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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Preußisch-Berlin und die deutsche Provinz

in Berlin veranstaltet werden, bei denen es auf die Beteiligung von Deutschen aus
andern Gauen abgesehen ist, waltet über ihnen der Genius, der auch bei Berliner
geselligen Bereinigungen kleinern Stils oft zu finden ist -- der Genius der
Ungemütlichkeit. Wollte bei solchen Festen jemand versuche", als Redner einen
höhern Ton anzuschlagen, einen Ton, der über den Gesichtskreis des Fraktions-
phrasentnms, der Bezirksvereinsaufkläruug hinausgeht, so würde er mit dem
edeln Worte "Quatsch" abgethan werden. Mit diesem Worte schlägt der Ber¬
liner alles tot, was er nicht versteht. Er predigt den alleinseligmachenden
Verstandesglauben, und er hat den Dünkel der Talmiklugheit, die oft -- Talmud¬
klugheit ist. Er negirt, aber er giebt dafür nichts Positives, nichts Selbstän¬
diges. Er borgt sich Worte und Redensarten von der Masse, in der er lebt,
ohne einen Anlauf zu origineller Anschauung zu nehmen. Ein Berliner findet
in Süddeutschland Gesichtsausdruck und Redeweise der Menschen dumm, weil
er, der immer bewußt und absichtlich ist, für das Unbewußte, Naive, das sich
so reizvoll beim Schwabe" und Baiern äußert, kein Verständnis hat. Und
obwohl er sehr selbstbewußt auftritt, ist er doch viel unterwürfiger gegen Leute
von Rang und Titel als der Süddeutsche. Eine Szene, wie sie Vodenstedt
ans einem Münchner Bräu berichtet, könnte i" einem Berliner Biergarten
nicht vorkommen, schon deshalb nicht, weil preußische Minister nicht in eine
Bierwirtschaft gehen. Bodenstedt trinkt im "Achatsgarten" ein Glas Bock, als
sich der Minister von der Pfordte" zu ihm setzt und auch ein Glas bestellt.
Sofort erhebt sich ein schlichter Arbeiter, der dicht nebenan sein "Schweinernes"
ißt, klopft den Minister auf die Schulter und sagt: "Excellenz, Wartens noch
a bissel, es wird gleich a frisches angezapft." Der Minister dankt freundlich
und befolgt deu guten Rat. Ein preußischer Mandarin hätte vielleicht ein
grimmiges Gesicht gemacht; es hätte ihn aber auch der röteste Anarchist nicht
zu berühren gewagt.

Die Naivität, die frisch-fröhliche Ursprünglichkeit, das ists, was dem Ber¬
liner fehlt, auch dem Berliner Künstler und Dichter. Ludwig Richter hätte
in Berlin das nie werden können, was er war, ebenso wenig Rosegger. Es
ist bezeichnend, daß die Romantik gerade in Berlin aus der Verzweiflung über
die öde Nüchternheit des vortigeu Aufklürichts entstand. Tieck, Armin, Adam
Müller, Wackernagel, Maßmann sind geborne Berliner. Heinrich von Kleist
und Fouquv sind Brandenburger. Ein warmherziger Süddeutscher wie Auer-
bnch fühlte sich trotz seines jüdischen Blutes in Berlin nicht wohl. Ihm,
dem es Bedürfnis war, anzuerkennen, war das kritische Wesen im Alltagsleben
zuwider. Er hat das gute Wort vom "Aberlob" gesprochen, das der Ber¬
liner habe; damit meinte er, daß der Berliner, auch wenn er einmal lobe,
doch stets sein Lob durch ein "Aber" einschränke. Umgekehrt hat sich der Ber¬
liner Paul Heads^. ^ München völlig eingelebt. Er möchte ebenso wenig nach
nerii", wie der Preuße Freytag, der für Spreeathcn auch nicht viel übrig


Preußisch-Berlin und die deutsche Provinz

in Berlin veranstaltet werden, bei denen es auf die Beteiligung von Deutschen aus
andern Gauen abgesehen ist, waltet über ihnen der Genius, der auch bei Berliner
geselligen Bereinigungen kleinern Stils oft zu finden ist — der Genius der
Ungemütlichkeit. Wollte bei solchen Festen jemand versuche», als Redner einen
höhern Ton anzuschlagen, einen Ton, der über den Gesichtskreis des Fraktions-
phrasentnms, der Bezirksvereinsaufkläruug hinausgeht, so würde er mit dem
edeln Worte „Quatsch" abgethan werden. Mit diesem Worte schlägt der Ber¬
liner alles tot, was er nicht versteht. Er predigt den alleinseligmachenden
Verstandesglauben, und er hat den Dünkel der Talmiklugheit, die oft — Talmud¬
klugheit ist. Er negirt, aber er giebt dafür nichts Positives, nichts Selbstän¬
diges. Er borgt sich Worte und Redensarten von der Masse, in der er lebt,
ohne einen Anlauf zu origineller Anschauung zu nehmen. Ein Berliner findet
in Süddeutschland Gesichtsausdruck und Redeweise der Menschen dumm, weil
er, der immer bewußt und absichtlich ist, für das Unbewußte, Naive, das sich
so reizvoll beim Schwabe» und Baiern äußert, kein Verständnis hat. Und
obwohl er sehr selbstbewußt auftritt, ist er doch viel unterwürfiger gegen Leute
von Rang und Titel als der Süddeutsche. Eine Szene, wie sie Vodenstedt
ans einem Münchner Bräu berichtet, könnte i» einem Berliner Biergarten
nicht vorkommen, schon deshalb nicht, weil preußische Minister nicht in eine
Bierwirtschaft gehen. Bodenstedt trinkt im „Achatsgarten" ein Glas Bock, als
sich der Minister von der Pfordte» zu ihm setzt und auch ein Glas bestellt.
Sofort erhebt sich ein schlichter Arbeiter, der dicht nebenan sein „Schweinernes"
ißt, klopft den Minister auf die Schulter und sagt: „Excellenz, Wartens noch
a bissel, es wird gleich a frisches angezapft." Der Minister dankt freundlich
und befolgt deu guten Rat. Ein preußischer Mandarin hätte vielleicht ein
grimmiges Gesicht gemacht; es hätte ihn aber auch der röteste Anarchist nicht
zu berühren gewagt.

