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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Deutschen, der ein tieferes Gefühl für nationale Ehre hat, die Schamröte ins
Gesicht treten?

Wir wollen den Antrag Bennigsen zunächst in seiner politischen Bedeu¬
tung betrachten. Wir würden den Antrag verstündlich finden, wenn damit ein
Versuch gemacht werden sollte, einen Teil des Zentrums und der Freisinnigen
zu sich herüber zu ziehen und so eine Mehrheit wenigstens für einen Teil der
Vorlage zu gewinnen, eine Grundlage, auf der dann den Regierungen ein
Kompromiß hätte angeboten werden können. Sicherlich giebt es innerhalb der
verneinenden Parteien Mitglieder, die zu patriotisch und auch zu klug sind, als
daß ihnen bei der ihnen zudiktirten Fraktionspolitik nicht etwas unwohl zu
Mute wäre. Es konnte sich lohnen, diesen Elementen eine goldne Brücke zu
bauen. Vielleicht ist der Antrag ursprünglich auch in diesem Sinne gedacht
gewesen. Nun hat aber, soviel äußerlich erkennbar ist, Herr von Bennigsen
keine namhafte Zahl von Mitgliedern andrer Parteien für seinen Antrag zu
gewinnen vermocht. Dann war es aber ein Fehler, daß er in der Kommissions-
sitzung vom 17. Mürz seinen Antrag mit aller Schärfe gegen den Reichs¬
kanzler begründete, als ob dieser der eigentliche Sünder wäre. Was sollte
dieser thun? Sollte er, ehe noch Herr von Bennigsen eine Mehrheit für sich
hatte, erklären, daß er sich schuldig bekenne, zu viel gefordert zu haben, und
daß er sich nun mit dem wenigen begnügen wolle? Ein solches Sichselbst-
aufgebcn kann man doch wirklich einer Negierung nicht zumuten.

Auf denselben Standpunkt der Vorwürfe stellt sich nun auch die Broschüre.
Sie beschuldigt den Reichskanzler eines "hartnäckig ablehnenden Verhaltens,"
die Regierungen der "befremdenden Zähigkeit." Sie wirft dem Reichskanzler
vor, daß er die ganze Sache schlecht eingeleitet habe. Sie wirft ihm auch
vor, daß er sich früher in anderm Sinne geäußert habe. Was hat das alles
mit der Sache zu thun? Nicht das geringste. Wir sollen ja das, was
von uns gefordert wird, bewilligen nicht aus Gefälligkeit gegen den Grafen
Caprivi oder gegen die verbündeten Regierungen, sondern als ein Opfer für
das Vaterland, d. h. zu unsern eignen Gunsten. Ist dieses Opfer notwendig
oder auch nur ratsam, so müssen wir es bringen, wie auch der Reichskanzler
gefehlt haben mag. Übrigens werden mich die Gegner des Grafen Caprivi
anerkennen müssen, daß dieser mit bewunderungswürdiger Ausdauer und Ge¬
duld und in der Weise eines überzeugten, ehrlichen Mannes die Vorlage ver¬
treten hat.

Über den sachlichen Wert der Vorschläge Bennigsens ist ja vom Laien-
staudpunkt aus sehr schwer zu urteilen. Ein offiziöser Artikel der Nord¬
deutschen Allgemeinen Zeitung sagt, der Antrag würde die geplante Wirkung
der Vorlage in wesentlichen Bestandteilen nicht nur abschwächen, sondern auf¬
heben, Herr von Bennigsen versichert das Gegenteil. Für viele wird aber
das Urteil der Militärbehörde mindestens ebenso schwer wiegen, wie das


Grenzboten II 18N3 22

Deutschen, der ein tieferes Gefühl für nationale Ehre hat, die Schamröte ins
Gesicht treten?

Wir wollen den Antrag Bennigsen zunächst in seiner politischen Bedeu¬
tung betrachten. Wir würden den Antrag verstündlich finden, wenn damit ein
Versuch gemacht werden sollte, einen Teil des Zentrums und der Freisinnigen
zu sich herüber zu ziehen und so eine Mehrheit wenigstens für einen Teil der
Vorlage zu gewinnen, eine Grundlage, auf der dann den Regierungen ein
Kompromiß hätte angeboten werden können. Sicherlich giebt es innerhalb der
verneinenden Parteien Mitglieder, die zu patriotisch und auch zu klug sind, als
daß ihnen bei der ihnen zudiktirten Fraktionspolitik nicht etwas unwohl zu
Mute wäre. Es konnte sich lohnen, diesen Elementen eine goldne Brücke zu
bauen. Vielleicht ist der Antrag ursprünglich auch in diesem Sinne gedacht
gewesen. Nun hat aber, soviel äußerlich erkennbar ist, Herr von Bennigsen
keine namhafte Zahl von Mitgliedern andrer Parteien für seinen Antrag zu
gewinnen vermocht. Dann war es aber ein Fehler, daß er in der Kommissions-
sitzung vom 17. Mürz seinen Antrag mit aller Schärfe gegen den Reichs¬
kanzler begründete, als ob dieser der eigentliche Sünder wäre. Was sollte
dieser thun? Sollte er, ehe noch Herr von Bennigsen eine Mehrheit für sich
hatte, erklären, daß er sich schuldig bekenne, zu viel gefordert zu haben, und
daß er sich nun mit dem wenigen begnügen wolle? Ein solches Sichselbst-
aufgebcn kann man doch wirklich einer Negierung nicht zumuten.

