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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Leopold von Gerlach

Nun Wuchte die neue Frage (Ulf, ob es nicht rätlich sei, die National¬
versammlung, die gegen das neue Ministerium am 3. November geradezu Ver¬
wahrung einlegte, zu vertagen und zu verlegen. Die Camarilla sprach sich
sür beides aus, das Ministerium stimmte bei, wollte aber darüber hinaus die
Versammlung ganz auflösen und auch noch die Verfassung einfach oktroyiren.
Um 5. November war man über die beiden ersten Punkte einig, am 9. kün¬
digte Brandenburg in einer überaus erregten Sitzung, die Gerlach drastisch
schildert, die Vertagung und die Verlegung nach Brandenburg an, am 10. No¬
vember rückte Wrangel in Berlin ein, verhängte den Belagerungszustand und
löste die gesamte Vürgerwehr ans. Mit dieser Maßregel war Gerlach ebenso
wenig einverstanden wie mit der Auflösung der Nationalversammlung; selbst
der König wollte von einer solchen nichts hören, sagte aber dann in seiner
sonderbaren Resignation, er wolle sich in nichts mischen, er liege jetzt auf der
Bärenhaut. Gerlach hielt ebenfalls an seinem Standpunkte grundsätzlich fest
und wollte höchstens ein Wahlgesetz, aber nicht die Verfassung oktrohirt wissen.
Da jedoch die Minister fest blieben und der König nicht mit ihnen brechen
wollte, so übersandte Brandenburg den Bcrfassnngsentwurf, wesentlich in der
Gestalt, wie ihn die Versammlung festgestellt hatte. "Das hätte ich Branden¬
burg nicht zugetraut!" ruft Gerlach bekümmert aus; der König aber war außer
sich, nannte den Entwurf ,,ein belgisches, schlecht ins Preußische übersetztes
Machwerk" und wollte ihn durchaus nicht unterschreiben, obwohl ihm Gerlach
zuredete, es sei das mehr eine formale Sache, ,,eine papierne Verfassung," und
da sei die eine so schlecht wie die andre. Er riet wenigstens zu dem Ent¬
würfe Camphansens, aber Brandenburg blieb fest, hielt dem König vor, daß
das alles nur die Konsequenz der Märztage wäre, und am 3. Dezember stand
der Entschluß fest, die Nationalversammlung aufzulösen und die Verfassung
zu vktrvyiren. Beides geschah daun am 5. Dezember. Der König zeigte sich
darüber ,,sehr betrübt," hatte also keineswegs das Gefühl des Siegers, Branden¬
burg dagegen war ,,sehr frisch und hatte guten Mut."

Um dieselbe Zeit drängten die Dinge in Frankfurt zur Entscheidung.
Seitdem dort die Armee gesiegt und Fürst Felix Schwarzenberg das Nuder
ergriffen hatte, trat es immer klarer hervor, daß Österreich an eiuer in Frank¬
furt festgestellten Reichsverfassung weder teilnehmen könne noch wolle, aber
gleichwohl den Anspruch erhebe, daß sich Deutschland nach österreichischen
Bedürfnissen einrichte, also bei einem losen Staatenbunde verharre. Die Pauls¬
kirche zog die Folgerung daraus mit ihrem Beschlusse vom 27. Oktober (8 2
der "Verfassung des Deutschen Reiches" vom 28. März 1849), es dürfe ein
deutsches Land, das mit außerdeutschen Ländern ein gemeinsames Staats¬
oberhaupt habe, mit deu außerdeutschen Gebieten nur durch Personalunion
verbunden sein; sie stellte also an die europäische Großmacht Österreich die
Zumutung, sich in zwei Mittelstaateu aufzulösen, von denen der eine, der


Leopold von Gerlach

Nun Wuchte die neue Frage (Ulf, ob es nicht rätlich sei, die National¬
versammlung, die gegen das neue Ministerium am 3. November geradezu Ver¬
wahrung einlegte, zu vertagen und zu verlegen. Die Camarilla sprach sich
sür beides aus, das Ministerium stimmte bei, wollte aber darüber hinaus die
Versammlung ganz auflösen und auch noch die Verfassung einfach oktroyiren.
Um 5. November war man über die beiden ersten Punkte einig, am 9. kün¬
digte Brandenburg in einer überaus erregten Sitzung, die Gerlach drastisch
schildert, die Vertagung und die Verlegung nach Brandenburg an, am 10. No¬
vember rückte Wrangel in Berlin ein, verhängte den Belagerungszustand und
löste die gesamte Vürgerwehr ans. Mit dieser Maßregel war Gerlach ebenso
wenig einverstanden wie mit der Auflösung der Nationalversammlung; selbst
der König wollte von einer solchen nichts hören, sagte aber dann in seiner
sonderbaren Resignation, er wolle sich in nichts mischen, er liege jetzt auf der
Bärenhaut. Gerlach hielt ebenfalls an seinem Standpunkte grundsätzlich fest
und wollte höchstens ein Wahlgesetz, aber nicht die Verfassung oktrohirt wissen.
Da jedoch die Minister fest blieben und der König nicht mit ihnen brechen
wollte, so übersandte Brandenburg den Bcrfassnngsentwurf, wesentlich in der
Gestalt, wie ihn die Versammlung festgestellt hatte. „Das hätte ich Branden¬
burg nicht zugetraut!" ruft Gerlach bekümmert aus; der König aber war außer
sich, nannte den Entwurf ,,ein belgisches, schlecht ins Preußische übersetztes
Machwerk" und wollte ihn durchaus nicht unterschreiben, obwohl ihm Gerlach
zuredete, es sei das mehr eine formale Sache, ,,eine papierne Verfassung," und
da sei die eine so schlecht wie die andre. Er riet wenigstens zu dem Ent¬
würfe Camphansens, aber Brandenburg blieb fest, hielt dem König vor, daß
das alles nur die Konsequenz der Märztage wäre, und am 3. Dezember stand
der Entschluß fest, die Nationalversammlung aufzulösen und die Verfassung
zu vktrvyiren. Beides geschah daun am 5. Dezember. Der König zeigte sich
darüber ,,sehr betrübt," hatte also keineswegs das Gefühl des Siegers, Branden¬
burg dagegen war ,,sehr frisch und hatte guten Mut."

