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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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bei diesen wunderlichen Sätzen ans. Aber für eine Verständigung mit Öster¬
reich war er doch auch; lebhaft bekämpfte er Bunsen, der unausgesetzt auf
den König in dem Sinne einer Vereinbarung mit Frankfurt wirkte, und sprach
schließlich, in seinen alten Haß gegen das "revolutionäre" Parlament zurück¬
fallend, die unbegreifliche "Hoffnung" ans, daß sich aus der angedrohten
russisch-französischen Einmischung in Schleswig ,,eine neue Blamage sür die
Paulskirche'" vorbereite!

So hatten sich der König und Gerlach dem Standpunkte der Frankfurter
nicht um eines Haares Breite genähert, als sich die letzte Entscheidung in der
Paulskirche vorbereitete, die Kaiserwahl (23. März). Der König sagte da¬
mals gelegentlich, ehe er seine Person mit der Kaiserkrone "kompromittire,"
wolle er abdanken, und Gerlach nannte sie ,,eine schmutzige, von Revolutionären
überreichte, unter wenigstens rot gefütterte Narrenkappe, deren Parodie und
Modell der arme Erzherzog Johann zur eignen Schmach trägt," und die An¬
nahme der Kaiserkrone war ihm "eine Allianz mit der Revolution gegen
Österreich und Rußland." Nicht überall freilich teilte mau in Preußen an
leitender Stelle diese Ansicht. Was Bismarck damals von patriotisch-preu¬
ßischem, nicht von legitimistischen Standpunkte aus darüber urteilte, ist be¬
kannt; aber ein Teil der Minister, darunter v. d. Heste, und die Führer der
Rechten in der zweiten Kammer, Vincke, Bodelschwingh u. n. waren sür die
Annahme. Dagegen that Gerlach mit der Camarilla alles, gegen solche
Einflüsse den König in seiner ablehnenden Haltung zu bestärken, obwohl er
ihm riet, er möge bei der Ablehnung doch sein Interesse für Deutschland
zeigen und "eine definitive Antwort hintauhalteu, bis sich alle Fürsten und
Österreich erklärt hätten." Die letzte Entscheidung fiel darauf in diesem Sinne
am 1. April in Charlottenburg in einer Beratung der "dieses mal voll¬
ständig besetzten Camarilla" (beide Gerlnch, Rauch und Massow) mit dem
König; die Sitzung der Minister am 2. April stellte nur die Form der Ant¬
wort fest. Dem Empfang der Kaiserdeputation im Rittersaale am 3. April
wohnte Gerlach nicht bei, aber er erfahr darnach, "daß alles gut stünde," und
fand die Äußerung Simsons beim Prinzen von Preußen, die Antwort des
Königs habe das Frankfurter Parlament "nullifizirt," "ganz richtig." Bekannt¬
lich änderten auch die spätern Versuche, den König noch umzustimmen, nichts,
das mühselige deutsche Verfassungswerk war gescheitert.

Freilich wollte der König, wie gesagt, auch in seiner Weise die Einheit
Deutschlands und für Preußen eine hervorragende Stellung durch einen
"engern Bund" innerhalb des weitern mit Österreich. In der innern deutschen
Politik, und namentlich für den militärischen Oberbefehl, sollte Preußen die
Hauptrolle spielen, in der äußern (des "weitern" Bundes) Österreich. Aber
er meinte dies Ziel ohne Bruch mit Österreich und durch friedliche Verein¬
barung mit den deutschen Fürsten, jedenfalls ans legitimem Wege und nicht


bei diesen wunderlichen Sätzen ans. Aber für eine Verständigung mit Öster¬
reich war er doch auch; lebhaft bekämpfte er Bunsen, der unausgesetzt auf
den König in dem Sinne einer Vereinbarung mit Frankfurt wirkte, und sprach
schließlich, in seinen alten Haß gegen das „revolutionäre" Parlament zurück¬
fallend, die unbegreifliche „Hoffnung" ans, daß sich aus der angedrohten
russisch-französischen Einmischung in Schleswig ,,eine neue Blamage sür die
Paulskirche'" vorbereite!

