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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Militärvorlage und der Antrag Bennigsen

blieb. Seit dem Jahre 1880 war die Einrichtung getroffen, daß von den
der Ersatzreserve zugewiesenen Dienstpflichtigen 17 bis 18 000 Mann drei
Jahre hindurch zehn, sechs und vier Wochen einberufen und notdürftig für
den Militärdienst ausgebildet wurden.

Nun hat Frankreich, das mit seiner Truppenzahl stets weitergegangen
ist, seit dem Jahre 1889 abermals seine Truppen stark vermehrt. Es stellt
jährlich 230000 Rekruten mit fünfundzwanzigjähriger Wehrpflicht ein. Es
hat demzufolge schon jetzt (1892) 3 200 000 ausgebildeter Soldaten, während
Deutschland (1893) deren nur 3 032 000 Mann hat. Auch wenn man die
Kräfte des Dreibundes zusammenrechnet, stellt sich das Verhältnis auf die
Dauer ungünstig für ihn. Zwar ist für den Augenblick der Dreibund den
Militärkrüften Frankreichs und Rußlands noch um 400000 Kopfe überlegen.
Schon im Jahre 1896 würden aber die beiderseitigen Kräfte gleich sein; und
da von da an die jenseitigen Kräfte alljährlich um 70 bis 80000 Mann
wachsen, so würden im Jahre 1914 den unsrigen, die nur 7 300 000 Mann
betrügen,*) 8 600 000 Mann auf der andern Seite (1300 000 Mann mehr!)
gegenüberstehen. Daraus entnahm die deutsche Heeresverwaltung die Pflicht,
auch auf Vermehrung unsrer Truppen Bedacht zu nehmen.

Seit langen Jahren ging ein Begehren der liberalen Parteien dahin, die
gesetzliche Dienstzeit von drei auf zwei Jahre abzukürzen. In dem Verfassnngs-
kampf der sechziger Jahre bildete dieses Begehren einen Hauptstreitpunkt. Die
Heeresverwaltung hielt daran fest, daß eine dreijährige Dienstzeit zu einer
gehörigen Ausbildung der Truppen unumgänglich nötig sei. Allerdings ist
mit dieser Annahme schon seit längerer Zeit bis zu einem gewissen Maße
gebrochen worden, indem ein großer Teil der Truppen schon nach dem zweiten
Dienstjahre als Urlauber entlassen wurde. Jetzt wollte nun die Heeresver¬
waltung das Opfer bringen, für die Fußtruppen durchweg zur zweijährigen
Dienstzeit überzugehen, wenn ihr dafür in andrer Beziehung ein die Schlag¬
fertigkeit des Heeres erhöhender Ersatz gewährt würde.

Dieser Ersatz sollte zunächst in folgendem bestehen. Bisher wurde die
Ausbildung der Truppen in jedem Bataillon dadurch sehr erschwert, daß dem
Bataillon zugleich eine Menge unregelmäßiger Geschäfte oblag. Es mußte
auch die Rekruten aufnehmen, die von vornherein für den Dienst außer¬
halb des Regiments (also für den Ordonnanzen-, Schreiber- und Burscheudienst)
bestimmt waren, und sie möglichst schnell ausbilden. Es mußte ferner die
zehnwöchige Ausbildung der Volksschullehrer und die dreiwöchige Ausbildung
der Ökonomiehandwerker übernehmen. Es mußte endlich für die nachzuholende



*) Die norddeutsche Allgemeine Zeitung bemerkt, daß die Broschüre sowohl die Stärke
des deutschen Heeres, als die des Heeres der ander" Dreilnmdsmächte für das Jahr 1914
noch zu hoch berechne.
Militärvorlage und der Antrag Bennigsen

blieb. Seit dem Jahre 1880 war die Einrichtung getroffen, daß von den
der Ersatzreserve zugewiesenen Dienstpflichtigen 17 bis 18 000 Mann drei
Jahre hindurch zehn, sechs und vier Wochen einberufen und notdürftig für
den Militärdienst ausgebildet wurden.

Nun hat Frankreich, das mit seiner Truppenzahl stets weitergegangen
ist, seit dem Jahre 1889 abermals seine Truppen stark vermehrt. Es stellt
jährlich 230000 Rekruten mit fünfundzwanzigjähriger Wehrpflicht ein. Es
hat demzufolge schon jetzt (1892) 3 200 000 ausgebildeter Soldaten, während
Deutschland (1893) deren nur 3 032 000 Mann hat. Auch wenn man die
Kräfte des Dreibundes zusammenrechnet, stellt sich das Verhältnis auf die
Dauer ungünstig für ihn. Zwar ist für den Augenblick der Dreibund den
Militärkrüften Frankreichs und Rußlands noch um 400000 Kopfe überlegen.
Schon im Jahre 1896 würden aber die beiderseitigen Kräfte gleich sein; und
da von da an die jenseitigen Kräfte alljährlich um 70 bis 80000 Mann
wachsen, so würden im Jahre 1914 den unsrigen, die nur 7 300 000 Mann
betrügen,*) 8 600 000 Mann auf der andern Seite (1300 000 Mann mehr!)
gegenüberstehen. Daraus entnahm die deutsche Heeresverwaltung die Pflicht,
auch auf Vermehrung unsrer Truppen Bedacht zu nehmen.

