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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

stmidignng, in erster Linie mit Österreich, in zweiter mit Rußland, und wirk¬
lich gelang es, allerdings weniger durch ihn, als dnrch "die vier liebenswür¬
digen Pfalzgräfinnen Sophie ^Erzherzogin von Osterreich, Mutter Kaiser Franz
Josephs), Elise ^Königin von Preußens Marie Möuigin vou Sachsen), Amalie
^Gemahlin des Prinzen Johann von Sachsens" nachdem vorher schon Canitz,
Gerlachs Freund, nach Wien geschickt worden war, über die Köpfe der preu¬
ßischen Minister hinweg um 7. und 8. September eine Zusammenkunft zwischen
dem König und dem Kaiser in Teplitz herbeizuführen. Der König setzte seinem
jugendlichen Neffen aufrichtig seine Politik aus einander und erklärte im Ge¬
wissen verpflichtet zu sein, es mit Österreich zu halten; der Kaiser ließ sich
wenig auf Politik ein, bemerkte aber dann in Wien seinen Ministern kalt¬
blütig: "Ich habe es uicht mit den Gedanken des Königs zu thun, sondern
mit dem entschiednen festen Willen Preußens, sich Deutschlands zu bemäch¬
tigen." Im Sinne des Königs war also die Zusammenkunft thatsächlich
fruchtlos, aber sie bestärkte ihn in seiner Selbsttäuschung. Um so mehr war
er geneigt, den am 30. September 1849 abgeschlossenen österreichisch-preu¬
ßischen Vertrag über die provisorische Übernahme der deutschen Zentralgewalt
durch beide Großmächte bis zum 31. Mai 1850 zu genehmigen, obwohl Öster¬
reich nicht einmal die preußische Union anerkannte und Radowitz gar nicht ein¬
verstanden war. Gerlach triumphirte: "Radowitz merkt uoch nicht, daß ihm
der Königsbund unter den Beinen fortgezogen wird." Trotzdem war die Stel¬
lung des Generals unerschüttert, sodaß Gerlach gelegentlich an den "Rückzug"
dachte und das horazische Usaws Ms anstimmte. Aber das ging doch ganz und
gar gegen seine Natur. Am 6. November kam er zu dem Schlüsse: "Ich
muß mich viel direkter einmischen." Als Anfang Dezember Österreich geradezu
gegen die in Berlin beabsichtigte Berufung des Unionsparlaments nach Erfurt
protestirte und Truppen gegen seine Nordgrenze vorschob, da ging Gerlach am
6. Dezember im besondern Auftrage nach Dresden und erklärte dort, sobald
die Österreicher die sächsische Grenze überschritten, würden auch die Preußen
einrücken. So entschiednes Auftreten verfehlte seine Wirkung nicht, aber Ger-
lnch hielt doch die Politik des Ministeriums für so gefährlich, daß er am
17. Dezember schrieb: ,,Das Ministerium muß gestürzt werden," und mit
Rauch, der damals aus Petersburg zurückkehrte, ,,imbu<z"I, mit aller Wut des
Kaisers ^Nikolaus) gegen die Nadvwitzische Politik," darin einig war, ,,daß
man viel nachgiebiger gegen Österreich sein müsse." Das Ministerium zu
stürzen, schien damals nicht so schwer, denn der König lag wieder im heftigsten
Streit mit ihm, weil er den Eid auf die Verfassung uicht leisten wollte, den
Stahl sogar mit dem Frieden von Tilsit verglich, und den auch die Königin
bekämpfte. Da sich aber der Monarch von seinen Ministern nicht trennen
wollte, weil er eben keine Minister in seinem Sinne finden konnte, so fügte
er sich endlich und leistete am 7. Februar 1850 den Eid, worüber die Königin


