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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

versagte und nach seinem innersten Wesen wie nach seiner ganzen Nnschannng
versagen mußte.

Diese Tragik hat freilich der König so wenig empfunden wie Gerlach,
weil beide die Berechtigung der Frankfurter Bestrebungen nicht anerkannten,
lind doch wollte auch Friedrich Wilhelm IV. in seiner Weise die Einheit
Deutschlands mit dem Kaiser von Österreich als "römischem Kaiser" an der
Spitze und mit einer mächtigen Stellung für sich selber als "teutscher König,"
..Reichserzfeldherr" oder dergleichen, d. h. Inhaber des militärischen Ober¬
befehls außerhalb Österreichs, aber er wollte dies durch friedliche Verein¬
barung mit Österreich und den größern deutschen Fürsten erreichen und schlug
deshalb zunächst in Wien vor, daß Österreich und Preußen mit den Königen
zusammen ein "Königskollegium" bilden und dies als Inhaber der Souveränität
dem Frankfurter Parlament gegenübertreten solle. Dein? die Hauptsache war ihm
gar nicht die Reichsverfassung, sondern ,,die Herstellung der Obrigkeit" (Schreiben
an Brandenburg, 19. Januar 1849). Er übersah dabei freilich vollständig,
daß weder Österreich uoch die Könige das mindeste Interesse daran hatten,
Preußen eine solche Machtstellung einzuräumen, und war nicht einmal mit
seiner eignen Umgebung einig. Gerlach wollte von den "Phantasien" des
Königs nichts wissen; er sagte ihm einmal rund heraus, die römische
Kaiserwürde passe nicht für unsre Zeit, und der Prinz von Preußen, wie alle
preußischen Offiziere sähen darin eine Demütigung für Preußen. Er selbst
wünschte allerdings für Preußen den militärischen Oberbefehl über Norddeutsch¬
land und einen Teil Süddeutschlands, stand aber den österreichischen Plänen
sehr mißtrauisch gegenüber und meinte i" diesem Gedränge sogar, man müsse
"die Paulskirche indirekt gegen Österreich anfrechthnlteu, ohne ihre Svu-
veränitätsgelüste anzuerkennen," da sie ja unzweifelhaft in der Anerkennung der
Fürsten eine rechtliche Grundlage habe, Ordnung geschaffen habe, "als die
Fürsten völlig versagten," und wahrhaft "populär" sei. Auch Graf Branden¬
burg teilte das Mißtrauen gegen Österreich und riet, Preußen möge die
Fürsten, die sich dazu erboten, unter seinen Schutz nehmen. So kam es
zu der Zirkularuote vom 23. Januar 1849, die eine Wendung der preußischen
Politik nach der Paulskirche hin bedeutet hätte, wenn der König innerlich
damit einverstanden gewesen wäre. Aber er hatte sie weit mehr zugelassen
als veranlaßt, klagte sehr bald wieder über seine Minister und sagte zu dem
frühern Minister Ccinitz in Charlottenburg, er werde jetzt der Politik seiner
Minister folgen, aber allen Regenten erklären, es sei nicht die seinige. Um¬
sonst wies ihm Canitz nach, das sei ja ganz unmöglich, umsonst boten Gerlach,
Rauch und Massow alles auf, ihn von solchen Gedanken abzubringen; der
König erklärte, seine Minister wollten ihn mit Österreich nur "brouilliren,"
er dagegen wollte mit Österreich in Deutschland wieder eine Obrigkeit auf¬
richten. "Was ist doch der König für ein sonderbarer Herr!" ruft Gerlach


Leopold von Gerlach

versagte und nach seinem innersten Wesen wie nach seiner ganzen Nnschannng
versagen mußte.