So hatten sich der König und Gerlach dem Standpunkte der Frankfurter
nicht um eines Haares Breite genähert, als sich die letzte Entscheidung in der
Paulskirche vorbereitete, die Kaiserwahl (23. März). Der König sagte da¬
mals gelegentlich, ehe er seine Person mit der Kaiserkrone „kompromittire,"
wolle er abdanken, und Gerlach nannte sie ,,eine schmutzige, von Revolutionären
überreichte, unter wenigstens rot gefütterte Narrenkappe, deren Parodie und
Modell der arme Erzherzog Johann zur eignen Schmach trägt," und die An¬
nahme der Kaiserkrone war ihm „eine Allianz mit der Revolution gegen
Österreich und Rußland." Nicht überall freilich teilte mau in Preußen an
leitender Stelle diese Ansicht. Was Bismarck damals von patriotisch-preu¬
ßischem, nicht von legitimistischen Standpunkte aus darüber urteilte, ist be¬
kannt; aber ein Teil der Minister, darunter v. d. Heste, und die Führer der
Rechten in der zweiten Kammer, Vincke, Bodelschwingh u. n. waren sür die
Annahme. Dagegen that Gerlach mit der Camarilla alles, gegen solche
Einflüsse den König in seiner ablehnenden Haltung zu bestärken, obwohl er
ihm riet, er möge bei der Ablehnung doch sein Interesse für Deutschland
zeigen und „eine definitive Antwort hintauhalteu, bis sich alle Fürsten und
Österreich erklärt hätten." Die letzte Entscheidung fiel darauf in diesem Sinne
am 1. April in Charlottenburg in einer Beratung der „dieses mal voll¬
ständig besetzten Camarilla" (beide Gerlnch, Rauch und Massow) mit dem
König; die Sitzung der Minister am 2. April stellte nur die Form der Ant¬
wort fest. Dem Empfang der Kaiserdeputation im Rittersaale am 3. April
wohnte Gerlach nicht bei, aber er erfahr darnach, „daß alles gut stünde," und
fand die Äußerung Simsons beim Prinzen von Preußen, die Antwort des
Königs habe das Frankfurter Parlament „nullifizirt," „ganz richtig." Bekannt¬
lich änderten auch die spätern Versuche, den König noch umzustimmen, nichts,
das mühselige deutsche Verfassungswerk war gescheitert.

Freilich wollte der König, wie gesagt, auch in seiner Weise die Einheit
Deutschlands und für Preußen eine hervorragende Stellung durch einen
„engern Bund" innerhalb des weitern mit Österreich. In der innern deutschen
Politik, und namentlich für den militärischen Oberbefehl, sollte Preußen die
Hauptrolle spielen, in der äußern (des „weitern" Bundes) Österreich. Aber
er meinte dies Ziel ohne Bruch mit Österreich und durch friedliche Verein¬
barung mit den deutschen Fürsten, jedenfalls ans legitimem Wege und nicht


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[0637] bei diesen wunderlichen Sätzen ans. Aber für eine Verständigung mit Öster¬ reich war er doch auch; lebhaft bekämpfte er Bunsen, der unausgesetzt auf den König in dem Sinne einer Vereinbarung mit Frankfurt wirkte, und sprach schließlich, in seinen alten Haß gegen das „revolutionäre" Parlament zurück¬ fallend, die unbegreifliche „Hoffnung" ans, daß sich aus der angedrohten russisch-französischen Einmischung in Schleswig ,,eine neue Blamage sür die Paulskirche'" vorbereite! So hatten sich der König und Gerlach dem Standpunkte der Frankfurter nicht um eines Haares Breite genähert, als sich die letzte Entscheidung in der Paulskirche vorbereitete, die Kaiserwahl (23. März). Der König sagte da¬ mals gelegentlich, ehe er seine Person mit der Kaiserkrone „kompromittire," wolle er abdanken, und Gerlach nannte sie ,,eine schmutzige, von Revolutionären überreichte, unter wenigstens rot gefütterte Narrenkappe, deren Parodie und Modell der arme Erzherzog Johann zur eignen Schmach trägt," und die An¬ nahme der Kaiserkrone war ihm „eine Allianz mit der Revolution gegen Österreich und Rußland." Nicht überall freilich teilte mau in Preußen an leitender Stelle diese Ansicht. Was Bismarck damals von patriotisch-preu¬ ßischem, nicht von legitimistischen Standpunkte aus darüber urteilte, ist be¬ kannt; aber ein Teil der Minister, darunter v. d. Heste, und die Führer der Rechten in der zweiten Kammer, Vincke, Bodelschwingh u. n. waren sür die Annahme. Dagegen that Gerlach mit der Camarilla alles, gegen solche Einflüsse den König in seiner ablehnenden Haltung zu bestärken, obwohl er ihm riet, er möge bei der Ablehnung doch sein Interesse für Deutschland zeigen und „eine definitive Antwort hintauhalteu, bis sich alle Fürsten und Österreich erklärt hätten." Die letzte Entscheidung fiel darauf in diesem Sinne am 1. April in Charlottenburg in einer Beratung der „dieses mal voll¬ ständig besetzten Camarilla" (beide Gerlnch, Rauch und Massow) mit dem König; die Sitzung der Minister am 2. April stellte nur die Form der Ant¬ wort fest. Dem Empfang der Kaiserdeputation im Rittersaale am 3. April wohnte Gerlach nicht bei, aber er erfahr darnach, „daß alles gut stünde," und fand die Äußerung Simsons beim Prinzen von Preußen, die Antwort des Königs habe das Frankfurter Parlament „nullifizirt," „ganz richtig." Bekannt¬ lich änderten auch die spätern Versuche, den König noch umzustimmen, nichts, das mühselige deutsche Verfassungswerk war gescheitert. Freilich wollte der König, wie gesagt, auch in seiner Weise die Einheit Deutschlands und für Preußen eine hervorragende Stellung durch einen „engern Bund" innerhalb des weitern mit Österreich. In der innern deutschen Politik, und namentlich für den militärischen Oberbefehl, sollte Preußen die Hauptrolle spielen, in der äußern (des „weitern" Bundes) Österreich. Aber er meinte dies Ziel ohne Bruch mit Österreich und durch friedliche Verein¬ barung mit den deutschen Fürsten, jedenfalls ans legitimem Wege und nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/637>, abgerufen am 26.06.2024.