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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

"sehr betrübt" war. Gerlach hatte schließlich, den Umständen Rechnung tragend,
vermittelt.

So begnügte er sich, die Berufung des Erfurter Parlaments zu be¬
kämpfen, und als dies dennoch auf den 20. März 1850 berufen wurde,
arbeitete er wenigstens nach Kräften dagegen, daß dort die Verfassung vom
26. Mai 1849 ear vivo angenommen wurde, weil man dadurch nur noch
tiefer "in den Schlamm der Revolution" gerate, und wollte namentlich die
Frankfurter ,,Grundrechte," diesen "revolutionären Krebs," suspendirt wissen.
Im Grunde seines Herzens wünschte er freilich "das Auseinanderfallen der
ganzen Geschichte," war daher höchlich befriedigt über den Abfall Sachsens
und Hannovers von der Union und mahnte den König, nach der Revision
der Verfassung den Erfurter Reichstag zu schließen und den "Gothaern" zu
zeigen, "daß die deutschen Fürsten Herren im Lande wären." Am 30. April
konnte er in der That schreiben.- "Erfurt ist gut zu Ende gebracht; die Gothaer
jubeln nicht über ihre Majorität, sie sind niedergeschlagen, und man streitet
nur, ob Preußen die Union aufgeben oder halten will." Er ging in dieser
Zeit soweit, unter Umstünden die Einmischung, sogar den Einmarsch der Russen
zu wünschen, da die "Demokratie" überall ihr Haupt erhebe! Die einzige Ret-
tung schien ihm die Zusammenberufung des Bundestags zur Revision der
deutschen Verfassung. Freilich mißbilligte er es durchaus, als nun Österreich
allein, nicht in Gemeinschaft mit Preußen und noch vor dem Ablaufe des
Provisoriums für die Zentralgewalt (31. Mai 1850) für den 10. Mai die
deutschen Fürsten zu Verhandlungen über die Neugestaltung des Bundestags
nach Frankfurt a. M. entbot. Er erkannte recht wohl, daß ein Gegensatz
zwischen Österreich und Preußen faktisch bestehe, dn es Österreich in Deutsch¬
land zu nichts "Positivem" kommen lassen wolle, weil es den deutschen Ein¬
fluß auf seine Länder scheue und sein Ideal im Innern "der Superlativ der
^revolutionären^ Josephinische" Gesetzgebung" sei, aber Preußen habe durch
seine Uuiouspvlitik diesen Gegensatz sehr verschärft. Daher war er mit dem
Unionsfürstentage, den Preußen im Mai 1850 nach Berlin berief, wenig ein¬
verstanden und kümmerte sich um die thatsächlich ergebnislosen Verhandlungen
nicht besonders, sah vielmehr mit Befriedigung, wie die Union mehr und mehr
zerbröckelte und im Juli in der That nur noch eine "Marsche" war. Einen Kon¬
flikt mit Österreich um ihretwillen wünschte er natürlich nicht; er riet daher dem
König am 24. Juli, die Union aufzugeben und nur mit den treugebliebnen Für¬
sten einen engen Bund zu schließen, Baden aber zu räumen, und auch Nadowitz
erklärte dem König am 2. August rund heraus, die Unionspolitik sei ohne ener¬
gische militärische Maßregeln unhaltbar; solche Maßregeln aber, die Mvbilisiruug
des siebenten und achten Armeekorps, lehnte der Ministerrat am 2. August ab.

Trotzdem hielt der König an Radowitz fest und wollte ihn am 14. Sep¬
tember zum Minister ohne Portefeuille ernennen. Die Entscheidung brachte


Leopold von Gerlach

„sehr betrübt" war. Gerlach hatte schließlich, den Umständen Rechnung tragend,
vermittelt.

So begnügte er sich, die Berufung des Erfurter Parlaments zu be¬
kämpfen, und als dies dennoch auf den 20. März 1850 berufen wurde,
arbeitete er wenigstens nach Kräften dagegen, daß dort die Verfassung vom
26. Mai 1849 ear vivo angenommen wurde, weil man dadurch nur noch
tiefer „in den Schlamm der Revolution" gerate, und wollte namentlich die
Frankfurter ,,Grundrechte," diesen „revolutionären Krebs," suspendirt wissen.
Im Grunde seines Herzens wünschte er freilich „das Auseinanderfallen der
ganzen Geschichte," war daher höchlich befriedigt über den Abfall Sachsens
und Hannovers von der Union und mahnte den König, nach der Revision
der Verfassung den Erfurter Reichstag zu schließen und den „Gothaern" zu
zeigen, „daß die deutschen Fürsten Herren im Lande wären." Am 30. April
konnte er in der That schreiben.- „Erfurt ist gut zu Ende gebracht; die Gothaer
jubeln nicht über ihre Majorität, sie sind niedergeschlagen, und man streitet
nur, ob Preußen die Union aufgeben oder halten will." Er ging in dieser
Zeit soweit, unter Umstünden die Einmischung, sogar den Einmarsch der Russen
zu wünschen, da die „Demokratie" überall ihr Haupt erhebe! Die einzige Ret-
tung schien ihm die Zusammenberufung des Bundestags zur Revision der
deutschen Verfassung. Freilich mißbilligte er es durchaus, als nun Österreich
allein, nicht in Gemeinschaft mit Preußen und noch vor dem Ablaufe des
Provisoriums für die Zentralgewalt (31. Mai 1850) für den 10. Mai die
deutschen Fürsten zu Verhandlungen über die Neugestaltung des Bundestags
nach Frankfurt a. M. entbot. Er erkannte recht wohl, daß ein Gegensatz
zwischen Österreich und Preußen faktisch bestehe, dn es Österreich in Deutsch¬
land zu nichts „Positivem" kommen lassen wolle, weil es den deutschen Ein¬
fluß auf seine Länder scheue und sein Ideal im Innern „der Superlativ der
^revolutionären^ Josephinische» Gesetzgebung" sei, aber Preußen habe durch
seine Uuiouspvlitik diesen Gegensatz sehr verschärft. Daher war er mit dem
Unionsfürstentage, den Preußen im Mai 1850 nach Berlin berief, wenig ein¬
verstanden und kümmerte sich um die thatsächlich ergebnislosen Verhandlungen
nicht besonders, sah vielmehr mit Befriedigung, wie die Union mehr und mehr
zerbröckelte und im Juli in der That nur noch eine „Marsche" war. Einen Kon¬
flikt mit Österreich um ihretwillen wünschte er natürlich nicht; er riet daher dem
König am 24. Juli, die Union aufzugeben und nur mit den treugebliebnen Für¬
sten einen engen Bund zu schließen, Baden aber zu räumen, und auch Nadowitz
erklärte dem König am 2. August rund heraus, die Unionspolitik sei ohne ener¬
gische militärische Maßregeln unhaltbar; solche Maßregeln aber, die Mvbilisiruug
des siebenten und achten Armeekorps, lehnte der Ministerrat am 2. August ab.

