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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

deutsche, sich einer Reichsrcgierung unterwerfen sollte, die höchst wahrscheinlich
ihren Sitz außerhalb Österreichs hatte, der andre, der außerdeutsche, nur die
Wahl hatte, dasselbe zu thun, ohne doch auf die Reichsverwaltung Einfluß
zu haben, oder seine eignen Wege zu gehen. Da weder Österreich die Frank¬
furter Forderung, noch Deutschland die österreichische annehmen konnte, so
klaffte der Spalt weit auf, und es blieb nur die staatsrechtliche Trennung
Deutschlands von Österreich. Diese aber führte geradeswegs zum Bundes¬
staate mit preußischer Spitze. In der Erkenntnis dieser zwingenden Not¬
wendigkeit beschlossen die gemäßigten Parteien der Paulskirche, mit dem König
von Preußen unmittelbar zu verhandeln. Damit wurde die Entscheidung der
deutschen Frage von Frankfurt hinweg in das preußische Kabinet verlegt. So
erschien Heinrich von Gagern mit Simson, Mücke, Bassermann u. a. am
26. November in Potsdam und setzte dort "durch seineu Bvmbeneinfall alles
in Schrecken." Denn was war dem König und seiner Camarilla widerwärtiger
als dieses "revolutionäre" Parlament und "der sentimentale, philanthropische
Schwätzer" Gagern! Nur das eine tröstete Gerlach, die Erkenntnis nämlich,
"die Frankfurter Geschichte pfeife auf dem letzten Loche," und es werde jetzt
"wieder einmal act lioininvm demonstrirt, daß die Frankfurter Versammlung
nicht Herr von Deutschland ist." Der Antwort seines Herrn war er hier
ganz sicher. Der König lehnte die Kaiserkrone, die ihm Gagern am 27. No¬
vember anbot, rundweg ab mit den denkwürdigen, sein ganzes Wesen bezeich¬
nenden Worten: "Der kleinste und nnmächtigste meiner Mitfürsten hat das¬
selbe Recht wie ich. Frei werden die größern nimmermehr zustimmen, und
ich will kein Usurpator sein. Der Plan ist, wenn Österreich bei Deutschland
verbleiben soll, nud wenn es ausschiede, in Hinsicht auf die Königreiche nicht
ausführbar. Das Haus Habsburg steht voran, und ich bin persönlich nicht
geeignet, will kein Friedrich I. noch ein Friedrich II., will nur sein, was ich
sein kann, ein glider und gerechter König. Wenn Österreich ausschiede, so
würde Deutschland ein geteiltes und gemindertes werden, und ich mag nicht,
nach Herstellung des Kaisertums der erste Kaiser, eine verstümmelte Krone
tragen. Ich würde auch die Leitung eines uur schwachen Reiches überkommen.
Meine Krone würde schwach sein durch die Widerwilligkeit der unterworfnen
Dynastie", dnrch die Macht so mancher unaustilgbaren Antipathien, der katho¬
lischen, der süddeutschem, durch die erregte Eifersucht und Mißgunst der aus¬
wärtigen Mächte, durch ihren Ursprung." Gewiß, ein Fürst mit solcher
Gesinnung, der keineswegs eigentlich ans Mangel an Mut, sondern wesentlich
aus Grundsatz die gebotne Krone zurückstieß, konnte die deutsche Einheit nicht
begründen. Wer ihn näher kannte, wußte, daß mit diesem 27. November 1848
die verhängnisvolle Entscheidung thatsächlich bereits gefallen war, und es ist
gewiß im höchsten Sinne tragisch, daß sich die Hoffnungen der deutschen
Nation nur auf diesen einen richten konnten, und daß sich ihnen dieser eine


