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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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könne" nur uns hier auf dieser schwindelnden Höhe gütlich thun. Oft be¬
gegnet es einem ja nicht, daß man ini fünfzehnten Stockwerk über allen Türmen
der Stadt seinen Frühschoppen genießt, im Mittelpunkt der Vereinigten Staaten
Nordamerikas in deutschem Bier und deutschen Wursteln schweigend.

Ähnlich großartig sind die andern öffentlichen Geschäftsgebäude der Stadt
angelegt. Besonders angenehm empfindet der Deutsche, der an den Post- und
Telcgraphenschaltern seines Vaterlandes nicht gerade verwöhnt wird, hier die
wortkarge Zuvorkommenheit und Schnelligkeit, mit der er überall bedient wird.
Da giebt es kein Warten, ans Fenster klopfen oder abgewiesen werden wegen
Weißbier und Schrippe der Herren Verwaltungsbeamten. Alles geht schnell
und fast wortlos von statten. Guten Tag. ich wollte mir die Anfrage er¬
lauben, ob Sie mir vielleicht sagen könnten -- dergleichen kann man sich hier
sparen. Ob man dabei den Hut auf dem Kopfe behält oder abnimmt, ist dem
Beamten ebenso gleichgiltig. Eine einzige Höflichkeitsbezeigung während des
Geschäftsverkehrs gilt stillschweigend überall als zu Recht bestehend: das Hut¬
abnehmen vor Damen. die in deu Fahrstuhl treten. Dann bleiben die Herren
entblößten Hauptes bis zu dem Stockwerk, wo die Dame den Fahrstuhl wieder
verläßt. Ebenso gilt es für selbstverständlich, daß, wenn eine Dame in den
Straßenbahnwagen oder in den Fahrstuhl tritt, ein Herr ihr einen Platz frei
macht. Vergißt man das, so fordert sie es von dem ersten besten der Fcchr-
gäste, meist nur durch einen Blick.

Als ich vom Telephonamte, wo ich mit einem gerade in Sedalia (Staat
Missouri), hundert Meilen von hier, befindlichen Spediteur ein Paar Worte
gewechselt hatte, in dem überfüllten Fahrstuhl wieder herabfuhr, fiel mir der
einzige, fast immer leere Fahrstuhl in Berlin an der Ecke der Leipziger- und
Wilhelmsstraße im Lebensversicherungsgebäude ein, der doch ziemlich regel¬
mäßig in Thätigkeit erhalten wird. Als ich deu das erste mal benutzen wollte,
kam der Wärter, der mich eintreten sah, vom Zietenplatz herüber und er¬
klärte mir, daß ich es ihm nur zu sagen brauchte, wenn ich hinaufgezogen sein
Wollte, er sei stets hier in der Nähe. Ja ja, Berlin wird Weltstadt.

Nur wenige Gebäude sind von außen getüncht. Die meisten haben Funda¬
mente von Notsteinguadern, und darüber erhebt sich Rohziegelbau. Das giebt
der von Rauchwolken überlagerten Handelsmetropole etwas düsteres. Die
meisten der großen schwarzen Wolken, die alle Hemdenkrageu und Manschetten
in kurzer Zeit mit Ruß überziehen, kommen von den Dampffahrstühlen der
Geschäftspaläste und Hotels und von den Maschinenhäuscrn der Kabelbahn. Die
obern Zehntausend wohnen außerhalb und oberhalb dieser den untern Teil der
Stadt umlagernden schwarzbraunen Rauchwolke", sie haben heitern, blaue" Himmel
über sich auf den Höhen, wo ihre Villen stehen. Wenn sie aber ihre Geschäfts¬
lokale in der Stadt aufsuchen, müssen auch sie fast immer in dieses trübe dunkle
Gewölk untertauchen, wo man oft tagelang die Sonne nicht zu Gesicht bekommt.


