Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Leopold von Gerlach

Ministerium Pfuel der Nationalversammlung gegenüber bald ebenso schwach
und nachgiebig erwies, wie die Märzminister, indem es den Antrag, die Todes¬
strafe abzuschaffen, den der König als einen Eingriff in seine besondern Ge¬
rechtsame und als einen Angriff auf die göttliche Ordnung ansah, nicht ent¬
schieden genug zurückwies, trat die entscheidende Wendung el", und Gerlach
beförderte sie uach Kräften. Auf seinen am 6. Oktober wiederholten Rat sandte
ihn der König sofort nach Breslau, um mit dem Grafen Brandenburg wegen
Übernahme des Ministeriums zu verhandeln. Brandenburg, dessen "einfachen
praktischen tous ssns" Gerlach gegen den König rühmte, nahm nur zögernd
"in Ermangelung eines Bessern" den Auftrag an, wollte aber noch bis zum
Geburtstage des Königs (15. Oktober) in Breslau bleiben. Der Monarch
geriet jedoch in immer größere Aufregung über seine Minister, da sie ihm
drohten, ihre Entlassung zu nehmen, wenn er die Aufhebung der Todesstrafe
nicht genehmigte, und wies das Zureden des Hofpredigers Strauß mit deu
scharfen Worten ab: "Ich weiß auch ohne Pfaffen, was meine Pflicht ist."
Er beschloß deshalb um 11. Oktober, Brandenburg sofort zu berufen, und
sandte Gerlach abermals zu ihm. Aber die Camcirillu war gespalten. Rauch
redete dem König zu, nachzugeben, während beide Gerlach entschieden davon
abrieten. Sie wurden unterstützt durch die Verschärfung des Konflikts mit der
Nationalversammlung, die aus dem königlichen Titel das ,,von Gottes Gnaden"
strich und damit den Monarchen persönlich aufs tiefste verletzte. Es bedurfte
jetzt kaum der Bemerkung Ludwig Gerlachs, es komme darauf an, festzu¬
stellen, ob der König oder die Nationalversammlung Herr im Lande sei; er
wies jenen Beschluß am 15. Oktober gegenüber der Abordnung, die ihm zum
Geburtstage ihre Glückwünsche überbrachte, was die Minister, beiläufig be¬
merkt, unterließen, aufs schärfste zurück und veranlaßte dadurch das Ministe¬
rium, seine Entlassung zu fordern. Am 17. Oktober empfing er den Grafen
Brandenburg in Sanssouci und bevollmächtigte ihn auf seine Bitte, mit den
Ministern zu unterhandeln, um den einen oder andern zum Bleiben zu be¬
wegen; nnr Pfuel sollte ans jeden Fall gehen. Wenige Tage später wollte
der Graf "fast verzweifelnd" seinen Auftrag zurückgeben, indes Gerlnch hielt
ihn fest, schrieb ihm am 21. Oktober die bezeichnenden Worte: "Der Versuch,
der Revolution Energie entgegenzustellen, ist noch nicht gemacht worden," und
der König unterzeichnete an demselben Tage das Entlassungsdekret für Pfuel.
Da auch vier andre Minister als Bedingung ihres Bleibens die Forderung
stellte", der König möge den Grundsatz anerkennen, daß er nicht das Recht
und die Macht habe, einem von der Nationalversammlung beschlossenen Ge¬
setze die Bestätigung zu verweigern, so riet ihm die Camarillu einmütig, die
Minister zu entlassen. Die eben eintreffenden Nachrichten von der bevor¬
stehenden Niederwerfung des Aufstandes in Wien wirkten ermutigend, und am
ZI. Oktober wär das Ministerium Brandenburg fertig.