Seit langen Jahren ging ein Begehren der liberalen Parteien dahin, die
gesetzliche Dienstzeit von drei auf zwei Jahre abzukürzen. In dem Verfassnngs-
kampf der sechziger Jahre bildete dieses Begehren einen Hauptstreitpunkt. Die
Heeresverwaltung hielt daran fest, daß eine dreijährige Dienstzeit zu einer
gehörigen Ausbildung der Truppen unumgänglich nötig sei. Allerdings ist
mit dieser Annahme schon seit längerer Zeit bis zu einem gewissen Maße
gebrochen worden, indem ein großer Teil der Truppen schon nach dem zweiten
Dienstjahre als Urlauber entlassen wurde. Jetzt wollte nun die Heeresver¬
waltung das Opfer bringen, für die Fußtruppen durchweg zur zweijährigen
Dienstzeit überzugehen, wenn ihr dafür in andrer Beziehung ein die Schlag¬
fertigkeit des Heeres erhöhender Ersatz gewährt würde.

Dieser Ersatz sollte zunächst in folgendem bestehen. Bisher wurde die
Ausbildung der Truppen in jedem Bataillon dadurch sehr erschwert, daß dem
Bataillon zugleich eine Menge unregelmäßiger Geschäfte oblag. Es mußte
auch die Rekruten aufnehmen, die von vornherein für den Dienst außer¬
halb des Regiments (also für den Ordonnanzen-, Schreiber- und Burscheudienst)
bestimmt waren, und sie möglichst schnell ausbilden. Es mußte ferner die
zehnwöchige Ausbildung der Volksschullehrer und die dreiwöchige Ausbildung
der Ökonomiehandwerker übernehmen. Es mußte endlich für die nachzuholende



*) Die norddeutsche Allgemeine Zeitung bemerkt, daß die Broschüre sowohl die Stärke
des deutschen Heeres, als die des Heeres der ander» Dreilnmdsmächte für das Jahr 1914
noch zu hoch berechne.
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[0174] Militärvorlage und der Antrag Bennigsen blieb. Seit dem Jahre 1880 war die Einrichtung getroffen, daß von den der Ersatzreserve zugewiesenen Dienstpflichtigen 17 bis 18 000 Mann drei Jahre hindurch zehn, sechs und vier Wochen einberufen und notdürftig für den Militärdienst ausgebildet wurden. Nun hat Frankreich, das mit seiner Truppenzahl stets weitergegangen ist, seit dem Jahre 1889 abermals seine Truppen stark vermehrt. Es stellt jährlich 230000 Rekruten mit fünfundzwanzigjähriger Wehrpflicht ein. Es hat demzufolge schon jetzt (1892) 3 200 000 ausgebildeter Soldaten, während Deutschland (1893) deren nur 3 032 000 Mann hat. Auch wenn man die Kräfte des Dreibundes zusammenrechnet, stellt sich das Verhältnis auf die Dauer ungünstig für ihn. Zwar ist für den Augenblick der Dreibund den Militärkrüften Frankreichs und Rußlands noch um 400000 Kopfe überlegen. Schon im Jahre 1896 würden aber die beiderseitigen Kräfte gleich sein; und da von da an die jenseitigen Kräfte alljährlich um 70 bis 80000 Mann wachsen, so würden im Jahre 1914 den unsrigen, die nur 7 300 000 Mann betrügen,*) 8 600 000 Mann auf der andern Seite (1300 000 Mann mehr!) gegenüberstehen. Daraus entnahm die deutsche Heeresverwaltung die Pflicht, auch auf Vermehrung unsrer Truppen Bedacht zu nehmen. Seit langen Jahren ging ein Begehren der liberalen Parteien dahin, die gesetzliche Dienstzeit von drei auf zwei Jahre abzukürzen. In dem Verfassnngs- kampf der sechziger Jahre bildete dieses Begehren einen Hauptstreitpunkt. Die Heeresverwaltung hielt daran fest, daß eine dreijährige Dienstzeit zu einer gehörigen Ausbildung der Truppen unumgänglich nötig sei. Allerdings ist mit dieser Annahme schon seit längerer Zeit bis zu einem gewissen Maße gebrochen worden, indem ein großer Teil der Truppen schon nach dem zweiten Dienstjahre als Urlauber entlassen wurde. Jetzt wollte nun die Heeresver¬ waltung das Opfer bringen, für die Fußtruppen durchweg zur zweijährigen Dienstzeit überzugehen, wenn ihr dafür in andrer Beziehung ein die Schlag¬ fertigkeit des Heeres erhöhender Ersatz gewährt würde. Dieser Ersatz sollte zunächst in folgendem bestehen. Bisher wurde die Ausbildung der Truppen in jedem Bataillon dadurch sehr erschwert, daß dem Bataillon zugleich eine Menge unregelmäßiger Geschäfte oblag. Es mußte auch die Rekruten aufnehmen, die von vornherein für den Dienst außer¬ halb des Regiments (also für den Ordonnanzen-, Schreiber- und Burscheudienst) bestimmt waren, und sie möglichst schnell ausbilden. Es mußte ferner die zehnwöchige Ausbildung der Volksschullehrer und die dreiwöchige Ausbildung der Ökonomiehandwerker übernehmen. Es mußte endlich für die nachzuholende *) Die norddeutsche Allgemeine Zeitung bemerkt, daß die Broschüre sowohl die Stärke des deutschen Heeres, als die des Heeres der ander» Dreilnmdsmächte für das Jahr 1914 noch zu hoch berechne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/174>, abgerufen am 01.07.2024.