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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dein Mehrer

Was kann aus dem Zwischendeck Gutes kommen? denkt wohl mancher.
Nun, wir werden ja sehen. Wir fahren eben in eine der ersten Großstädte
des Westens hinein, die sie gegründet haben mit ihrer Verachtung europäischen
Wesens, aber auch mit ihrem amerikanischen Kraft- und Selbstbewußtsein. Da
lag ^ansah City vor uns: ein Meer flimmernder Lichter auf hohen Felswänden
am Ufer des Missouri an einem trüben Winterabend! Geheimnisvoll un-
ntwirrbar streckte es sich vor uus aus, in Rauch und Nuß gehüllt.

In dem Gewühl des ungeheuern, mangelhaft erleuchteten Bahnhofs mit
seinen vielen güterschuppenähnlichen Wartesülen wollte es uns nicht gelingen,
die ersehnten bekannten Gesichter derer wahrzunehmen, die uns hier nach jahre¬
langer Trennung empfangen wollten, und nach langem Hin- und Hersuchen
mußten wir ein <Zg,d, eine Droschke, für zwei Dollars mieten, die uns nach
Locust Street 1112, dem Wohnsitz unsrer Verwandten, brachte.

An steilen Felswänden, an deren Rande oben Holzhütten, auch hübsche
Hvlzvilleu Stunden, fuhren wir in der Dunkelheit auf langen Umwegen endlich
in eine mit Bäumen bepflanzte Straße ein. Rechts und links standen im
Villenstil gehaltne meist ein- oder zweistöckige Wohnhäuser, die mit ihren
Lichtern in der dunkeln Regennacht anheimelnd winkten. Sollte eins davon
die Wohnung unsrer Lieben im fernen Westen sein? Das Herz geschwellt vor
Erwartung, trat ich ein in Ur. 1112. Durch ein hellerlenchtetes, breites
Erkerfenster gewahrte ich unter einem brennenden Kronleuchter einen strah¬
lenden Marienglasofen aus uickelplattirtem Eisen. Ein Dienstmädchen, das
sich mühte, ein weinendes Baby mit dem beliebten Wiegenliede Uooll'vo^
Lady in Schlaf zu bringen, bestätigte mir auf meine Anfrage, daß wir uns
wirklich in der Wohnung unsrer Verwandten befänden, die gegangen wären,
uns vom Bahnhof abzuholen.

Wir traten ein in das hübsch mit durchgehenden Teppich belegte Vorder-
zimmer mit dem breiten Erkerfenster, ließen uns uuter dem Gaskronleuchtcr
in den beiden Schnukelstühlen nieder und freuten uns, daß wir unter Dach
und Fach waren, und bald nachdem wir das Kleine, das nicht einschlafen
wollte, bewundert hatten, kamen die Guten vom Bahnhof, durchnäßt und
ermüdet, die so viel Veranstaltungen für unsern Empfang nach langer Tren¬
nung getroffen und uns nnn auf dem Bahnhöfe verfehlt hatten.

Noch an demselben Abend hatte ich Gelegenheit, über die Stadt und ihre
Umgebung aus der Vogelschau einen Blick zu werfen, denn wir fuhren noch
einmal zurück uach dem Bahnhöfe, um unsre Koffer abzuholen und wegen nach¬
folgender Kisten das nötige anzuordnen. Mein lieber Wirt, Herr Karl F., bei
einer der größern deutsche" Zeitungen als Redakteur und Berichterstatter an¬
gestellt, zeigte mir den viel kürzern Weg mit der Kabelbahn. Er hatte als Be¬
richterstatter einen Freipaß für sie. An der nächsten Straßenecke sahen wir einen
Wagen von weitem die bergige Straße herunterkommen. Auf einen Wink hielt


Grenzbotc" II 1893 23
Bilder aus dein Mehrer

Was kann aus dem Zwischendeck Gutes kommen? denkt wohl mancher.
Nun, wir werden ja sehen. Wir fahren eben in eine der ersten Großstädte
des Westens hinein, die sie gegründet haben mit ihrer Verachtung europäischen
Wesens, aber auch mit ihrem amerikanischen Kraft- und Selbstbewußtsein. Da
lag ^ansah City vor uns: ein Meer flimmernder Lichter auf hohen Felswänden
am Ufer des Missouri an einem trüben Winterabend! Geheimnisvoll un-
ntwirrbar streckte es sich vor uus aus, in Rauch und Nuß gehüllt.

In dem Gewühl des ungeheuern, mangelhaft erleuchteten Bahnhofs mit
seinen vielen güterschuppenähnlichen Wartesülen wollte es uns nicht gelingen,
die ersehnten bekannten Gesichter derer wahrzunehmen, die uns hier nach jahre¬
langer Trennung empfangen wollten, und nach langem Hin- und Hersuchen
mußten wir ein <Zg,d, eine Droschke, für zwei Dollars mieten, die uns nach
Locust Street 1112, dem Wohnsitz unsrer Verwandten, brachte.

An steilen Felswänden, an deren Rande oben Holzhütten, auch hübsche
Hvlzvilleu Stunden, fuhren wir in der Dunkelheit auf langen Umwegen endlich
in eine mit Bäumen bepflanzte Straße ein. Rechts und links standen im
Villenstil gehaltne meist ein- oder zweistöckige Wohnhäuser, die mit ihren
Lichtern in der dunkeln Regennacht anheimelnd winkten. Sollte eins davon
die Wohnung unsrer Lieben im fernen Westen sein? Das Herz geschwellt vor
Erwartung, trat ich ein in Ur. 1112. Durch ein hellerlenchtetes, breites
Erkerfenster gewahrte ich unter einem brennenden Kronleuchter einen strah¬
lenden Marienglasofen aus uickelplattirtem Eisen. Ein Dienstmädchen, das
sich mühte, ein weinendes Baby mit dem beliebten Wiegenliede Uooll'vo^
Lady in Schlaf zu bringen, bestätigte mir auf meine Anfrage, daß wir uns
wirklich in der Wohnung unsrer Verwandten befänden, die gegangen wären,
uns vom Bahnhof abzuholen.