Grenzboten I 79
Leopold von Gerlach

deutsche, sich einer Reichsrcgierung unterwerfen sollte, die höchst wahrscheinlich
ihren Sitz außerhalb Österreichs hatte, der andre, der außerdeutsche, nur die
Wahl hatte, dasselbe zu thun, ohne doch auf die Reichsverwaltung Einfluß
zu haben, oder seine eignen Wege zu gehen. Da weder Österreich die Frank¬
furter Forderung, noch Deutschland die österreichische annehmen konnte, so
klaffte der Spalt weit auf, und es blieb nur die staatsrechtliche Trennung
Deutschlands von Österreich. Diese aber führte geradeswegs zum Bundes¬
staate mit preußischer Spitze. In der Erkenntnis dieser zwingenden Not¬
wendigkeit beschlossen die gemäßigten Parteien der Paulskirche, mit dem König
von Preußen unmittelbar zu verhandeln. Damit wurde die Entscheidung der
deutschen Frage von Frankfurt hinweg in das preußische Kabinet verlegt. So
erschien Heinrich von Gagern mit Simson, Mücke, Bassermann u. a. am
26. November in Potsdam und setzte dort „durch seineu Bvmbeneinfall alles
in Schrecken." Denn was war dem König und seiner Camarilla widerwärtiger
als dieses „revolutionäre" Parlament und „der sentimentale, philanthropische
Schwätzer" Gagern! Nur das eine tröstete Gerlach, die Erkenntnis nämlich,
„die Frankfurter Geschichte pfeife auf dem letzten Loche," und es werde jetzt
„wieder einmal act lioininvm demonstrirt, daß die Frankfurter Versammlung
nicht Herr von Deutschland ist." Der Antwort seines Herrn war er hier
ganz sicher. Der König lehnte die Kaiserkrone, die ihm Gagern am 27. No¬
vember anbot, rundweg ab mit den denkwürdigen, sein ganzes Wesen bezeich¬
nenden Worten: „Der kleinste und nnmächtigste meiner Mitfürsten hat das¬
selbe Recht wie ich. Frei werden die größern nimmermehr zustimmen, und
ich will kein Usurpator sein. Der Plan ist, wenn Österreich bei Deutschland
verbleiben soll, nud wenn es ausschiede, in Hinsicht auf die Königreiche nicht
ausführbar. Das Haus Habsburg steht voran, und ich bin persönlich nicht
geeignet, will kein Friedrich I. noch ein Friedrich II., will nur sein, was ich
sein kann, ein glider und gerechter König. Wenn Österreich ausschiede, so
würde Deutschland ein geteiltes und gemindertes werden, und ich mag nicht,
nach Herstellung des Kaisertums der erste Kaiser, eine verstümmelte Krone
tragen. Ich würde auch die Leitung eines uur schwachen Reiches überkommen.
Meine Krone würde schwach sein durch die Widerwilligkeit der unterworfnen
Dynastie», dnrch die Macht so mancher unaustilgbaren Antipathien, der katho¬
lischen, der süddeutschem, durch die erregte Eifersucht und Mißgunst der aus¬
wärtigen Mächte, durch ihren Ursprung." Gewiß, ein Fürst mit solcher
Gesinnung, der keineswegs eigentlich ans Mangel an Mut, sondern wesentlich
aus Grundsatz die gebotne Krone zurückstieß, konnte die deutsche Einheit nicht
begründen. Wer ihn näher kannte, wußte, daß mit diesem 27. November 1848
die verhängnisvolle Entscheidung thatsächlich bereits gefallen war, und es ist
gewiß im höchsten Sinne tragisch, daß sich die Hoffnungen der deutschen
Nation nur auf diesen einen richten konnten, und daß sich ihnen dieser eine


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[0635] Leopold von Gerlach deutsche, sich einer Reichsrcgierung unterwerfen sollte, die höchst wahrscheinlich ihren Sitz außerhalb Österreichs hatte, der andre, der außerdeutsche, nur die Wahl hatte, dasselbe zu thun, ohne doch auf die Reichsverwaltung Einfluß zu haben, oder seine eignen Wege zu gehen. Da weder Österreich die Frank¬ furter Forderung, noch Deutschland die österreichische annehmen konnte, so klaffte der Spalt weit auf, und es blieb nur die staatsrechtliche Trennung Deutschlands von Österreich. Diese aber führte geradeswegs zum Bundes¬ staate mit preußischer Spitze. In der Erkenntnis dieser zwingenden Not¬ wendigkeit beschlossen die gemäßigten Parteien der Paulskirche, mit dem König von Preußen unmittelbar zu verhandeln. Damit wurde die Entscheidung der deutschen Frage von Frankfurt hinweg in das preußische Kabinet verlegt. So erschien Heinrich von Gagern mit Simson, Mücke, Bassermann u. a. am 26. November in Potsdam und setzte dort „durch seineu Bvmbeneinfall alles in Schrecken." Denn was war dem König und seiner Camarilla widerwärtiger als dieses „revolutionäre" Parlament und „der sentimentale, philanthropische Schwätzer" Gagern! Nur das eine tröstete Gerlach, die Erkenntnis nämlich, „die Frankfurter Geschichte pfeife auf dem letzten Loche," und es werde jetzt „wieder einmal act lioininvm demonstrirt, daß die Frankfurter Versammlung nicht Herr von Deutschland ist." Der Antwort seines Herrn war er hier ganz sicher. Der König lehnte die Kaiserkrone, die ihm Gagern am 27. No¬ vember anbot, rundweg ab mit den denkwürdigen, sein ganzes Wesen bezeich¬ nenden Worten: „Der kleinste und nnmächtigste meiner Mitfürsten hat das¬ selbe Recht wie ich. Frei werden die größern nimmermehr zustimmen, und ich will kein Usurpator sein. Der Plan ist, wenn Österreich bei Deutschland verbleiben soll, nud wenn es ausschiede, in Hinsicht auf die Königreiche nicht ausführbar. Das Haus Habsburg steht voran, und ich bin persönlich nicht geeignet, will kein Friedrich I. noch ein Friedrich II., will nur sein, was ich sein kann, ein glider und gerechter König. Wenn Österreich ausschiede, so würde Deutschland ein geteiltes und gemindertes werden, und ich mag nicht, nach Herstellung des Kaisertums der erste Kaiser, eine verstümmelte Krone tragen. Ich würde auch die Leitung eines uur schwachen Reiches überkommen. Meine Krone würde schwach sein durch die Widerwilligkeit der unterworfnen Dynastie», dnrch die Macht so mancher unaustilgbaren Antipathien, der katho¬ lischen, der süddeutschem, durch die erregte Eifersucht und Mißgunst der aus¬ wärtigen Mächte, durch ihren Ursprung." Gewiß, ein Fürst mit solcher Gesinnung, der keineswegs eigentlich ans Mangel an Mut, sondern wesentlich aus Grundsatz die gebotne Krone zurückstieß, konnte die deutsche Einheit nicht begründen. Wer ihn näher kannte, wußte, daß mit diesem 27. November 1848 die verhängnisvolle Entscheidung thatsächlich bereits gefallen war, und es ist gewiß im höchsten Sinne tragisch, daß sich die Hoffnungen der deutschen Nation nur auf diesen einen richten konnten, und daß sich ihnen dieser eine Grenzboten I 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/635>, abgerufen am 26.06.2024.