Bilder aus dem Westen

könne» nur uns hier auf dieser schwindelnden Höhe gütlich thun. Oft be¬
gegnet es einem ja nicht, daß man ini fünfzehnten Stockwerk über allen Türmen
der Stadt seinen Frühschoppen genießt, im Mittelpunkt der Vereinigten Staaten
Nordamerikas in deutschem Bier und deutschen Wursteln schweigend.

Ähnlich großartig sind die andern öffentlichen Geschäftsgebäude der Stadt
angelegt. Besonders angenehm empfindet der Deutsche, der an den Post- und
Telcgraphenschaltern seines Vaterlandes nicht gerade verwöhnt wird, hier die
wortkarge Zuvorkommenheit und Schnelligkeit, mit der er überall bedient wird.
Da giebt es kein Warten, ans Fenster klopfen oder abgewiesen werden wegen
Weißbier und Schrippe der Herren Verwaltungsbeamten. Alles geht schnell
und fast wortlos von statten. Guten Tag. ich wollte mir die Anfrage er¬
lauben, ob Sie mir vielleicht sagen könnten — dergleichen kann man sich hier
sparen. Ob man dabei den Hut auf dem Kopfe behält oder abnimmt, ist dem
Beamten ebenso gleichgiltig. Eine einzige Höflichkeitsbezeigung während des
Geschäftsverkehrs gilt stillschweigend überall als zu Recht bestehend: das Hut¬
abnehmen vor Damen. die in deu Fahrstuhl treten. Dann bleiben die Herren
entblößten Hauptes bis zu dem Stockwerk, wo die Dame den Fahrstuhl wieder
verläßt. Ebenso gilt es für selbstverständlich, daß, wenn eine Dame in den
Straßenbahnwagen oder in den Fahrstuhl tritt, ein Herr ihr einen Platz frei
macht. Vergißt man das, so fordert sie es von dem ersten besten der Fcchr-
gäste, meist nur durch einen Blick.

Als ich vom Telephonamte, wo ich mit einem gerade in Sedalia (Staat
Missouri), hundert Meilen von hier, befindlichen Spediteur ein Paar Worte
gewechselt hatte, in dem überfüllten Fahrstuhl wieder herabfuhr, fiel mir der
einzige, fast immer leere Fahrstuhl in Berlin an der Ecke der Leipziger- und
Wilhelmsstraße im Lebensversicherungsgebäude ein, der doch ziemlich regel¬
mäßig in Thätigkeit erhalten wird. Als ich deu das erste mal benutzen wollte,
kam der Wärter, der mich eintreten sah, vom Zietenplatz herüber und er¬
klärte mir, daß ich es ihm nur zu sagen brauchte, wenn ich hinaufgezogen sein
Wollte, er sei stets hier in der Nähe. Ja ja, Berlin wird Weltstadt.

Nur wenige Gebäude sind von außen getüncht. Die meisten haben Funda¬
mente von Notsteinguadern, und darüber erhebt sich Rohziegelbau. Das giebt
der von Rauchwolken überlagerten Handelsmetropole etwas düsteres. Die
meisten der großen schwarzen Wolken, die alle Hemdenkrageu und Manschetten
in kurzer Zeit mit Ruß überziehen, kommen von den Dampffahrstühlen der
Geschäftspaläste und Hotels und von den Maschinenhäuscrn der Kabelbahn. Die
obern Zehntausend wohnen außerhalb und oberhalb dieser den untern Teil der
Stadt umlagernden schwarzbraunen Rauchwolke«, sie haben heitern, blaue» Himmel
über sich auf den Höhen, wo ihre Villen stehen. Wenn sie aber ihre Geschäfts¬
lokale in der Stadt aufsuchen, müssen auch sie fast immer in dieses trübe dunkle
Gewölk untertauchen, wo man oft tagelang die Sonne nicht zu Gesicht bekommt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/190>, abgerufen am 23.07.2024.