Wir traten ein in das hübsch mit durchgehenden Teppich belegte Vorder-
zimmer mit dem breiten Erkerfenster, ließen uns uuter dem Gaskronleuchtcr
in den beiden Schnukelstühlen nieder und freuten uns, daß wir unter Dach
und Fach waren, und bald nachdem wir das Kleine, das nicht einschlafen
wollte, bewundert hatten, kamen die Guten vom Bahnhof, durchnäßt und
ermüdet, die so viel Veranstaltungen für unsern Empfang nach langer Tren¬
nung getroffen und uns nnn auf dem Bahnhöfe verfehlt hatten.

Noch an demselben Abend hatte ich Gelegenheit, über die Stadt und ihre
Umgebung aus der Vogelschau einen Blick zu werfen, denn wir fuhren noch
einmal zurück uach dem Bahnhöfe, um unsre Koffer abzuholen und wegen nach¬
folgender Kisten das nötige anzuordnen. Mein lieber Wirt, Herr Karl F., bei
einer der größern deutsche» Zeitungen als Redakteur und Berichterstatter an¬
gestellt, zeigte mir den viel kürzern Weg mit der Kabelbahn. Er hatte als Be¬
richterstatter einen Freipaß für sie. An der nächsten Straßenecke sahen wir einen
Wagen von weitem die bergige Straße herunterkommen. Auf einen Wink hielt


Grenzbotc» II 1893 23
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[0186] Bilder aus dein Mehrer Was kann aus dem Zwischendeck Gutes kommen? denkt wohl mancher. Nun, wir werden ja sehen. Wir fahren eben in eine der ersten Großstädte des Westens hinein, die sie gegründet haben mit ihrer Verachtung europäischen Wesens, aber auch mit ihrem amerikanischen Kraft- und Selbstbewußtsein. Da lag ^ansah City vor uns: ein Meer flimmernder Lichter auf hohen Felswänden am Ufer des Missouri an einem trüben Winterabend! Geheimnisvoll un- ntwirrbar streckte es sich vor uus aus, in Rauch und Nuß gehüllt. In dem Gewühl des ungeheuern, mangelhaft erleuchteten Bahnhofs mit seinen vielen güterschuppenähnlichen Wartesülen wollte es uns nicht gelingen, die ersehnten bekannten Gesichter derer wahrzunehmen, die uns hier nach jahre¬ langer Trennung empfangen wollten, und nach langem Hin- und Hersuchen mußten wir ein <Zg,d, eine Droschke, für zwei Dollars mieten, die uns nach Locust Street 1112, dem Wohnsitz unsrer Verwandten, brachte. An steilen Felswänden, an deren Rande oben Holzhütten, auch hübsche Hvlzvilleu Stunden, fuhren wir in der Dunkelheit auf langen Umwegen endlich in eine mit Bäumen bepflanzte Straße ein. Rechts und links standen im Villenstil gehaltne meist ein- oder zweistöckige Wohnhäuser, die mit ihren Lichtern in der dunkeln Regennacht anheimelnd winkten. Sollte eins davon die Wohnung unsrer Lieben im fernen Westen sein? Das Herz geschwellt vor Erwartung, trat ich ein in Ur. 1112. Durch ein hellerlenchtetes, breites Erkerfenster gewahrte ich unter einem brennenden Kronleuchter einen strah¬ lenden Marienglasofen aus uickelplattirtem Eisen. Ein Dienstmädchen, das sich mühte, ein weinendes Baby mit dem beliebten Wiegenliede Uooll'vo^ Lady in Schlaf zu bringen, bestätigte mir auf meine Anfrage, daß wir uns wirklich in der Wohnung unsrer Verwandten befänden, die gegangen wären, uns vom Bahnhof abzuholen. Wir traten ein in das hübsch mit durchgehenden Teppich belegte Vorder- zimmer mit dem breiten Erkerfenster, ließen uns uuter dem Gaskronleuchtcr in den beiden Schnukelstühlen nieder und freuten uns, daß wir unter Dach und Fach waren, und bald nachdem wir das Kleine, das nicht einschlafen wollte, bewundert hatten, kamen die Guten vom Bahnhof, durchnäßt und ermüdet, die so viel Veranstaltungen für unsern Empfang nach langer Tren¬ nung getroffen und uns nnn auf dem Bahnhöfe verfehlt hatten. Noch an demselben Abend hatte ich Gelegenheit, über die Stadt und ihre Umgebung aus der Vogelschau einen Blick zu werfen, denn wir fuhren noch einmal zurück uach dem Bahnhöfe, um unsre Koffer abzuholen und wegen nach¬ folgender Kisten das nötige anzuordnen. Mein lieber Wirt, Herr Karl F., bei einer der größern deutsche» Zeitungen als Redakteur und Berichterstatter an¬ gestellt, zeigte mir den viel kürzern Weg mit der Kabelbahn. Er hatte als Be¬ richterstatter einen Freipaß für sie. An der nächsten Straßenecke sahen wir einen Wagen von weitem die bergige Straße herunterkommen. Auf einen Wink hielt Grenzbotc» II 1893 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/186>, abgerufen am 23.07.2024.