Leopold von Gerlach

stmidignng, in erster Linie mit Österreich, in zweiter mit Rußland, und wirk¬
lich gelang es, allerdings weniger durch ihn, als dnrch „die vier liebenswür¬
digen Pfalzgräfinnen Sophie ^Erzherzogin von Osterreich, Mutter Kaiser Franz
Josephs), Elise ^Königin von Preußens Marie Möuigin vou Sachsen), Amalie
^Gemahlin des Prinzen Johann von Sachsens" nachdem vorher schon Canitz,
Gerlachs Freund, nach Wien geschickt worden war, über die Köpfe der preu¬
ßischen Minister hinweg um 7. und 8. September eine Zusammenkunft zwischen
dem König und dem Kaiser in Teplitz herbeizuführen. Der König setzte seinem
jugendlichen Neffen aufrichtig seine Politik aus einander und erklärte im Ge¬
wissen verpflichtet zu sein, es mit Österreich zu halten; der Kaiser ließ sich
wenig auf Politik ein, bemerkte aber dann in Wien seinen Ministern kalt¬
blütig: „Ich habe es uicht mit den Gedanken des Königs zu thun, sondern
mit dem entschiednen festen Willen Preußens, sich Deutschlands zu bemäch¬
tigen." Im Sinne des Königs war also die Zusammenkunft thatsächlich
fruchtlos, aber sie bestärkte ihn in seiner Selbsttäuschung. Um so mehr war
er geneigt, den am 30. September 1849 abgeschlossenen österreichisch-preu¬
ßischen Vertrag über die provisorische Übernahme der deutschen Zentralgewalt
durch beide Großmächte bis zum 31. Mai 1850 zu genehmigen, obwohl Öster¬
reich nicht einmal die preußische Union anerkannte und Radowitz gar nicht ein¬
verstanden war. Gerlach triumphirte: „Radowitz merkt uoch nicht, daß ihm
der Königsbund unter den Beinen fortgezogen wird." Trotzdem war die Stel¬
lung des Generals unerschüttert, sodaß Gerlach gelegentlich an den „Rückzug"
dachte und das horazische Usaws Ms anstimmte. Aber das ging doch ganz und
gar gegen seine Natur. Am 6. November kam er zu dem Schlüsse: „Ich
muß mich viel direkter einmischen." Als Anfang Dezember Österreich geradezu
gegen die in Berlin beabsichtigte Berufung des Unionsparlaments nach Erfurt
protestirte und Truppen gegen seine Nordgrenze vorschob, da ging Gerlach am
6. Dezember im besondern Auftrage nach Dresden und erklärte dort, sobald
die Österreicher die sächsische Grenze überschritten, würden auch die Preußen
einrücken. So entschiednes Auftreten verfehlte seine Wirkung nicht, aber Ger-
lnch hielt doch die Politik des Ministeriums für so gefährlich, daß er am
17. Dezember schrieb: ,,Das Ministerium muß gestürzt werden," und mit
Rauch, der damals aus Petersburg zurückkehrte, ,,imbu<z«I, mit aller Wut des
Kaisers ^Nikolaus) gegen die Nadvwitzische Politik," darin einig war, ,,daß
man viel nachgiebiger gegen Österreich sein müsse." Das Ministerium zu
stürzen, schien damals nicht so schwer, denn der König lag wieder im heftigsten
Streit mit ihm, weil er den Eid auf die Verfassung uicht leisten wollte, den
Stahl sogar mit dem Frieden von Tilsit verglich, und den auch die Königin
bekämpfte. Da sich aber der Monarch von seinen Ministern nicht trennen
wollte, weil er eben keine Minister in seinem Sinne finden konnte, so fügte
er sich endlich und leistete am 7. Februar 1850 den Eid, worüber die Königin


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[0639] Leopold von Gerlach stmidignng, in erster Linie mit Österreich, in zweiter mit Rußland, und wirk¬ lich gelang es, allerdings weniger durch ihn, als dnrch „die vier liebenswür¬ digen Pfalzgräfinnen Sophie ^Erzherzogin von Osterreich, Mutter Kaiser Franz Josephs), Elise ^Königin von Preußens Marie Möuigin vou Sachsen), Amalie ^Gemahlin des Prinzen Johann von Sachsens" nachdem vorher schon Canitz, Gerlachs Freund, nach Wien geschickt worden war, über die Köpfe der preu¬ ßischen Minister hinweg um 7. und 8. September eine Zusammenkunft zwischen dem König und dem Kaiser in Teplitz herbeizuführen. Der König setzte seinem jugendlichen Neffen aufrichtig seine Politik aus einander und erklärte im Ge¬ wissen verpflichtet zu sein, es mit Österreich zu halten; der Kaiser ließ sich wenig auf Politik ein, bemerkte aber dann in Wien seinen Ministern kalt¬ blütig: „Ich habe es uicht mit den Gedanken des Königs zu thun, sondern mit dem entschiednen festen Willen Preußens, sich Deutschlands zu bemäch¬ tigen." Im Sinne des Königs war also die Zusammenkunft thatsächlich fruchtlos, aber sie bestärkte ihn in seiner Selbsttäuschung. Um so mehr war er geneigt, den am 30. September 1849 abgeschlossenen österreichisch-preu¬ ßischen Vertrag über die provisorische Übernahme der deutschen Zentralgewalt durch beide Großmächte bis zum 31. Mai 1850 zu genehmigen, obwohl Öster¬ reich nicht einmal die preußische Union anerkannte und Radowitz gar nicht ein¬ verstanden war. Gerlach triumphirte: „Radowitz merkt uoch nicht, daß ihm der Königsbund unter den Beinen fortgezogen wird." Trotzdem war die Stel¬ lung des Generals unerschüttert, sodaß Gerlach gelegentlich an den „Rückzug" dachte und das horazische Usaws Ms anstimmte. Aber das ging doch ganz und gar gegen seine Natur. Am 6. November kam er zu dem Schlüsse: „Ich muß mich viel direkter einmischen." Als Anfang Dezember Österreich geradezu gegen die in Berlin beabsichtigte Berufung des Unionsparlaments nach Erfurt protestirte und Truppen gegen seine Nordgrenze vorschob, da ging Gerlach am 6. Dezember im besondern Auftrage nach Dresden und erklärte dort, sobald die Österreicher die sächsische Grenze überschritten, würden auch die Preußen einrücken. So entschiednes Auftreten verfehlte seine Wirkung nicht, aber Ger- lnch hielt doch die Politik des Ministeriums für so gefährlich, daß er am 17. Dezember schrieb: ,,Das Ministerium muß gestürzt werden," und mit Rauch, der damals aus Petersburg zurückkehrte, ,,imbu<z«I, mit aller Wut des Kaisers ^Nikolaus) gegen die Nadvwitzische Politik," darin einig war, ,,daß man viel nachgiebiger gegen Österreich sein müsse." Das Ministerium zu stürzen, schien damals nicht so schwer, denn der König lag wieder im heftigsten Streit mit ihm, weil er den Eid auf die Verfassung uicht leisten wollte, den Stahl sogar mit dem Frieden von Tilsit verglich, und den auch die Königin bekämpfte. Da sich aber der Monarch von seinen Ministern nicht trennen wollte, weil er eben keine Minister in seinem Sinne finden konnte, so fügte er sich endlich und leistete am 7. Februar 1850 den Eid, worüber die Königin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/639>, abgerufen am 26.06.2024.