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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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verlange" mit Vebel möglichste Regelung der Produktiv", "in sie i" el"en
ruhige", stetigen Gang überzuleiten, ohne die jetzige" Schivankungen zwischen
wahnwitziger Hauffe und gänzlichem Niedergang mit ihrem Gefolge vo" Arbeits¬
stockung und Massenelend. Das ist des Pudels Kern in der ganze" soziale"
Frage! Ohne diese Regelung müssen wir darauf verzichte", de" Massen unsers
Volkes eine gesicherte, ruhige und befriedigte Existenz zu verschaffe", ohne die
wir sie mit der bestehende" Gesellschaftsordnung niemals versöhnen werden.
Die bisher angewandten Mittel, die Unzufriedenheit der Massen zu bekämpfen,
namentlich das sogenannte Klebegesetz, sind dieser Forderung gegenüber eitel
Spielerei. Das letzte hat die Lage des Arbeiterstandes nur verschlimmert,
indem es ihm eine jährliche Steuer vou fünf bis siebeneinhalb Mark aufzwang
für Vorteile, deren Wert zu schätzen dem aus der Hand in den Mund lebenden
Arbeiter nicht beschieden ist. So wenig wie sich der Arbeiter durch einen
Hinweis auf die himmlische Zukunft über das Unbefriedigende seines irdischen
Daseins trösten läßt, ebenso wenig wird er dieses Dasein über dem Versprechen
einer Alters- und Juvalideuversorgung vergesse", die die wenigsten von ihnen
erleben. Thatsächlich enthält das Juvalideugesetz nur eine neue größere Be¬
steuerung des Arbeiterstandes an Stelle der eben erst ausgehöhlten Einkommen¬
steuer. Sich davon eine Versöhnung der Arbeitermassen zu versprechen, das
konnte nur einer Volksvertretung begegnen, deren Mitglieder eben ohne
Fühlung mit dem Volke sind. Das erste, was der Arbeiter verlangt, ist
eine gesicherte Existenz für sich und seine Familie; erst wenn wir ihm diese
bieten, wird sich allmählich wieder Beruhigung in den aufgeregten Muffen ein¬
stellen. Ohne Regelung der Produktion läßt sich aber dieses Ziel nie erreichen.
Die Bedingung einer solchen aber ist der Übergang von der bisherigen inter¬
nationalen Weltwirtschaft zu einer wirklich nationaldeutscheu Wirtschaftspolitik.
Daher nochmals: Organisation der Arbeit, Regelung der Produktion ist das
A und O der sozialen Frage.

Wie hat man sich nun diese zu denken? Nicht im Sinne Herrn Bebels,
der die Welt in ein großes Arbeitshaus verwandeln möchte; nicht im Sinne
vou Ackermann und Genossen, die von einer Wiederbelebung mittelalterlicher
gewerblicher Formen nud Einrichtungen eine Besserung der sozialen Frage er¬
warten; nicht im Sinne gewisser Staatssozialisten, die den Staatsbetrieb auf
alle größer" Gewerbe ausdehne" wolle"; nicht durch Aufhebung der gegen-
eitigeu Konkurrenz; nicht durch Aufhebung der Freizügigkeit; nicht durch Auf¬
hebung der Gewerbefreiheit. Sondern durch eine dem Volkswohl entsprechende
Beschneidung der Auswüchse der Konkurrenz, dadurch, daß mau es aufgiebt,
das Hin- und Herfluten der Arbeitermassen ans einem Teile Deutschlands in
den andern ans jede denkbare Weise noch zu erleichtern und auf Kosten der
übrigen Staatsbürger zu unterstützen, endlich durch Beschränkung der Gewerbe-
freiheit auf dem Gebiete der Großindustrie, dem ausschlaggebenden Gebiete der


verlange» mit Vebel möglichste Regelung der Produktiv», »in sie i» el»en
ruhige», stetigen Gang überzuleiten, ohne die jetzige» Schivankungen zwischen
wahnwitziger Hauffe und gänzlichem Niedergang mit ihrem Gefolge vo» Arbeits¬
stockung und Massenelend. Das ist des Pudels Kern in der ganze» soziale»
Frage! Ohne diese Regelung müssen wir darauf verzichte», de» Massen unsers
Volkes eine gesicherte, ruhige und befriedigte Existenz zu verschaffe», ohne die
wir sie mit der bestehende» Gesellschaftsordnung niemals versöhnen werden.
Die bisher angewandten Mittel, die Unzufriedenheit der Massen zu bekämpfen,
namentlich das sogenannte Klebegesetz, sind dieser Forderung gegenüber eitel
Spielerei. Das letzte hat die Lage des Arbeiterstandes nur verschlimmert,
indem es ihm eine jährliche Steuer vou fünf bis siebeneinhalb Mark aufzwang
für Vorteile, deren Wert zu schätzen dem aus der Hand in den Mund lebenden
Arbeiter nicht beschieden ist. So wenig wie sich der Arbeiter durch einen
Hinweis auf die himmlische Zukunft über das Unbefriedigende seines irdischen
Daseins trösten läßt, ebenso wenig wird er dieses Dasein über dem Versprechen
einer Alters- und Juvalideuversorgung vergesse», die die wenigsten von ihnen
erleben. Thatsächlich enthält das Juvalideugesetz nur eine neue größere Be¬
steuerung des Arbeiterstandes an Stelle der eben erst ausgehöhlten Einkommen¬
steuer. Sich davon eine Versöhnung der Arbeitermassen zu versprechen, das
konnte nur einer Volksvertretung begegnen, deren Mitglieder eben ohne
Fühlung mit dem Volke sind. Das erste, was der Arbeiter verlangt, ist
eine gesicherte Existenz für sich und seine Familie; erst wenn wir ihm diese
bieten, wird sich allmählich wieder Beruhigung in den aufgeregten Muffen ein¬
stellen. Ohne Regelung der Produktion läßt sich aber dieses Ziel nie erreichen.
Die Bedingung einer solchen aber ist der Übergang von der bisherigen inter¬
nationalen Weltwirtschaft zu einer wirklich nationaldeutscheu Wirtschaftspolitik.
Daher nochmals: Organisation der Arbeit, Regelung der Produktion ist das
A und O der sozialen Frage.

Wie hat man sich nun diese zu denken? Nicht im Sinne Herrn Bebels,
der die Welt in ein großes Arbeitshaus verwandeln möchte; nicht im Sinne
vou Ackermann und Genossen, die von einer Wiederbelebung mittelalterlicher
gewerblicher Formen nud Einrichtungen eine Besserung der sozialen Frage er¬
warten; nicht im Sinne gewisser Staatssozialisten, die den Staatsbetrieb auf
alle größer» Gewerbe ausdehne» wolle»; nicht durch Aufhebung der gegen-
eitigeu Konkurrenz; nicht durch Aufhebung der Freizügigkeit; nicht durch Auf¬
hebung der Gewerbefreiheit. Sondern durch eine dem Volkswohl entsprechende
Beschneidung der Auswüchse der Konkurrenz, dadurch, daß mau es aufgiebt,
das Hin- und Herfluten der Arbeitermassen ans einem Teile Deutschlands in
den andern ans jede denkbare Weise noch zu erleichtern und auf Kosten der
übrigen Staatsbürger zu unterstützen, endlich durch Beschränkung der Gewerbe-
freiheit auf dem Gebiete der Großindustrie, dem ausschlaggebenden Gebiete der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/166>, abgerufen am 03.07.2024.