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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Militärvorlage und der Antrag Bennigsen

Das Würde also eine Vermehrung der Rekrutenzahl um die Hälfte der erst
nach dreijährigem Dienst entlassenen Mannschaften, also um rund 28000 Mann
bedeuten. Daneben sollen die Übungen der Ersatzreservisten fortbestehen. Die
Vertreter der Regierung haben dieses Angebot als völlig unannehmbar be¬
zeichnet.

Der Führer der Nationalliberalen, Herr von Bennigsen, hat einen ver¬
mindernden Antrag gestellt. Er erkennt zwar das Bedürfnis einer Vermeh¬
rung und Verjüngung unsers Heeres an; aber so weit, wie die Regierungen
wollen, könne man doch nicht gehn. Er will, daß die Ordonnanzmann¬
schaften u. f. w. (die übrigens von 58 auf 54 Mann herabgesetzt werden könnten),
nachdem sie die eigentliche Rekrutenausbildung erhalten haben, sofort den Kom¬
pagnien der Feldbataillvne überwiesen werden; dadurch könnten sür die vierten
Bataillone rund 4500 Mann Rekruten erspart werden. Er will ferner die
Verstärkung der Feldbataillone nur für die an deu Grenzen stehenden Truppen
eintreten lassen, wodurch weitere 7975 Rekruten gespart werdeu sollen. Er
will endlich bei den vorgeschlagncn Verstärkungen der Kavallerie 700, der Fu߬
artillerie 2400, der Pioniere 2000 Rekruten absetzen, wodurch sich für die
dritte Forderung der Regierungen nur ein Bedarf von 5000 (statt 10000)
Rekruten ergebe. Darnach berechnet Herr von Bennigsen nur eine Mehrein¬
ziehung von 45000 Rekruten für erforderlich, und diese will er bewilligen.
Zieht man davon die zur Ausgleichung für den entlassenen dritten Jahrgang
dienende Summe von 28681 Mann ab, fo ergiebt sich, daß Herr von Bennigsen
eine Mehreiustellung von rund 16300 Leuten gewähren will.

Die Kommission des Reichstags ist nur zu verneinenden Ergebnissen ge¬
langt. Die zweite Beratung im Reichstag selbst steht bevor.

Bei Betrachtung dieser Verhältnisse drängt sich unwillkürlich folgende
Vergleichung auf. Frankreich hat 38 Millionen Einwohner, Deutschland
50 Millionen. Das Verhältnis der Einwohnerzahl ist also fast wie 3 zu 4. In
Frankreich bezahlt die Bevölkerung 58 Mark Steuern auf den Kopf, für die
Landesverteidigung nilein 32 Mark. Gegenüber stehen in Deutschland die Be¬
träge vou 22 und von 12 Mark. Gleichwohl hat Frankreich seit dem Jahre
1889 die Einstellung seiner Rekruten auf 230000 Mann erhöht, und man
hat nicht gehört, daß im französischen Bolle oder in dessen Vertretung die ge¬
ringste Klage darüber laut geworden sei. Wollte es Deutschland Frauireich
gleichthun, so müßte es nach Verhältnis seiner Bevölkerung mindestens 300000
Mann einstellen. Nun verlangt die Reichsregierung, um unsre Wehrhaftigkeit
zu sichern, nur die Einstellung von etwa 263000 Mann.") Da ertönt es fast
vou allen Seiten: Das ist unerschwinglich! Das ist unmöglich! Im deutschen
Reichstage brechen darüber die entsetzlichsten Kämpfe aus. Muß da nicht jedem



Nach der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung nur 34900" Mann.
Die Militärvorlage und der Antrag Bennigsen

Das Würde also eine Vermehrung der Rekrutenzahl um die Hälfte der erst
nach dreijährigem Dienst entlassenen Mannschaften, also um rund 28000 Mann
bedeuten. Daneben sollen die Übungen der Ersatzreservisten fortbestehen. Die
Vertreter der Regierung haben dieses Angebot als völlig unannehmbar be¬
zeichnet.

Der Führer der Nationalliberalen, Herr von Bennigsen, hat einen ver¬
mindernden Antrag gestellt. Er erkennt zwar das Bedürfnis einer Vermeh¬
rung und Verjüngung unsers Heeres an; aber so weit, wie die Regierungen
wollen, könne man doch nicht gehn. Er will, daß die Ordonnanzmann¬
schaften u. f. w. (die übrigens von 58 auf 54 Mann herabgesetzt werden könnten),
nachdem sie die eigentliche Rekrutenausbildung erhalten haben, sofort den Kom¬
pagnien der Feldbataillvne überwiesen werden; dadurch könnten sür die vierten
Bataillone rund 4500 Mann Rekruten erspart werden. Er will ferner die
Verstärkung der Feldbataillone nur für die an deu Grenzen stehenden Truppen
eintreten lassen, wodurch weitere 7975 Rekruten gespart werdeu sollen. Er
will endlich bei den vorgeschlagncn Verstärkungen der Kavallerie 700, der Fu߬
artillerie 2400, der Pioniere 2000 Rekruten absetzen, wodurch sich für die
dritte Forderung der Regierungen nur ein Bedarf von 5000 (statt 10000)
Rekruten ergebe. Darnach berechnet Herr von Bennigsen nur eine Mehrein¬
ziehung von 45000 Rekruten für erforderlich, und diese will er bewilligen.
Zieht man davon die zur Ausgleichung für den entlassenen dritten Jahrgang
dienende Summe von 28681 Mann ab, fo ergiebt sich, daß Herr von Bennigsen
eine Mehreiustellung von rund 16300 Leuten gewähren will.