Diese Tragik hat freilich der König so wenig empfunden wie Gerlach,
weil beide die Berechtigung der Frankfurter Bestrebungen nicht anerkannten,
lind doch wollte auch Friedrich Wilhelm IV. in seiner Weise die Einheit
Deutschlands mit dem Kaiser von Österreich als „römischem Kaiser" an der
Spitze und mit einer mächtigen Stellung für sich selber als „teutscher König,"
..Reichserzfeldherr" oder dergleichen, d. h. Inhaber des militärischen Ober¬
befehls außerhalb Österreichs, aber er wollte dies durch friedliche Verein¬
barung mit Österreich und den größern deutschen Fürsten erreichen und schlug
deshalb zunächst in Wien vor, daß Österreich und Preußen mit den Königen
zusammen ein „Königskollegium" bilden und dies als Inhaber der Souveränität
dem Frankfurter Parlament gegenübertreten solle. Dein? die Hauptsache war ihm
gar nicht die Reichsverfassung, sondern ,,die Herstellung der Obrigkeit" (Schreiben
an Brandenburg, 19. Januar 1849). Er übersah dabei freilich vollständig,
daß weder Österreich uoch die Könige das mindeste Interesse daran hatten,
Preußen eine solche Machtstellung einzuräumen, und war nicht einmal mit
seiner eignen Umgebung einig. Gerlach wollte von den „Phantasien" des
Königs nichts wissen; er sagte ihm einmal rund heraus, die römische
Kaiserwürde passe nicht für unsre Zeit, und der Prinz von Preußen, wie alle
preußischen Offiziere sähen darin eine Demütigung für Preußen. Er selbst
wünschte allerdings für Preußen den militärischen Oberbefehl über Norddeutsch¬
land und einen Teil Süddeutschlands, stand aber den österreichischen Plänen
sehr mißtrauisch gegenüber und meinte i» diesem Gedränge sogar, man müsse
„die Paulskirche indirekt gegen Österreich anfrechthnlteu, ohne ihre Svu-
veränitätsgelüste anzuerkennen," da sie ja unzweifelhaft in der Anerkennung der
Fürsten eine rechtliche Grundlage habe, Ordnung geschaffen habe, „als die
Fürsten völlig versagten," und wahrhaft „populär" sei. Auch Graf Branden¬
burg teilte das Mißtrauen gegen Österreich und riet, Preußen möge die
Fürsten, die sich dazu erboten, unter seinen Schutz nehmen. So kam es
zu der Zirkularuote vom 23. Januar 1849, die eine Wendung der preußischen
Politik nach der Paulskirche hin bedeutet hätte, wenn der König innerlich
damit einverstanden gewesen wäre. Aber er hatte sie weit mehr zugelassen
als veranlaßt, klagte sehr bald wieder über seine Minister und sagte zu dem
frühern Minister Ccinitz in Charlottenburg, er werde jetzt der Politik seiner
Minister folgen, aber allen Regenten erklären, es sei nicht die seinige. Um¬
sonst wies ihm Canitz nach, das sei ja ganz unmöglich, umsonst boten Gerlach,
Rauch und Massow alles auf, ihn von solchen Gedanken abzubringen; der
König erklärte, seine Minister wollten ihn mit Österreich nur „brouilliren,"
er dagegen wollte mit Österreich in Deutschland wieder eine Obrigkeit auf¬
richten. „Was ist doch der König für ein sonderbarer Herr!" ruft Gerlach


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[0636] Leopold von Gerlach versagte und nach seinem innersten Wesen wie nach seiner ganzen Nnschannng versagen mußte. Diese Tragik hat freilich der König so wenig empfunden wie Gerlach, weil beide die Berechtigung der Frankfurter Bestrebungen nicht anerkannten, lind doch wollte auch Friedrich Wilhelm IV. in seiner Weise die Einheit Deutschlands mit dem Kaiser von Österreich als „römischem Kaiser" an der Spitze und mit einer mächtigen Stellung für sich selber als „teutscher König," ..Reichserzfeldherr" oder dergleichen, d. h. Inhaber des militärischen Ober¬ befehls außerhalb Österreichs, aber er wollte dies durch friedliche Verein¬ barung mit Österreich und den größern deutschen Fürsten erreichen und schlug deshalb zunächst in Wien vor, daß Österreich und Preußen mit den Königen zusammen ein „Königskollegium" bilden und dies als Inhaber der Souveränität dem Frankfurter Parlament gegenübertreten solle. Dein? die Hauptsache war ihm gar nicht die Reichsverfassung, sondern ,,die Herstellung der Obrigkeit" (Schreiben an Brandenburg, 19. Januar 1849). Er übersah dabei freilich vollständig, daß weder Österreich uoch die Könige das mindeste Interesse daran hatten, Preußen eine solche Machtstellung einzuräumen, und war nicht einmal mit seiner eignen Umgebung einig. Gerlach wollte von den „Phantasien" des Königs nichts wissen; er sagte ihm einmal rund heraus, die römische Kaiserwürde passe nicht für unsre Zeit, und der Prinz von Preußen, wie alle preußischen Offiziere sähen darin eine Demütigung für Preußen. Er selbst wünschte allerdings für Preußen den militärischen Oberbefehl über Norddeutsch¬ land und einen Teil Süddeutschlands, stand aber den österreichischen Plänen sehr mißtrauisch gegenüber und meinte i» diesem Gedränge sogar, man müsse „die Paulskirche indirekt gegen Österreich anfrechthnlteu, ohne ihre Svu- veränitätsgelüste anzuerkennen," da sie ja unzweifelhaft in der Anerkennung der Fürsten eine rechtliche Grundlage habe, Ordnung geschaffen habe, „als die Fürsten völlig versagten," und wahrhaft „populär" sei. Auch Graf Branden¬ burg teilte das Mißtrauen gegen Österreich und riet, Preußen möge die Fürsten, die sich dazu erboten, unter seinen Schutz nehmen. So kam es zu der Zirkularuote vom 23. Januar 1849, die eine Wendung der preußischen Politik nach der Paulskirche hin bedeutet hätte, wenn der König innerlich damit einverstanden gewesen wäre. Aber er hatte sie weit mehr zugelassen als veranlaßt, klagte sehr bald wieder über seine Minister und sagte zu dem frühern Minister Ccinitz in Charlottenburg, er werde jetzt der Politik seiner Minister folgen, aber allen Regenten erklären, es sei nicht die seinige. Um¬ sonst wies ihm Canitz nach, das sei ja ganz unmöglich, umsonst boten Gerlach, Rauch und Massow alles auf, ihn von solchen Gedanken abzubringen; der König erklärte, seine Minister wollten ihn mit Österreich nur „brouilliren," er dagegen wollte mit Österreich in Deutschland wieder eine Obrigkeit auf¬ richten. „Was ist doch der König für ein sonderbarer Herr!" ruft Gerlach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/636>, abgerufen am 26.06.2024.