte, wo sich auch die Zoll¬
behörde befindet. Was ich in diesen Gebäuden sah, überstieg alle meine Er¬
wartungen.

Ich gebe zu, daß die allmähliche Abnahme der Zivilisation auf der
letzten Wegstrecke nicht dazu angethan war, meine Erwartungen von der
Zivilisationsströmung, die das Zwischendeckspublikum hier verbreiten würde,
sehr hoch zu schrauben. Auch gebe ich zu, daß das Reklamemachen der Jankees
etwas betäubendes hat für den, der unmittelbar aus einer anständigen Stadt
wie Berlin hineingeschleudert wird in das sinnverwirrende, unanständige Durch¬
einander, das einen in den ganzen Schmutz gegenseitiger Übervorteilungssucht
ungehindert hineinblicken läßt. Aber trotz alledem ringen mir diese Fahrstuhl¬
aufzüge, zu sechsen neben einander und ebensoviel einander gegenüber, diese
großartigen Telephonverbindungen für das gesamte Publikum, diese Bvrsen-
und Geschäftsräume das Geständnis ab: der Geschäftsteil der Stadt Berlin
ist wie eine Kinderstube im Vergleich zu dem Geschäftsteil von Kansas City.

Die Börse, wo ich den Spediteur aufzusuchen hatte, ist ein riesiges Rot¬
steinbauwerk, stellenweise nur fünf bis sechs Stock hoch, stellenweise aber auch
sich bis zu vierzehn, fünfzehn Stockwerken versteigert, so zusammengewürfelt
aus maurischen Thorgewölben, gotischen .Hallen, Nürnberger Spitztürmen mit
'^chrä'gdächern und Erkern, daß man den Eindruck erhält: hier hat man dem
wahrscheinlich aus Europa bestellten Baumeister gesagt: Geld genug ist da,
nur etwas augenfälliges um jeden Preis! Dieses Gebäude, auf dem die Fahne
des meteorologischen Instituts immer die kommende Witterung für die nächsten
sechs bis zwölf Stunden anzeigt, ist schon durch seine hohe Lage und seine
seltsamen Giebel und Verkröpfnngeu auffallend genug, aber schön sieht es nicht
aus. Die Absichtlichkeit des Gesuchten macht sich zu herausfordernd geltend.

^ Geht mau durch den breiten maurischen Bvgeneingang, dessen große
Thüren sich auf glatten Eisenschienen gleitend bewegen, die Stufen hinan
und tritt durch die Riesenglasthür in den Vorsaal der Eingangshalle, so um¬
fängt einen sofort ein Geruch von Apfelsinen, Kautabak, Stiefelwichse und
Hcirfüm, denn rechts und links ziehen sich elegante Verkaufsstände hin, mar-


Bilder ans dein Westen

Unabsehbar dehnten sich die Lichterreihen der Straßen, teils den Neben¬
flußthälern folgend, teils sie bergauf, bergab durchkreuzend. Sie ließen sechs
bis sieben Hochebnen erkennen, die sich, nebeneinandergestreckt, zum Missouri
hinuntersenkten.

Mein Staunen wuchs, als ich am nächsten Morgen durch das Zentrum
der Stadt eilte, um den mexikanischen Konsul, Herrn von Nachdem, einen
frühern Bekannten von mir aus der Hauptstadt Mexiko, aufzusuchen, der mich
bei dem Chef der Packhäuser des Weltfleischmarktes, Mr. Armour, einführen
sollte. Auf meinem Wege dorthin, nach dem Hotel NötroxolitMUouss, mußte
ich unter Leitung meines ortskundigen Zeitungsmannes wegen meines Gepäcks
nach der Börse, dem Telephonamte und dem Postamte, wo sich auch die Zoll¬
behörde befindet. Was ich in diesen Gebäuden sah, überstieg alle meine Er¬
wartungen.

Ich gebe zu, daß die allmähliche Abnahme der Zivilisation auf der
letzten Wegstrecke nicht dazu angethan war, meine Erwartungen von der
Zivilisationsströmung, die das Zwischendeckspublikum hier verbreiten würde,
sehr hoch zu schrauben. Auch gebe ich zu, daß das Reklamemachen der Jankees
etwas betäubendes hat für den, der unmittelbar aus einer anständigen Stadt
wie Berlin hineingeschleudert wird in das sinnverwirrende, unanständige Durch¬
einander, das einen in den ganzen Schmutz gegenseitiger Übervorteilungssucht
ungehindert hineinblicken läßt. Aber trotz alledem ringen mir diese Fahrstuhl¬
aufzüge, zu sechsen neben einander und ebensoviel einander gegenüber, diese
großartigen Telephonverbindungen für das gesamte Publikum, diese Bvrsen-
und Geschäftsräume das Geständnis ab: der Geschäftsteil der Stadt Berlin
ist wie eine Kinderstube im Vergleich zu dem Geschäftsteil von Kansas City.

