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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Preuszisch-Berlin und die deutsche Provinz

steht. Ein Beispiel genüge für viele. Die Berichte über lokale Gerichtsver¬
handlungen sind in allen Berliner Blättern gleichlautend, weil sie ein und
dieselbe Repvrterfirma besorgt. Die Zeitungen habe" also nicht den Unter¬
nehmungsgeist, sich selbständige Berichterstatter zu schaffen; sie verzichten auch
insofern auf Selbständigkeit, als sie gar nicht den Versuch machen, die Berichte
redaktionell zu stilisireu. Will man aber eine Presse im großen Stil haben, so
genügt die Schnelligkeit der Berichterstattung, die übrigens nicht bei allen
Berliner Zeitungen dieselbe ist, keineswegs.

Die Presse ist freilich uur ein Symptom für das Wesen einer Stadt;
ein viel deutlicheres ist der Charakter der Bevölkerung. Ich weiß nicht, ob
die mehrfach zu lesende Statistik richtig ist, die nachrechnet, daß in den Adern
der Berliner 39 Prozent romanisches, 37 Prozent germanisches, 24 Prozent
slawisches Blut fließt. Wo bleibt das jüdische? Da die Bevölkerung jüdischer
Abstammung 5 Prozent der Berliner beträgt, so muß mau doch bei der
Charakterisirung des Berliners stark mit dein Judentum rechnen. Wenn mau
dessen Einfluß auf das geistige und wirtschaftliche Leben Berlins ins Ange
faßt, wenn man sich (zugegeben, daß das Nomanentum überwiegt) denselben
Einfluß durch die französischen Einwandrer vergegenwärtigt, so wird man
leicht den Schlüssel zum Verständnis der Eigentümlichkeit des Berliner Geistes
finden. Französisch ist die schnelle Auffassung, die schnelle Sprechart, das
gascoguische Prahlen; waren doch die Refugiss zum größten Teil Süd-
franzosen. Indisch ist die Neigung zu zersetzender Kritik und zu sophistischen
Haarspalten, der Maugel an Begeisterungsfähigkeit, der aber vielleicht auch zum
Teil ans dem nüchternen Sinn des Niederdeutschen abzuleiten ist. Französisch-
jüdisch ist das Bestreben, immer etwas Kluges sagen zu wollen, die Frende
am Witz, der so rücksichtslos sein zu dürfen glaubt, wie er nur will. slawisch
ist die Roheit der Messerhelden, der Hüteeintreiber, der Beschädign von Denk¬
mälern, slawisch ist auch das wüste Schnapstriukeu in dem gelobten Lande
der Destillen. Aber der alte Wende kommt doch nur in den untern Klassen
zum Vorschein. Im Bürgertum, soweit es nicht urgermanisch ist, sicher aber
da, wo es sich auf seine "Bildung" etwas zu gute thut, ist der französisch-
jüdische Geist mächtig. Das zeigt sich auch in der Sprache. Jüdische Aus¬
drücke wie Ptene, Dalles, meschugge u. s. w. sind im Munde von Berliner
Christen ganz gewöhnlich, und wollte mau deu Berliner "Jargon" nach Galli¬
zismen durchsuchen, so fände man deren sicherlich eine Menge. Ein solcher
Gallizismus steht jetzt in Blüte, wenn man in Berlin von einem "Saal Bech-
stein" redet.

Ans den Eigenschaften des Berliners, die ihn lieber nein als ja sagen
lassen, die ihm, wo der Süddeutsche freudig zustimmt, ein kühles "Ich habe
nichts dagegen" auf die Lippen drängen, erklärt es sich auch, warum man in
Berlin keine Feste feiern kann, bei denen das Herz warm wird. So oft Feste


Preuszisch-Berlin und die deutsche Provinz

steht. Ein Beispiel genüge für viele. Die Berichte über lokale Gerichtsver¬
handlungen sind in allen Berliner Blättern gleichlautend, weil sie ein und
dieselbe Repvrterfirma besorgt. Die Zeitungen habe» also nicht den Unter¬
nehmungsgeist, sich selbständige Berichterstatter zu schaffen; sie verzichten auch
insofern auf Selbständigkeit, als sie gar nicht den Versuch machen, die Berichte
redaktionell zu stilisireu. Will man aber eine Presse im großen Stil haben, so
genügt die Schnelligkeit der Berichterstattung, die übrigens nicht bei allen
Berliner Zeitungen dieselbe ist, keineswegs.

