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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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heutige" Volkswirtschaft, das sich bisher bei seiner bis in die höchsten Negieruugs-
kreise herrschenden Verehrung als ,,Nährmutter" deS Volkes der staatlichen
Beeinflussung fast ganz entzogen hat. Es gehört zu den Unbegreiflichsten der
modernen Gesetzgebung, daß die Gewerbeordnung für eine ganze Anzahl der
unschuldigsten Geschäfte Konzessionspflicht vorschreibt, der Grvßindnstrie aber
gestattet, nach Belieben in jede Gemeinde mit Tausenden zusammengewürfelter
Arbeiter einzubrechen, das Gcmeindeleben, die Kirche, die Schulen zu zertrüm¬
mern und schließlich die angehäuften Menschenmassen, sobald der periodische
Krach eintritt, der Gemeinde, dem Kreise, dem Bezirk zu überlassen, damit sie
von diese" vom Hungertode gerettet werden. Wir verlangen daher, um es rund
heraus zu sage", in Zukunft Konzessionspflicht für jede neu zu errichtende
Fabrik, sowie für jede Erweiterung bestehender Fabrikanlagen. Wir verlangen,
daß zu diesem Zweck in jeder Provinz eine volkswirtschaftliche Behörde ein¬
gesetzt werde, die die Erteilung der Konzession abhängig zu machen hat erstens
von der Prüfung der Bedürfnisfrage; zweitens davon, daß alle für die Ar¬
beiterschaft nötige" Wohlfahrtseinrichtungen an gesunden Einzelfamilienwoh-
"ungen, die mit Garten und Ackerland auszustatten wären, an Schulen u. s. w.
beschafft werden und ihre Unterhaltung sicher gestellt werde; drittens, daß die
Anhäufung der Fabriken und Arbeitermassen dadurch vermieden werde, daß für
jede neu zu gründende Fabrik ein gewisses Entfernuugsmaß zu der nächsten
bestehenden Fabrikanlage vorgeschrieben wird.

Um diese Forderung näher zu erläutern, wählen wir folgendes Beispiel.
Man denke sich, es wäre möglich, die Stadt Berlin mit ihren unzähligen
Fabriken und Arbeitsstätten wie eine Häuserschachtel, die mau den Kindern zu
Weihnachten schenkt, auseinanderzuuehmen und die einzelnen Betriebsstätten
u> Kilometerentfernuug über die Provinz Brandenburg zu verteilen. Man wird
Zugestehen müssen, daß die Industrie dadurch infolge unsrer entwickelten Ver-
)rs"rittel für ihren Betrieb kaum etwas verlieren würde, was nicht durch'Nparungeu nu Anlagekapital und an Arbeitslöhnen reichlich ersetzt würde.
Man wird aber auch zugestehen müssen, daß durch eine solche Zerlegung der
Industrie der sozialen Frage für Berlin die Spitze abgebrochen wäre, daß wir
uuthin durch eine einfache Maßregel der Baupolizei einen großen Teil der
"'higen sozialen Schwierigkeiten hätten vermeiden können. Diesen Vorteil
kochten wir der zukünftigen industriellen Entwicklung sichern.

^ Wir erkennen an, daß nur eine aus Fachkundigen zusammengesetzte
^rovinzialgewerbebehörde mit der KonzessionSprüfuug betraut werden könnte.
Wenn es schon jetzt seine Schwierigkeiten hat, unter den Regierungs-
'wenden einen brauchbaren Gewerbedezernenten zu finden -- wir dürfen
"es dem Herrn Kultusminister Bosse muss Wort glauben --, so wird
'"Mi selbstverständlich darauf verzichten müssen, die hier geforderten aus¬
gedehnten gewerbepolizeilichen Befugnisse einer bloßen Verwaltungsbehörde zu


heutige» Volkswirtschaft, das sich bisher bei seiner bis in die höchsten Negieruugs-
kreise herrschenden Verehrung als ,,Nährmutter" deS Volkes der staatlichen
Beeinflussung fast ganz entzogen hat. Es gehört zu den Unbegreiflichsten der
modernen Gesetzgebung, daß die Gewerbeordnung für eine ganze Anzahl der
unschuldigsten Geschäfte Konzessionspflicht vorschreibt, der Grvßindnstrie aber
gestattet, nach Belieben in jede Gemeinde mit Tausenden zusammengewürfelter
Arbeiter einzubrechen, das Gcmeindeleben, die Kirche, die Schulen zu zertrüm¬
mern und schließlich die angehäuften Menschenmassen, sobald der periodische
Krach eintritt, der Gemeinde, dem Kreise, dem Bezirk zu überlassen, damit sie
von diese» vom Hungertode gerettet werden. Wir verlangen daher, um es rund
heraus zu sage«, in Zukunft Konzessionspflicht für jede neu zu errichtende
Fabrik, sowie für jede Erweiterung bestehender Fabrikanlagen. Wir verlangen,
daß zu diesem Zweck in jeder Provinz eine volkswirtschaftliche Behörde ein¬
gesetzt werde, die die Erteilung der Konzession abhängig zu machen hat erstens
von der Prüfung der Bedürfnisfrage; zweitens davon, daß alle für die Ar¬
beiterschaft nötige» Wohlfahrtseinrichtungen an gesunden Einzelfamilienwoh-
»ungen, die mit Garten und Ackerland auszustatten wären, an Schulen u. s. w.
beschafft werden und ihre Unterhaltung sicher gestellt werde; drittens, daß die
Anhäufung der Fabriken und Arbeitermassen dadurch vermieden werde, daß für
jede neu zu gründende Fabrik ein gewisses Entfernuugsmaß zu der nächsten
bestehenden Fabrikanlage vorgeschrieben wird.

