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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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im Bunde mit der verabscheuten "Revolution" erreichen zu können. Deshalb'
gewann in dieser Zeit der General von Nadowitz den entscheidenden Einfluß.
Graf Brandenburg war im ganzen mit Radowitz einverstanden, obwohl er
seine nationalen Gesichtspunkte kaum teilte und im Grunde damit zufrieden
gewesen wäre, wenn sich Preußen auf einen engern Bund mit den kleinen
Staaten in seiner Machtsphäre beschränkt hätte. Aus diesen Bestrebungen
war schon die preußische Note an die deutschen Regierungen vom 3. April
1849, die sie zu einem solchen "engern Bunde" aufforderte, hervorgegangen,
und ihnen entsprach das sogenannte Dreikönigsbündnis mit Sachsen und
Hannover vom 26. Mai, die Grundlage der "Union." Gerlach dagegen
wollte höchstens von einer völkerrechtlichen Verbindung etwas wissen, nicht
von einem Verfassuugsbünduis, das doch wieder an die verhaßte "revolutio¬
näre" Frankfurter Reichsverfassung anknüpfen mußte. Für das Wichtigste
hielt er auch die Verständigung mit Österreich; dann könne Preußen bei den Fürsten
leicht das Nötige erreiche". Denn ohne Österreich gebe es keine deutsche Ein¬
heit, und Preußen allein könne Süddeutschland uicht schützen, werde dieses
vielmehr, wenn sich Österreich von Süddeutschland trennte, einem neuen Rhein¬
bünde zutreiben. Zwar verkannte er nicht, daß Österreich selbst jenen engern
Bund nicht zulassen würde; er erwartete vielmehr schon zu Anfang Juli,
Österreich werde, sobald es mit Ungarn und Italien fertig sei, den Bundestag
wieder berufen, Preußen mit seiner Union einfach beiseite schieben und, mit
Nußland und England im Einverständnis, es zu allem zwingen. In der
That, wenn es Preußen um die deutsche Frage nicht auf einen Krieg an¬
kommen lassen wollte -- und am allerwenigsten wollte der König den Krieg --,
dann hatte Gerlnch mit seiner Politik durchaus Recht, und seine Prophezeiungen
von den Folgen der schwächlichen Unionspolitik sind wörtlich eingetroffen. Er
hat sie unermüdlich bekämpft und endlich den vollständigen Sieg seiner An¬
schauungen erlebt. Ganz und gar einverstanden war er natürlich damit, daß
Preußen die Revolution in Sachsen, in der Rheinpfalz und in Baden mit Waffen¬
gewalt niederwarf; er selbst ging am 17. Mai nach München, um die Ver¬
abredungen über den preußischen Einmarsch in der Pfalz zu treffen und ein
Bündnis gegen die Revolution mit Annahme des Berfasfungsentwurfs (zum
spätern Dreikvnigsbündnis) anzubieten, das letzte sicherlich mit innerm Wider¬
streben und schon deshalb ohne Erfolg. Sein Verhältnis zum König wurde
noch enger, als er im Juli, zunächst als Stellvertreter Rauchs, der nach
Petersburg ging (erst nach dessen Tode im Juni 1850 endgiltig), General-
adjutant wurde; als solcher hatte er den: Monarchen jeden Morgen Bortrag
zu halten, also hinreichend Gelegenheit, seine Anschauungen zur Geltung zu
bringen, und wohnte auch gelegentlich den Sitzungen des Ministeriums bei.
Einfluß uns die deutsche Politik gewann er allerdings zunächst wenig, da der
König ganz "radowitzisirt" war, aber unermüdlich drang er ans eine Ver-


im Bunde mit der verabscheuten „Revolution" erreichen zu können. Deshalb'
gewann in dieser Zeit der General von Nadowitz den entscheidenden Einfluß.
Graf Brandenburg war im ganzen mit Radowitz einverstanden, obwohl er
seine nationalen Gesichtspunkte kaum teilte und im Grunde damit zufrieden
gewesen wäre, wenn sich Preußen auf einen engern Bund mit den kleinen
Staaten in seiner Machtsphäre beschränkt hätte. Aus diesen Bestrebungen
war schon die preußische Note an die deutschen Regierungen vom 3. April
1849, die sie zu einem solchen „engern Bunde" aufforderte, hervorgegangen,
und ihnen entsprach das sogenannte Dreikönigsbündnis mit Sachsen und
Hannover vom 26. Mai, die Grundlage der „Union." Gerlach dagegen
wollte höchstens von einer völkerrechtlichen Verbindung etwas wissen, nicht
von einem Verfassuugsbünduis, das doch wieder an die verhaßte „revolutio¬
näre" Frankfurter Reichsverfassung anknüpfen mußte. Für das Wichtigste
hielt er auch die Verständigung mit Österreich; dann könne Preußen bei den Fürsten
leicht das Nötige erreiche». Denn ohne Österreich gebe es keine deutsche Ein¬
heit, und Preußen allein könne Süddeutschland uicht schützen, werde dieses
vielmehr, wenn sich Österreich von Süddeutschland trennte, einem neuen Rhein¬
bünde zutreiben. Zwar verkannte er nicht, daß Österreich selbst jenen engern
Bund nicht zulassen würde; er erwartete vielmehr schon zu Anfang Juli,
Österreich werde, sobald es mit Ungarn und Italien fertig sei, den Bundestag
wieder berufen, Preußen mit seiner Union einfach beiseite schieben und, mit
Nußland und England im Einverständnis, es zu allem zwingen. In der
That, wenn es Preußen um die deutsche Frage nicht auf einen Krieg an¬
kommen lassen wollte — und am allerwenigsten wollte der König den Krieg —,
dann hatte Gerlnch mit seiner Politik durchaus Recht, und seine Prophezeiungen
von den Folgen der schwächlichen Unionspolitik sind wörtlich eingetroffen. Er
hat sie unermüdlich bekämpft und endlich den vollständigen Sieg seiner An¬
schauungen erlebt. Ganz und gar einverstanden war er natürlich damit, daß
Preußen die Revolution in Sachsen, in der Rheinpfalz und in Baden mit Waffen¬
gewalt niederwarf; er selbst ging am 17. Mai nach München, um die Ver¬
abredungen über den preußischen Einmarsch in der Pfalz zu treffen und ein
Bündnis gegen die Revolution mit Annahme des Berfasfungsentwurfs (zum
spätern Dreikvnigsbündnis) anzubieten, das letzte sicherlich mit innerm Wider¬
streben und schon deshalb ohne Erfolg. Sein Verhältnis zum König wurde
noch enger, als er im Juli, zunächst als Stellvertreter Rauchs, der nach
Petersburg ging (erst nach dessen Tode im Juni 1850 endgiltig), General-
adjutant wurde; als solcher hatte er den: Monarchen jeden Morgen Bortrag
zu halten, also hinreichend Gelegenheit, seine Anschauungen zur Geltung zu
bringen, und wohnte auch gelegentlich den Sitzungen des Ministeriums bei.
Einfluß uns die deutsche Politik gewann er allerdings zunächst wenig, da der
König ganz „radowitzisirt" war, aber unermüdlich drang er ans eine Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/638>, abgerufen am 26.06.2024.