Trotzdem hielt der König an Radowitz fest und wollte ihn am 14. Sep¬
tember zum Minister ohne Portefeuille ernennen. Die Entscheidung brachte


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[0640] Leopold von Gerlach „sehr betrübt" war. Gerlach hatte schließlich, den Umständen Rechnung tragend, vermittelt. So begnügte er sich, die Berufung des Erfurter Parlaments zu be¬ kämpfen, und als dies dennoch auf den 20. März 1850 berufen wurde, arbeitete er wenigstens nach Kräften dagegen, daß dort die Verfassung vom 26. Mai 1849 ear vivo angenommen wurde, weil man dadurch nur noch tiefer „in den Schlamm der Revolution" gerate, und wollte namentlich die Frankfurter ,,Grundrechte," diesen „revolutionären Krebs," suspendirt wissen. Im Grunde seines Herzens wünschte er freilich „das Auseinanderfallen der ganzen Geschichte," war daher höchlich befriedigt über den Abfall Sachsens und Hannovers von der Union und mahnte den König, nach der Revision der Verfassung den Erfurter Reichstag zu schließen und den „Gothaern" zu zeigen, „daß die deutschen Fürsten Herren im Lande wären." Am 30. April konnte er in der That schreiben.- „Erfurt ist gut zu Ende gebracht; die Gothaer jubeln nicht über ihre Majorität, sie sind niedergeschlagen, und man streitet nur, ob Preußen die Union aufgeben oder halten will." Er ging in dieser Zeit soweit, unter Umstünden die Einmischung, sogar den Einmarsch der Russen zu wünschen, da die „Demokratie" überall ihr Haupt erhebe! Die einzige Ret- tung schien ihm die Zusammenberufung des Bundestags zur Revision der deutschen Verfassung. Freilich mißbilligte er es durchaus, als nun Österreich allein, nicht in Gemeinschaft mit Preußen und noch vor dem Ablaufe des Provisoriums für die Zentralgewalt (31. Mai 1850) für den 10. Mai die deutschen Fürsten zu Verhandlungen über die Neugestaltung des Bundestags nach Frankfurt a. M. entbot. Er erkannte recht wohl, daß ein Gegensatz zwischen Österreich und Preußen faktisch bestehe, dn es Österreich in Deutsch¬ land zu nichts „Positivem" kommen lassen wolle, weil es den deutschen Ein¬ fluß auf seine Länder scheue und sein Ideal im Innern „der Superlativ der ^revolutionären^ Josephinische» Gesetzgebung" sei, aber Preußen habe durch seine Uuiouspvlitik diesen Gegensatz sehr verschärft. Daher war er mit dem Unionsfürstentage, den Preußen im Mai 1850 nach Berlin berief, wenig ein¬ verstanden und kümmerte sich um die thatsächlich ergebnislosen Verhandlungen nicht besonders, sah vielmehr mit Befriedigung, wie die Union mehr und mehr zerbröckelte und im Juli in der That nur noch eine „Marsche" war. Einen Kon¬ flikt mit Österreich um ihretwillen wünschte er natürlich nicht; er riet daher dem König am 24. Juli, die Union aufzugeben und nur mit den treugebliebnen Für¬ sten einen engen Bund zu schließen, Baden aber zu räumen, und auch Nadowitz erklärte dem König am 2. August rund heraus, die Unionspolitik sei ohne ener¬ gische militärische Maßregeln unhaltbar; solche Maßregeln aber, die Mvbilisiruug des siebenten und achten Armeekorps, lehnte der Ministerrat am 2. August ab. Trotzdem hielt der König an Radowitz fest und wollte ihn am 14. Sep¬ tember zum Minister ohne Portefeuille ernennen. Die Entscheidung brachte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/640>, abgerufen am 26.06.2024.