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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dein Westen

der Führer kurz an. Er kann auf Entfernung von fünf Schritt halten, er¬
klärte mir mein Begleiter, aber nicht auf geringere Entfernungen, darum
komme" die meisten Unglücksfälle vor, wenn einer, nachdem der Wagen schon
wieder in Gang gekommen ist, vorn abspringt und quer vor dem Wagen
vorbei auf die andre Seite der Straße laufen will. Das Halten geschieht durch
ein Einhaken des Zahnrades am Boden des Wagens. Der Wagen ist nämlich,
wie die Straße selbst, in der Mitte der Länge nach gespalten. Er wird durch ein
Mittelrad und ein darumgcschlungnes Drahtseil weitergezogen. Die vier andern
Räder gehen auf Schienen wie gewöhnliche Straßenbahnwagen. Das mittlere
Zahnrad in dem Spalt am Boden des Wagens, das mit dem Drahtkabel in
Verbindung steht, ist zugleich die Bremse des Führers. Mit einem hebelartigen
Stock, den er vor- und rückwärts schiebt, bringt er den Wagen zum Stehen
und Gehen. Die Straßen haben so viel Gefäll, daß sich das Hinuntergleiten
und Hinaufziehen gegenseitig ausgleicht und dabei noch immer mit über¬
schüssiger, in den Bezirksdampfanstalten aufgespeicherter Kraft gearbeitet wird.
Je bergiger eine Stadt ist, um so mehr lohnt sich die Kabelbahn. Die Be¬
triebskosten der Bezirksdampfmaschinen, wo die Kraftübertragung lind Kraft¬
verlegung stattfindet, sind im Vergleich zu andern Straßenbahnarten sehr gering.

Das glatte, geräuschlose Fahren war nach der langen Eisenbahnfahrt eine
wahre Erquickung. Wir saßen auf der vordersten der kleinen, zweisitzigen
Querhäute, die rechts und links von dem mittlern Längsgange angebracht sind.
Plötzlich faßte mich Karl an beiden Armen. Wirst du etwa leicht schwindlig,
deckn setze dich lieber zurück auf die zweite Baut, denn es geht gleich steil
bergab! sagte er. Aber ich wollte nichts von dem Schauspiel vor mir ein¬
büßen, hielt mich sest an die Seitenlehne, und nun ging es hinab durch die
Lüfte über die Dächer einer Riesenstadt, die sich in elektrischer Beleuchtung
zu unsern Füßen ausdehnte. Jetzt erst übersah ich, welch ein bergiges Flusz-
ufer wir durchfuhren. Wir befanden uns auf einer halb hängenden, steil
abwärts führenden Brücke. Aber es war ein weit angenehmeres, ruhigeres
Abwürtsgleiten als auf deu Zahnradbahnen. Außerdem wird man nicht durch
Rauch, Qualm, Pferdegetrappel und das markdurchbohrcndc Schnarren wie
bei den elektrischen Bahnen belästigt. Wie in einer Hängematte, wie in der
Gondel eines Luftballons flogen wir über die Stadt dahin.

Jetzt, beim Überblick dieses ravineuartig eingeschnittenen und durchfurchten
Flußthales, zu dem die Hochebne steil abfällt, wurde mir auch klar, was die
Felskegel und Felswürfel mitten im Gewirr der fünfzehnstöckigen Geschäfts-
palüste bedeuteten, an denen wir vorher mit der Droschke vorübergefahren
waren. Diese seltsamen Felsenkegel mitten in dem Großstadtgetriebe waren
offenbar die inselartigen Überbleibsel der von dem Andrange der gewaltsamen
Nivellirungsarbciten noch verschonten Stückchen der alten Hochebne, die sich
früher wohl zwischen den Nebenflüßchen bis zum Ufer des Missouri hinzog.


Bilder aus dein Westen

der Führer kurz an. Er kann auf Entfernung von fünf Schritt halten, er¬
klärte mir mein Begleiter, aber nicht auf geringere Entfernungen, darum
komme» die meisten Unglücksfälle vor, wenn einer, nachdem der Wagen schon
wieder in Gang gekommen ist, vorn abspringt und quer vor dem Wagen
vorbei auf die andre Seite der Straße laufen will. Das Halten geschieht durch
ein Einhaken des Zahnrades am Boden des Wagens. Der Wagen ist nämlich,
wie die Straße selbst, in der Mitte der Länge nach gespalten. Er wird durch ein
Mittelrad und ein darumgcschlungnes Drahtseil weitergezogen. Die vier andern
Räder gehen auf Schienen wie gewöhnliche Straßenbahnwagen. Das mittlere
Zahnrad in dem Spalt am Boden des Wagens, das mit dem Drahtkabel in
Verbindung steht, ist zugleich die Bremse des Führers. Mit einem hebelartigen
Stock, den er vor- und rückwärts schiebt, bringt er den Wagen zum Stehen
und Gehen. Die Straßen haben so viel Gefäll, daß sich das Hinuntergleiten
und Hinaufziehen gegenseitig ausgleicht und dabei noch immer mit über¬
schüssiger, in den Bezirksdampfanstalten aufgespeicherter Kraft gearbeitet wird.
Je bergiger eine Stadt ist, um so mehr lohnt sich die Kabelbahn. Die Be¬
triebskosten der Bezirksdampfmaschinen, wo die Kraftübertragung lind Kraft¬
verlegung stattfindet, sind im Vergleich zu andern Straßenbahnarten sehr gering.