Um dieselbe Zeit drängten die Dinge in Frankfurt zur Entscheidung.
Seitdem dort die Armee gesiegt und Fürst Felix Schwarzenberg das Nuder
ergriffen hatte, trat es immer klarer hervor, daß Österreich an eiuer in Frank¬
furt festgestellten Reichsverfassung weder teilnehmen könne noch wolle, aber
gleichwohl den Anspruch erhebe, daß sich Deutschland nach österreichischen
Bedürfnissen einrichte, also bei einem losen Staatenbunde verharre. Die Pauls¬
kirche zog die Folgerung daraus mit ihrem Beschlusse vom 27. Oktober (8 2
der „Verfassung des Deutschen Reiches" vom 28. März 1849), es dürfe ein
deutsches Land, das mit außerdeutschen Ländern ein gemeinsames Staats¬
oberhaupt habe, mit deu außerdeutschen Gebieten nur durch Personalunion
verbunden sein; sie stellte also an die europäische Großmacht Österreich die
Zumutung, sich in zwei Mittelstaateu aufzulösen, von denen der eine, der


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[0634] Leopold von Gerlach Nun Wuchte die neue Frage (Ulf, ob es nicht rätlich sei, die National¬ versammlung, die gegen das neue Ministerium am 3. November geradezu Ver¬ wahrung einlegte, zu vertagen und zu verlegen. Die Camarilla sprach sich sür beides aus, das Ministerium stimmte bei, wollte aber darüber hinaus die Versammlung ganz auflösen und auch noch die Verfassung einfach oktroyiren. Um 5. November war man über die beiden ersten Punkte einig, am 9. kün¬ digte Brandenburg in einer überaus erregten Sitzung, die Gerlach drastisch schildert, die Vertagung und die Verlegung nach Brandenburg an, am 10. No¬ vember rückte Wrangel in Berlin ein, verhängte den Belagerungszustand und löste die gesamte Vürgerwehr ans. Mit dieser Maßregel war Gerlach ebenso wenig einverstanden wie mit der Auflösung der Nationalversammlung; selbst der König wollte von einer solchen nichts hören, sagte aber dann in seiner sonderbaren Resignation, er wolle sich in nichts mischen, er liege jetzt auf der Bärenhaut. Gerlach hielt ebenfalls an seinem Standpunkte grundsätzlich fest und wollte höchstens ein Wahlgesetz, aber nicht die Verfassung oktrohirt wissen. Da jedoch die Minister fest blieben und der König nicht mit ihnen brechen wollte, so übersandte Brandenburg den Bcrfassnngsentwurf, wesentlich in der Gestalt, wie ihn die Versammlung festgestellt hatte. „Das hätte ich Branden¬ burg nicht zugetraut!" ruft Gerlach bekümmert aus; der König aber war außer sich, nannte den Entwurf ,,ein belgisches, schlecht ins Preußische übersetztes Machwerk" und wollte ihn durchaus nicht unterschreiben, obwohl ihm Gerlach zuredete, es sei das mehr eine formale Sache, ,,eine papierne Verfassung," und da sei die eine so schlecht wie die andre. Er riet wenigstens zu dem Ent¬ würfe Camphansens, aber Brandenburg blieb fest, hielt dem König vor, daß das alles nur die Konsequenz der Märztage wäre, und am 3. Dezember stand der Entschluß fest, die Nationalversammlung aufzulösen und die Verfassung zu vktrvyiren. Beides geschah daun am 5. Dezember. Der König zeigte sich darüber ,,sehr betrübt," hatte also keineswegs das Gefühl des Siegers, Branden¬ burg dagegen war ,,sehr frisch und hatte guten Mut." Um dieselbe Zeit drängten die Dinge in Frankfurt zur Entscheidung. Seitdem dort die Armee gesiegt und Fürst Felix Schwarzenberg das Nuder ergriffen hatte, trat es immer klarer hervor, daß Österreich an eiuer in Frank¬ furt festgestellten Reichsverfassung weder teilnehmen könne noch wolle, aber gleichwohl den Anspruch erhebe, daß sich Deutschland nach österreichischen Bedürfnissen einrichte, also bei einem losen Staatenbunde verharre. Die Pauls¬ kirche zog die Folgerung daraus mit ihrem Beschlusse vom 27. Oktober (8 2 der „Verfassung des Deutschen Reiches" vom 28. März 1849), es dürfe ein deutsches Land, das mit außerdeutschen Ländern ein gemeinsames Staats¬ oberhaupt habe, mit deu außerdeutschen Gebieten nur durch Personalunion verbunden sein; sie stellte also an die europäische Großmacht Österreich die Zumutung, sich in zwei Mittelstaateu aufzulösen, von denen der eine, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/634>, abgerufen am 26.06.2024.