Die Naivität, die frisch-fröhliche Ursprünglichkeit, das ists, was dem Ber¬
liner fehlt, auch dem Berliner Künstler und Dichter. Ludwig Richter hätte
in Berlin das nie werden können, was er war, ebenso wenig Rosegger. Es
ist bezeichnend, daß die Romantik gerade in Berlin aus der Verzweiflung über
die öde Nüchternheit des vortigeu Aufklürichts entstand. Tieck, Armin, Adam
Müller, Wackernagel, Maßmann sind geborne Berliner. Heinrich von Kleist
und Fouquv sind Brandenburger. Ein warmherziger Süddeutscher wie Auer-
bnch fühlte sich trotz seines jüdischen Blutes in Berlin nicht wohl. Ihm,
dem es Bedürfnis war, anzuerkennen, war das kritische Wesen im Alltagsleben
zuwider. Er hat das gute Wort vom „Aberlob" gesprochen, das der Ber¬
liner habe; damit meinte er, daß der Berliner, auch wenn er einmal lobe,
doch stets sein Lob durch ein „Aber" einschränke. Umgekehrt hat sich der Ber¬
liner Paul Heads^. ^ München völlig eingelebt. Er möchte ebenso wenig nach
nerii», wie der Preuße Freytag, der für Spreeathcn auch nicht viel übrig


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[0133] Preußisch-Berlin und die deutsche Provinz in Berlin veranstaltet werden, bei denen es auf die Beteiligung von Deutschen aus andern Gauen abgesehen ist, waltet über ihnen der Genius, der auch bei Berliner geselligen Bereinigungen kleinern Stils oft zu finden ist — der Genius der Ungemütlichkeit. Wollte bei solchen Festen jemand versuche», als Redner einen höhern Ton anzuschlagen, einen Ton, der über den Gesichtskreis des Fraktions- phrasentnms, der Bezirksvereinsaufkläruug hinausgeht, so würde er mit dem edeln Worte „Quatsch" abgethan werden. Mit diesem Worte schlägt der Ber¬ liner alles tot, was er nicht versteht. Er predigt den alleinseligmachenden Verstandesglauben, und er hat den Dünkel der Talmiklugheit, die oft — Talmud¬ klugheit ist. Er negirt, aber er giebt dafür nichts Positives, nichts Selbstän¬ diges. Er borgt sich Worte und Redensarten von der Masse, in der er lebt, ohne einen Anlauf zu origineller Anschauung zu nehmen. Ein Berliner findet in Süddeutschland Gesichtsausdruck und Redeweise der Menschen dumm, weil er, der immer bewußt und absichtlich ist, für das Unbewußte, Naive, das sich so reizvoll beim Schwabe» und Baiern äußert, kein Verständnis hat. Und obwohl er sehr selbstbewußt auftritt, ist er doch viel unterwürfiger gegen Leute von Rang und Titel als der Süddeutsche. Eine Szene, wie sie Vodenstedt ans einem Münchner Bräu berichtet, könnte i» einem Berliner Biergarten nicht vorkommen, schon deshalb nicht, weil preußische Minister nicht in eine Bierwirtschaft gehen. Bodenstedt trinkt im „Achatsgarten" ein Glas Bock, als sich der Minister von der Pfordte» zu ihm setzt und auch ein Glas bestellt. Sofort erhebt sich ein schlichter Arbeiter, der dicht nebenan sein „Schweinernes" ißt, klopft den Minister auf die Schulter und sagt: „Excellenz, Wartens noch a bissel, es wird gleich a frisches angezapft." Der Minister dankt freundlich und befolgt deu guten Rat. Ein preußischer Mandarin hätte vielleicht ein grimmiges Gesicht gemacht; es hätte ihn aber auch der röteste Anarchist nicht zu berühren gewagt. Die Naivität, die frisch-fröhliche Ursprünglichkeit, das ists, was dem Ber¬ liner fehlt, auch dem Berliner Künstler und Dichter. Ludwig Richter hätte in Berlin das nie werden können, was er war, ebenso wenig Rosegger. Es ist bezeichnend, daß die Romantik gerade in Berlin aus der Verzweiflung über die öde Nüchternheit des vortigeu Aufklürichts entstand. Tieck, Armin, Adam Müller, Wackernagel, Maßmann sind geborne Berliner. Heinrich von Kleist und Fouquv sind Brandenburger. Ein warmherziger Süddeutscher wie Auer- bnch fühlte sich trotz seines jüdischen Blutes in Berlin nicht wohl. Ihm, dem es Bedürfnis war, anzuerkennen, war das kritische Wesen im Alltagsleben zuwider. Er hat das gute Wort vom „Aberlob" gesprochen, das der Ber¬ liner habe; damit meinte er, daß der Berliner, auch wenn er einmal lobe, doch stets sein Lob durch ein „Aber" einschränke. Umgekehrt hat sich der Ber¬ liner Paul Heads^. ^ München völlig eingelebt. Er möchte ebenso wenig nach nerii», wie der Preuße Freytag, der für Spreeathcn auch nicht viel übrig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/133>, abgerufen am 23.07.2024.