Auf denselben Standpunkt der Vorwürfe stellt sich nun auch die Broschüre.
Sie beschuldigt den Reichskanzler eines „hartnäckig ablehnenden Verhaltens,"
die Regierungen der „befremdenden Zähigkeit." Sie wirft dem Reichskanzler
vor, daß er die ganze Sache schlecht eingeleitet habe. Sie wirft ihm auch
vor, daß er sich früher in anderm Sinne geäußert habe. Was hat das alles
mit der Sache zu thun? Nicht das geringste. Wir sollen ja das, was
von uns gefordert wird, bewilligen nicht aus Gefälligkeit gegen den Grafen
Caprivi oder gegen die verbündeten Regierungen, sondern als ein Opfer für
das Vaterland, d. h. zu unsern eignen Gunsten. Ist dieses Opfer notwendig
oder auch nur ratsam, so müssen wir es bringen, wie auch der Reichskanzler
gefehlt haben mag. Übrigens werden mich die Gegner des Grafen Caprivi
anerkennen müssen, daß dieser mit bewunderungswürdiger Ausdauer und Ge¬
duld und in der Weise eines überzeugten, ehrlichen Mannes die Vorlage ver¬
treten hat.

Über den sachlichen Wert der Vorschläge Bennigsens ist ja vom Laien-
staudpunkt aus sehr schwer zu urteilen. Ein offiziöser Artikel der Nord¬
deutschen Allgemeinen Zeitung sagt, der Antrag würde die geplante Wirkung
der Vorlage in wesentlichen Bestandteilen nicht nur abschwächen, sondern auf¬
heben, Herr von Bennigsen versichert das Gegenteil. Für viele wird aber
das Urteil der Militärbehörde mindestens ebenso schwer wiegen, wie das


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[0179] Deutschen, der ein tieferes Gefühl für nationale Ehre hat, die Schamröte ins Gesicht treten? Wir wollen den Antrag Bennigsen zunächst in seiner politischen Bedeu¬ tung betrachten. Wir würden den Antrag verstündlich finden, wenn damit ein Versuch gemacht werden sollte, einen Teil des Zentrums und der Freisinnigen zu sich herüber zu ziehen und so eine Mehrheit wenigstens für einen Teil der Vorlage zu gewinnen, eine Grundlage, auf der dann den Regierungen ein Kompromiß hätte angeboten werden können. Sicherlich giebt es innerhalb der verneinenden Parteien Mitglieder, die zu patriotisch und auch zu klug sind, als daß ihnen bei der ihnen zudiktirten Fraktionspolitik nicht etwas unwohl zu Mute wäre. Es konnte sich lohnen, diesen Elementen eine goldne Brücke zu bauen. Vielleicht ist der Antrag ursprünglich auch in diesem Sinne gedacht gewesen. Nun hat aber, soviel äußerlich erkennbar ist, Herr von Bennigsen keine namhafte Zahl von Mitgliedern andrer Parteien für seinen Antrag zu gewinnen vermocht. Dann war es aber ein Fehler, daß er in der Kommissions- sitzung vom 17. Mürz seinen Antrag mit aller Schärfe gegen den Reichs¬ kanzler begründete, als ob dieser der eigentliche Sünder wäre. Was sollte dieser thun? Sollte er, ehe noch Herr von Bennigsen eine Mehrheit für sich hatte, erklären, daß er sich schuldig bekenne, zu viel gefordert zu haben, und daß er sich nun mit dem wenigen begnügen wolle? Ein solches Sichselbst- aufgebcn kann man doch wirklich einer Negierung nicht zumuten. Auf denselben Standpunkt der Vorwürfe stellt sich nun auch die Broschüre. Sie beschuldigt den Reichskanzler eines „hartnäckig ablehnenden Verhaltens," die Regierungen der „befremdenden Zähigkeit." Sie wirft dem Reichskanzler vor, daß er die ganze Sache schlecht eingeleitet habe. Sie wirft ihm auch vor, daß er sich früher in anderm Sinne geäußert habe. Was hat das alles mit der Sache zu thun? Nicht das geringste. Wir sollen ja das, was von uns gefordert wird, bewilligen nicht aus Gefälligkeit gegen den Grafen Caprivi oder gegen die verbündeten Regierungen, sondern als ein Opfer für das Vaterland, d. h. zu unsern eignen Gunsten. Ist dieses Opfer notwendig oder auch nur ratsam, so müssen wir es bringen, wie auch der Reichskanzler gefehlt haben mag. Übrigens werden mich die Gegner des Grafen Caprivi anerkennen müssen, daß dieser mit bewunderungswürdiger Ausdauer und Ge¬ duld und in der Weise eines überzeugten, ehrlichen Mannes die Vorlage ver¬ treten hat. Über den sachlichen Wert der Vorschläge Bennigsens ist ja vom Laien- staudpunkt aus sehr schwer zu urteilen. Ein offiziöser Artikel der Nord¬ deutschen Allgemeinen Zeitung sagt, der Antrag würde die geplante Wirkung der Vorlage in wesentlichen Bestandteilen nicht nur abschwächen, sondern auf¬ heben, Herr von Bennigsen versichert das Gegenteil. Für viele wird aber das Urteil der Militärbehörde mindestens ebenso schwer wiegen, wie das Grenzboten II 18N3 22

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/179>, abgerufen am 23.07.2024.