Um diese Forderung näher zu erläutern, wählen wir folgendes Beispiel.
Man denke sich, es wäre möglich, die Stadt Berlin mit ihren unzähligen
Fabriken und Arbeitsstätten wie eine Häuserschachtel, die mau den Kindern zu
Weihnachten schenkt, auseinanderzuuehmen und die einzelnen Betriebsstätten
u> Kilometerentfernuug über die Provinz Brandenburg zu verteilen. Man wird
Zugestehen müssen, daß die Industrie dadurch infolge unsrer entwickelten Ver-
)rs»rittel für ihren Betrieb kaum etwas verlieren würde, was nicht durch'Nparungeu nu Anlagekapital und an Arbeitslöhnen reichlich ersetzt würde.
Man wird aber auch zugestehen müssen, daß durch eine solche Zerlegung der
Industrie der sozialen Frage für Berlin die Spitze abgebrochen wäre, daß wir
uuthin durch eine einfache Maßregel der Baupolizei einen großen Teil der
»'higen sozialen Schwierigkeiten hätten vermeiden können. Diesen Vorteil
kochten wir der zukünftigen industriellen Entwicklung sichern.

^ Wir erkennen an, daß nur eine aus Fachkundigen zusammengesetzte
^rovinzialgewerbebehörde mit der KonzessionSprüfuug betraut werden könnte.
Wenn es schon jetzt seine Schwierigkeiten hat, unter den Regierungs-
'wenden einen brauchbaren Gewerbedezernenten zu finden — wir dürfen
"es dem Herrn Kultusminister Bosse muss Wort glauben —, so wird
'»Mi selbstverständlich darauf verzichten müssen, die hier geforderten aus¬
gedehnten gewerbepolizeilichen Befugnisse einer bloßen Verwaltungsbehörde zu


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[0167] heutige» Volkswirtschaft, das sich bisher bei seiner bis in die höchsten Negieruugs- kreise herrschenden Verehrung als ,,Nährmutter" deS Volkes der staatlichen Beeinflussung fast ganz entzogen hat. Es gehört zu den Unbegreiflichsten der modernen Gesetzgebung, daß die Gewerbeordnung für eine ganze Anzahl der unschuldigsten Geschäfte Konzessionspflicht vorschreibt, der Grvßindnstrie aber gestattet, nach Belieben in jede Gemeinde mit Tausenden zusammengewürfelter Arbeiter einzubrechen, das Gcmeindeleben, die Kirche, die Schulen zu zertrüm¬ mern und schließlich die angehäuften Menschenmassen, sobald der periodische Krach eintritt, der Gemeinde, dem Kreise, dem Bezirk zu überlassen, damit sie von diese» vom Hungertode gerettet werden. Wir verlangen daher, um es rund heraus zu sage«, in Zukunft Konzessionspflicht für jede neu zu errichtende Fabrik, sowie für jede Erweiterung bestehender Fabrikanlagen. Wir verlangen, daß zu diesem Zweck in jeder Provinz eine volkswirtschaftliche Behörde ein¬ gesetzt werde, die die Erteilung der Konzession abhängig zu machen hat erstens von der Prüfung der Bedürfnisfrage; zweitens davon, daß alle für die Ar¬ beiterschaft nötige» Wohlfahrtseinrichtungen an gesunden Einzelfamilienwoh- »ungen, die mit Garten und Ackerland auszustatten wären, an Schulen u. s. w. beschafft werden und ihre Unterhaltung sicher gestellt werde; drittens, daß die Anhäufung der Fabriken und Arbeitermassen dadurch vermieden werde, daß für jede neu zu gründende Fabrik ein gewisses Entfernuugsmaß zu der nächsten bestehenden Fabrikanlage vorgeschrieben wird. Um diese Forderung näher zu erläutern, wählen wir folgendes Beispiel. Man denke sich, es wäre möglich, die Stadt Berlin mit ihren unzähligen Fabriken und Arbeitsstätten wie eine Häuserschachtel, die mau den Kindern zu Weihnachten schenkt, auseinanderzuuehmen und die einzelnen Betriebsstätten u> Kilometerentfernuug über die Provinz Brandenburg zu verteilen. Man wird Zugestehen müssen, daß die Industrie dadurch infolge unsrer entwickelten Ver- )rs»rittel für ihren Betrieb kaum etwas verlieren würde, was nicht durch'Nparungeu nu Anlagekapital und an Arbeitslöhnen reichlich ersetzt würde. Man wird aber auch zugestehen müssen, daß durch eine solche Zerlegung der Industrie der sozialen Frage für Berlin die Spitze abgebrochen wäre, daß wir uuthin durch eine einfache Maßregel der Baupolizei einen großen Teil der »'higen sozialen Schwierigkeiten hätten vermeiden können. Diesen Vorteil kochten wir der zukünftigen industriellen Entwicklung sichern. ^ Wir erkennen an, daß nur eine aus Fachkundigen zusammengesetzte ^rovinzialgewerbebehörde mit der KonzessionSprüfuug betraut werden könnte. Wenn es schon jetzt seine Schwierigkeiten hat, unter den Regierungs- 'wenden einen brauchbaren Gewerbedezernenten zu finden — wir dürfen "es dem Herrn Kultusminister Bosse muss Wort glauben —, so wird '»Mi selbstverständlich darauf verzichten müssen, die hier geforderten aus¬ gedehnten gewerbepolizeilichen Befugnisse einer bloßen Verwaltungsbehörde zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/167>, abgerufen am 03.07.2024.