Die Presse ist freilich uur ein Symptom für das Wesen einer Stadt;
ein viel deutlicheres ist der Charakter der Bevölkerung. Ich weiß nicht, ob
die mehrfach zu lesende Statistik richtig ist, die nachrechnet, daß in den Adern
der Berliner 39 Prozent romanisches, 37 Prozent germanisches, 24 Prozent
slawisches Blut fließt. Wo bleibt das jüdische? Da die Bevölkerung jüdischer
Abstammung 5 Prozent der Berliner beträgt, so muß mau doch bei der
Charakterisirung des Berliners stark mit dein Judentum rechnen. Wenn mau
dessen Einfluß auf das geistige und wirtschaftliche Leben Berlins ins Ange
faßt, wenn man sich (zugegeben, daß das Nomanentum überwiegt) denselben
Einfluß durch die französischen Einwandrer vergegenwärtigt, so wird man
leicht den Schlüssel zum Verständnis der Eigentümlichkeit des Berliner Geistes
finden. Französisch ist die schnelle Auffassung, die schnelle Sprechart, das
gascoguische Prahlen; waren doch die Refugiss zum größten Teil Süd-
franzosen. Indisch ist die Neigung zu zersetzender Kritik und zu sophistischen
Haarspalten, der Maugel an Begeisterungsfähigkeit, der aber vielleicht auch zum
Teil ans dem nüchternen Sinn des Niederdeutschen abzuleiten ist. Französisch-
jüdisch ist das Bestreben, immer etwas Kluges sagen zu wollen, die Frende
am Witz, der so rücksichtslos sein zu dürfen glaubt, wie er nur will. slawisch
ist die Roheit der Messerhelden, der Hüteeintreiber, der Beschädign von Denk¬
mälern, slawisch ist auch das wüste Schnapstriukeu in dem gelobten Lande
der Destillen. Aber der alte Wende kommt doch nur in den untern Klassen
zum Vorschein. Im Bürgertum, soweit es nicht urgermanisch ist, sicher aber
da, wo es sich auf seine „Bildung" etwas zu gute thut, ist der französisch-
jüdische Geist mächtig. Das zeigt sich auch in der Sprache. Jüdische Aus¬
drücke wie Ptene, Dalles, meschugge u. s. w. sind im Munde von Berliner
Christen ganz gewöhnlich, und wollte mau deu Berliner „Jargon" nach Galli¬
zismen durchsuchen, so fände man deren sicherlich eine Menge. Ein solcher
Gallizismus steht jetzt in Blüte, wenn man in Berlin von einem „Saal Bech-
stein" redet.

Ans den Eigenschaften des Berliners, die ihn lieber nein als ja sagen
lassen, die ihm, wo der Süddeutsche freudig zustimmt, ein kühles „Ich habe
nichts dagegen" auf die Lippen drängen, erklärt es sich auch, warum man in
Berlin keine Feste feiern kann, bei denen das Herz warm wird. So oft Feste


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[0132] Preuszisch-Berlin und die deutsche Provinz steht. Ein Beispiel genüge für viele. Die Berichte über lokale Gerichtsver¬ handlungen sind in allen Berliner Blättern gleichlautend, weil sie ein und dieselbe Repvrterfirma besorgt. Die Zeitungen habe» also nicht den Unter¬ nehmungsgeist, sich selbständige Berichterstatter zu schaffen; sie verzichten auch insofern auf Selbständigkeit, als sie gar nicht den Versuch machen, die Berichte redaktionell zu stilisireu. Will man aber eine Presse im großen Stil haben, so genügt die Schnelligkeit der Berichterstattung, die übrigens nicht bei allen Berliner Zeitungen dieselbe ist, keineswegs. Die Presse ist freilich uur ein Symptom für das Wesen einer Stadt; ein viel deutlicheres ist der Charakter der Bevölkerung. Ich weiß nicht, ob die mehrfach zu lesende Statistik richtig ist, die nachrechnet, daß in den Adern der Berliner 39 Prozent romanisches, 37 Prozent germanisches, 24 Prozent slawisches Blut fließt. Wo bleibt das jüdische? Da die Bevölkerung jüdischer Abstammung 5 Prozent der Berliner beträgt, so muß mau doch bei der Charakterisirung des Berliners stark mit dein Judentum rechnen. Wenn mau dessen Einfluß auf das geistige und wirtschaftliche Leben Berlins ins Ange faßt, wenn man sich (zugegeben, daß das Nomanentum überwiegt) denselben Einfluß durch die französischen Einwandrer vergegenwärtigt, so wird man leicht den Schlüssel zum Verständnis der Eigentümlichkeit des Berliner Geistes finden. Französisch ist die schnelle Auffassung, die schnelle Sprechart, das gascoguische Prahlen; waren doch die Refugiss zum größten Teil Süd- franzosen. Indisch ist die Neigung zu zersetzender Kritik und zu sophistischen Haarspalten, der Maugel an Begeisterungsfähigkeit, der aber vielleicht auch zum Teil ans dem nüchternen Sinn des Niederdeutschen abzuleiten ist. Französisch- jüdisch ist das Bestreben, immer etwas Kluges sagen zu wollen, die Frende am Witz, der so rücksichtslos sein zu dürfen glaubt, wie er nur will. slawisch ist die Roheit der Messerhelden, der Hüteeintreiber, der Beschädign von Denk¬ mälern, slawisch ist auch das wüste Schnapstriukeu in dem gelobten Lande der Destillen. Aber der alte Wende kommt doch nur in den untern Klassen zum Vorschein. Im Bürgertum, soweit es nicht urgermanisch ist, sicher aber da, wo es sich auf seine „Bildung" etwas zu gute thut, ist der französisch- jüdische Geist mächtig. Das zeigt sich auch in der Sprache. Jüdische Aus¬ drücke wie Ptene, Dalles, meschugge u. s. w. sind im Munde von Berliner Christen ganz gewöhnlich, und wollte mau deu Berliner „Jargon" nach Galli¬ zismen durchsuchen, so fände man deren sicherlich eine Menge. Ein solcher Gallizismus steht jetzt in Blüte, wenn man in Berlin von einem „Saal Bech- stein" redet. Ans den Eigenschaften des Berliners, die ihn lieber nein als ja sagen lassen, die ihm, wo der Süddeutsche freudig zustimmt, ein kühles „Ich habe nichts dagegen" auf die Lippen drängen, erklärt es sich auch, warum man in Berlin keine Feste feiern kann, bei denen das Herz warm wird. So oft Feste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/132>, abgerufen am 23.07.2024.