Die Börse, wo ich den Spediteur aufzusuchen hatte, ist ein riesiges Rot¬
steinbauwerk, stellenweise nur fünf bis sechs Stock hoch, stellenweise aber auch
sich bis zu vierzehn, fünfzehn Stockwerken versteigert, so zusammengewürfelt
aus maurischen Thorgewölben, gotischen .Hallen, Nürnberger Spitztürmen mit
'^chrä'gdächern und Erkern, daß man den Eindruck erhält: hier hat man dem
wahrscheinlich aus Europa bestellten Baumeister gesagt: Geld genug ist da,
nur etwas augenfälliges um jeden Preis! Dieses Gebäude, auf dem die Fahne
des meteorologischen Instituts immer die kommende Witterung für die nächsten
sechs bis zwölf Stunden anzeigt, ist schon durch seine hohe Lage und seine
seltsamen Giebel und Verkröpfnngeu auffallend genug, aber schön sieht es nicht
aus. Die Absichtlichkeit des Gesuchten macht sich zu herausfordernd geltend.

^ Geht mau durch den breiten maurischen Bvgeneingang, dessen große
Thüren sich auf glatten Eisenschienen gleitend bewegen, die Stufen hinan
und tritt durch die Riesenglasthür in den Vorsaal der Eingangshalle, so um¬
fängt einen sofort ein Geruch von Apfelsinen, Kautabak, Stiefelwichse und
Hcirfüm, denn rechts und links ziehen sich elegante Verkaufsstände hin, mar-


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[0188] Bilder ans dein Westen Unabsehbar dehnten sich die Lichterreihen der Straßen, teils den Neben¬ flußthälern folgend, teils sie bergauf, bergab durchkreuzend. Sie ließen sechs bis sieben Hochebnen erkennen, die sich, nebeneinandergestreckt, zum Missouri hinuntersenkten. Mein Staunen wuchs, als ich am nächsten Morgen durch das Zentrum der Stadt eilte, um den mexikanischen Konsul, Herrn von Nachdem, einen frühern Bekannten von mir aus der Hauptstadt Mexiko, aufzusuchen, der mich bei dem Chef der Packhäuser des Weltfleischmarktes, Mr. Armour, einführen sollte. Auf meinem Wege dorthin, nach dem Hotel NötroxolitMUouss, mußte ich unter Leitung meines ortskundigen Zeitungsmannes wegen meines Gepäcks nach der Börse, dem Telephonamte und dem Postamte, wo sich auch die Zoll¬ behörde befindet. Was ich in diesen Gebäuden sah, überstieg alle meine Er¬ wartungen. Ich gebe zu, daß die allmähliche Abnahme der Zivilisation auf der letzten Wegstrecke nicht dazu angethan war, meine Erwartungen von der Zivilisationsströmung, die das Zwischendeckspublikum hier verbreiten würde, sehr hoch zu schrauben. Auch gebe ich zu, daß das Reklamemachen der Jankees etwas betäubendes hat für den, der unmittelbar aus einer anständigen Stadt wie Berlin hineingeschleudert wird in das sinnverwirrende, unanständige Durch¬ einander, das einen in den ganzen Schmutz gegenseitiger Übervorteilungssucht ungehindert hineinblicken läßt. Aber trotz alledem ringen mir diese Fahrstuhl¬ aufzüge, zu sechsen neben einander und ebensoviel einander gegenüber, diese großartigen Telephonverbindungen für das gesamte Publikum, diese Bvrsen- und Geschäftsräume das Geständnis ab: der Geschäftsteil der Stadt Berlin ist wie eine Kinderstube im Vergleich zu dem Geschäftsteil von Kansas City. Die Börse, wo ich den Spediteur aufzusuchen hatte, ist ein riesiges Rot¬ steinbauwerk, stellenweise nur fünf bis sechs Stock hoch, stellenweise aber auch sich bis zu vierzehn, fünfzehn Stockwerken versteigert, so zusammengewürfelt aus maurischen Thorgewölben, gotischen .Hallen, Nürnberger Spitztürmen mit '^chrä'gdächern und Erkern, daß man den Eindruck erhält: hier hat man dem wahrscheinlich aus Europa bestellten Baumeister gesagt: Geld genug ist da, nur etwas augenfälliges um jeden Preis! Dieses Gebäude, auf dem die Fahne des meteorologischen Instituts immer die kommende Witterung für die nächsten sechs bis zwölf Stunden anzeigt, ist schon durch seine hohe Lage und seine seltsamen Giebel und Verkröpfnngeu auffallend genug, aber schön sieht es nicht aus. Die Absichtlichkeit des Gesuchten macht sich zu herausfordernd geltend. ^ Geht mau durch den breiten maurischen Bvgeneingang, dessen große Thüren sich auf glatten Eisenschienen gleitend bewegen, die Stufen hinan und tritt durch die Riesenglasthür in den Vorsaal der Eingangshalle, so um¬ fängt einen sofort ein Geruch von Apfelsinen, Kautabak, Stiefelwichse und Hcirfüm, denn rechts und links ziehen sich elegante Verkaufsstände hin, mar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/188>, abgerufen am 23.07.2024.