Das glatte, geräuschlose Fahren war nach der langen Eisenbahnfahrt eine
wahre Erquickung. Wir saßen auf der vordersten der kleinen, zweisitzigen
Querhäute, die rechts und links von dem mittlern Längsgange angebracht sind.
Plötzlich faßte mich Karl an beiden Armen. Wirst du etwa leicht schwindlig,
deckn setze dich lieber zurück auf die zweite Baut, denn es geht gleich steil
bergab! sagte er. Aber ich wollte nichts von dem Schauspiel vor mir ein¬
büßen, hielt mich sest an die Seitenlehne, und nun ging es hinab durch die
Lüfte über die Dächer einer Riesenstadt, die sich in elektrischer Beleuchtung
zu unsern Füßen ausdehnte. Jetzt erst übersah ich, welch ein bergiges Flusz-
ufer wir durchfuhren. Wir befanden uns auf einer halb hängenden, steil
abwärts führenden Brücke. Aber es war ein weit angenehmeres, ruhigeres
Abwürtsgleiten als auf deu Zahnradbahnen. Außerdem wird man nicht durch
Rauch, Qualm, Pferdegetrappel und das markdurchbohrcndc Schnarren wie
bei den elektrischen Bahnen belästigt. Wie in einer Hängematte, wie in der
Gondel eines Luftballons flogen wir über die Stadt dahin.

Jetzt, beim Überblick dieses ravineuartig eingeschnittenen und durchfurchten
Flußthales, zu dem die Hochebne steil abfällt, wurde mir auch klar, was die
Felskegel und Felswürfel mitten im Gewirr der fünfzehnstöckigen Geschäfts-
palüste bedeuteten, an denen wir vorher mit der Droschke vorübergefahren
waren. Diese seltsamen Felsenkegel mitten in dem Großstadtgetriebe waren
offenbar die inselartigen Überbleibsel der von dem Andrange der gewaltsamen
Nivellirungsarbciten noch verschonten Stückchen der alten Hochebne, die sich
früher wohl zwischen den Nebenflüßchen bis zum Ufer des Missouri hinzog.


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[0187] Bilder aus dein Westen der Führer kurz an. Er kann auf Entfernung von fünf Schritt halten, er¬ klärte mir mein Begleiter, aber nicht auf geringere Entfernungen, darum komme» die meisten Unglücksfälle vor, wenn einer, nachdem der Wagen schon wieder in Gang gekommen ist, vorn abspringt und quer vor dem Wagen vorbei auf die andre Seite der Straße laufen will. Das Halten geschieht durch ein Einhaken des Zahnrades am Boden des Wagens. Der Wagen ist nämlich, wie die Straße selbst, in der Mitte der Länge nach gespalten. Er wird durch ein Mittelrad und ein darumgcschlungnes Drahtseil weitergezogen. Die vier andern Räder gehen auf Schienen wie gewöhnliche Straßenbahnwagen. Das mittlere Zahnrad in dem Spalt am Boden des Wagens, das mit dem Drahtkabel in Verbindung steht, ist zugleich die Bremse des Führers. Mit einem hebelartigen Stock, den er vor- und rückwärts schiebt, bringt er den Wagen zum Stehen und Gehen. Die Straßen haben so viel Gefäll, daß sich das Hinuntergleiten und Hinaufziehen gegenseitig ausgleicht und dabei noch immer mit über¬ schüssiger, in den Bezirksdampfanstalten aufgespeicherter Kraft gearbeitet wird. Je bergiger eine Stadt ist, um so mehr lohnt sich die Kabelbahn. Die Be¬ triebskosten der Bezirksdampfmaschinen, wo die Kraftübertragung lind Kraft¬ verlegung stattfindet, sind im Vergleich zu andern Straßenbahnarten sehr gering. Das glatte, geräuschlose Fahren war nach der langen Eisenbahnfahrt eine wahre Erquickung. Wir saßen auf der vordersten der kleinen, zweisitzigen Querhäute, die rechts und links von dem mittlern Längsgange angebracht sind. Plötzlich faßte mich Karl an beiden Armen. Wirst du etwa leicht schwindlig, deckn setze dich lieber zurück auf die zweite Baut, denn es geht gleich steil bergab! sagte er. Aber ich wollte nichts von dem Schauspiel vor mir ein¬ büßen, hielt mich sest an die Seitenlehne, und nun ging es hinab durch die Lüfte über die Dächer einer Riesenstadt, die sich in elektrischer Beleuchtung zu unsern Füßen ausdehnte. Jetzt erst übersah ich, welch ein bergiges Flusz- ufer wir durchfuhren. Wir befanden uns auf einer halb hängenden, steil abwärts führenden Brücke. Aber es war ein weit angenehmeres, ruhigeres Abwürtsgleiten als auf deu Zahnradbahnen. Außerdem wird man nicht durch Rauch, Qualm, Pferdegetrappel und das markdurchbohrcndc Schnarren wie bei den elektrischen Bahnen belästigt. Wie in einer Hängematte, wie in der Gondel eines Luftballons flogen wir über die Stadt dahin. Jetzt, beim Überblick dieses ravineuartig eingeschnittenen und durchfurchten Flußthales, zu dem die Hochebne steil abfällt, wurde mir auch klar, was die Felskegel und Felswürfel mitten im Gewirr der fünfzehnstöckigen Geschäfts- palüste bedeuteten, an denen wir vorher mit der Droschke vorübergefahren waren. Diese seltsamen Felsenkegel mitten in dem Großstadtgetriebe waren offenbar die inselartigen Überbleibsel der von dem Andrange der gewaltsamen Nivellirungsarbciten noch verschonten Stückchen der alten Hochebne, die sich früher wohl zwischen den Nebenflüßchen bis zum Ufer des Missouri hinzog.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/187>, abgerufen am 23.07.2024.