Die Kommission des Reichstags ist nur zu verneinenden Ergebnissen ge¬
langt. Die zweite Beratung im Reichstag selbst steht bevor.

Bei Betrachtung dieser Verhältnisse drängt sich unwillkürlich folgende
Vergleichung auf. Frankreich hat 38 Millionen Einwohner, Deutschland
50 Millionen. Das Verhältnis der Einwohnerzahl ist also fast wie 3 zu 4. In
Frankreich bezahlt die Bevölkerung 58 Mark Steuern auf den Kopf, für die
Landesverteidigung nilein 32 Mark. Gegenüber stehen in Deutschland die Be¬
träge vou 22 und von 12 Mark. Gleichwohl hat Frankreich seit dem Jahre
1889 die Einstellung seiner Rekruten auf 230000 Mann erhöht, und man
hat nicht gehört, daß im französischen Bolle oder in dessen Vertretung die ge¬
ringste Klage darüber laut geworden sei. Wollte es Deutschland Frauireich
gleichthun, so müßte es nach Verhältnis seiner Bevölkerung mindestens 300000
Mann einstellen. Nun verlangt die Reichsregierung, um unsre Wehrhaftigkeit
zu sichern, nur die Einstellung von etwa 263000 Mann.") Da ertönt es fast
vou allen Seiten: Das ist unerschwinglich! Das ist unmöglich! Im deutschen
Reichstage brechen darüber die entsetzlichsten Kämpfe aus. Muß da nicht jedem



Nach der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung nur 34900» Mann.
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[0178] Die Militärvorlage und der Antrag Bennigsen Das Würde also eine Vermehrung der Rekrutenzahl um die Hälfte der erst nach dreijährigem Dienst entlassenen Mannschaften, also um rund 28000 Mann bedeuten. Daneben sollen die Übungen der Ersatzreservisten fortbestehen. Die Vertreter der Regierung haben dieses Angebot als völlig unannehmbar be¬ zeichnet. Der Führer der Nationalliberalen, Herr von Bennigsen, hat einen ver¬ mindernden Antrag gestellt. Er erkennt zwar das Bedürfnis einer Vermeh¬ rung und Verjüngung unsers Heeres an; aber so weit, wie die Regierungen wollen, könne man doch nicht gehn. Er will, daß die Ordonnanzmann¬ schaften u. f. w. (die übrigens von 58 auf 54 Mann herabgesetzt werden könnten), nachdem sie die eigentliche Rekrutenausbildung erhalten haben, sofort den Kom¬ pagnien der Feldbataillvne überwiesen werden; dadurch könnten sür die vierten Bataillone rund 4500 Mann Rekruten erspart werden. Er will ferner die Verstärkung der Feldbataillone nur für die an deu Grenzen stehenden Truppen eintreten lassen, wodurch weitere 7975 Rekruten gespart werdeu sollen. Er will endlich bei den vorgeschlagncn Verstärkungen der Kavallerie 700, der Fu߬ artillerie 2400, der Pioniere 2000 Rekruten absetzen, wodurch sich für die dritte Forderung der Regierungen nur ein Bedarf von 5000 (statt 10000) Rekruten ergebe. Darnach berechnet Herr von Bennigsen nur eine Mehrein¬ ziehung von 45000 Rekruten für erforderlich, und diese will er bewilligen. Zieht man davon die zur Ausgleichung für den entlassenen dritten Jahrgang dienende Summe von 28681 Mann ab, fo ergiebt sich, daß Herr von Bennigsen eine Mehreiustellung von rund 16300 Leuten gewähren will. Die Kommission des Reichstags ist nur zu verneinenden Ergebnissen ge¬ langt. Die zweite Beratung im Reichstag selbst steht bevor. Bei Betrachtung dieser Verhältnisse drängt sich unwillkürlich folgende Vergleichung auf. Frankreich hat 38 Millionen Einwohner, Deutschland 50 Millionen. Das Verhältnis der Einwohnerzahl ist also fast wie 3 zu 4. In Frankreich bezahlt die Bevölkerung 58 Mark Steuern auf den Kopf, für die Landesverteidigung nilein 32 Mark. Gegenüber stehen in Deutschland die Be¬ träge vou 22 und von 12 Mark. Gleichwohl hat Frankreich seit dem Jahre 1889 die Einstellung seiner Rekruten auf 230000 Mann erhöht, und man hat nicht gehört, daß im französischen Bolle oder in dessen Vertretung die ge¬ ringste Klage darüber laut geworden sei. Wollte es Deutschland Frauireich gleichthun, so müßte es nach Verhältnis seiner Bevölkerung mindestens 300000 Mann einstellen. Nun verlangt die Reichsregierung, um unsre Wehrhaftigkeit zu sichern, nur die Einstellung von etwa 263000 Mann.") Da ertönt es fast vou allen Seiten: Das ist unerschwinglich! Das ist unmöglich! Im deutschen Reichstage brechen darüber die entsetzlichsten Kämpfe aus. Muß da nicht jedem Nach der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung nur 34900» Mann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/178>, abgerufen am 03.07.2024.