Leopold von Gerlach

Ministerium Pfuel der Nationalversammlung gegenüber bald ebenso schwach
und nachgiebig erwies, wie die Märzminister, indem es den Antrag, die Todes¬
strafe abzuschaffen, den der König als einen Eingriff in seine besondern Ge¬
rechtsame und als einen Angriff auf die göttliche Ordnung ansah, nicht ent¬
schieden genug zurückwies, trat die entscheidende Wendung el», und Gerlach
beförderte sie uach Kräften. Auf seinen am 6. Oktober wiederholten Rat sandte
ihn der König sofort nach Breslau, um mit dem Grafen Brandenburg wegen
Übernahme des Ministeriums zu verhandeln. Brandenburg, dessen „einfachen
praktischen tous ssns" Gerlach gegen den König rühmte, nahm nur zögernd
„in Ermangelung eines Bessern" den Auftrag an, wollte aber noch bis zum
Geburtstage des Königs (15. Oktober) in Breslau bleiben. Der Monarch
geriet jedoch in immer größere Aufregung über seine Minister, da sie ihm
drohten, ihre Entlassung zu nehmen, wenn er die Aufhebung der Todesstrafe
nicht genehmigte, und wies das Zureden des Hofpredigers Strauß mit deu
scharfen Worten ab: „Ich weiß auch ohne Pfaffen, was meine Pflicht ist."
Er beschloß deshalb um 11. Oktober, Brandenburg sofort zu berufen, und
sandte Gerlach abermals zu ihm. Aber die Camcirillu war gespalten. Rauch
redete dem König zu, nachzugeben, während beide Gerlach entschieden davon
abrieten. Sie wurden unterstützt durch die Verschärfung des Konflikts mit der
Nationalversammlung, die aus dem königlichen Titel das ,,von Gottes Gnaden"
strich und damit den Monarchen persönlich aufs tiefste verletzte. Es bedurfte
jetzt kaum der Bemerkung Ludwig Gerlachs, es komme darauf an, festzu¬
stellen, ob der König oder die Nationalversammlung Herr im Lande sei; er
wies jenen Beschluß am 15. Oktober gegenüber der Abordnung, die ihm zum
Geburtstage ihre Glückwünsche überbrachte, was die Minister, beiläufig be¬
merkt, unterließen, aufs schärfste zurück und veranlaßte dadurch das Ministe¬
rium, seine Entlassung zu fordern. Am 17. Oktober empfing er den Grafen
Brandenburg in Sanssouci und bevollmächtigte ihn auf seine Bitte, mit den
Ministern zu unterhandeln, um den einen oder andern zum Bleiben zu be¬
wegen; nnr Pfuel sollte ans jeden Fall gehen. Wenige Tage später wollte
der Graf „fast verzweifelnd" seinen Auftrag zurückgeben, indes Gerlnch hielt
ihn fest, schrieb ihm am 21. Oktober die bezeichnenden Worte: „Der Versuch,
der Revolution Energie entgegenzustellen, ist noch nicht gemacht worden," und
der König unterzeichnete an demselben Tage das Entlassungsdekret für Pfuel.
Da auch vier andre Minister als Bedingung ihres Bleibens die Forderung
stellte», der König möge den Grundsatz anerkennen, daß er nicht das Recht
und die Macht habe, einem von der Nationalversammlung beschlossenen Ge¬
setze die Bestätigung zu verweigern, so riet ihm die Camarillu einmütig, die
Minister zu entlassen. Die eben eintreffenden Nachrichten von der bevor¬
stehenden Niederwerfung des Aufstandes in Wien wirkten ermutigend, und am
ZI. Oktober wär das Ministerium Brandenburg fertig.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0633" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214425"/>
          <fw type="header" place="top"> Leopold von Gerlach</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2270" prev="#ID_2269"> Ministerium Pfuel der Nationalversammlung gegenüber bald ebenso schwach<lb/>
und nachgiebig erwies, wie die Märzminister, indem es den Antrag, die Todes¬<lb/>
strafe abzuschaffen, den der König als einen Eingriff in seine besondern Ge¬<lb/>
rechtsame und als einen Angriff auf die göttliche Ordnung ansah, nicht ent¬<lb/>
schieden genug zurückwies, trat die entscheidende Wendung el», und Gerlach<lb/>
beförderte sie uach Kräften. Auf seinen am 6. Oktober wiederholten Rat sandte<lb/>
ihn der König sofort nach Breslau, um mit dem Grafen Brandenburg wegen<lb/>
Übernahme des Ministeriums zu verhandeln. Brandenburg, dessen &#x201E;einfachen<lb/>
praktischen tous ssns" Gerlach gegen den König rühmte, nahm nur zögernd<lb/>
&#x201E;in Ermangelung eines Bessern" den Auftrag an, wollte aber noch bis zum<lb/>
Geburtstage des Königs (15. Oktober) in Breslau bleiben. Der Monarch<lb/>
geriet jedoch in immer größere Aufregung über seine Minister, da sie ihm<lb/>
drohten, ihre Entlassung zu nehmen, wenn er die Aufhebung der Todesstrafe<lb/>
nicht genehmigte, und wies das Zureden des Hofpredigers Strauß mit deu<lb/>
scharfen Worten ab: &#x201E;Ich weiß auch ohne Pfaffen, was meine Pflicht ist."<lb/>
Er beschloß deshalb um 11. Oktober, Brandenburg sofort zu berufen, und<lb/>
sandte Gerlach abermals zu ihm. Aber die Camcirillu war gespalten. Rauch<lb/>
redete dem König zu, nachzugeben, während beide Gerlach entschieden davon<lb/>
abrieten. Sie wurden unterstützt durch die Verschärfung des Konflikts mit der<lb/>
Nationalversammlung, die aus dem königlichen Titel das ,,von Gottes Gnaden"<lb/>
strich und damit den Monarchen persönlich aufs tiefste verletzte. Es bedurfte<lb/>
jetzt kaum der Bemerkung Ludwig Gerlachs, es komme darauf an, festzu¬<lb/>
stellen, ob der König oder die Nationalversammlung Herr im Lande sei; er<lb/>
wies jenen Beschluß am 15. Oktober gegenüber der Abordnung, die ihm zum<lb/>
Geburtstage ihre Glückwünsche überbrachte, was die Minister, beiläufig be¬<lb/>
merkt, unterließen, aufs schärfste zurück und veranlaßte dadurch das Ministe¬<lb/>
rium, seine Entlassung zu fordern. Am 17. Oktober empfing er den Grafen<lb/>
Brandenburg in Sanssouci und bevollmächtigte ihn auf seine Bitte, mit den<lb/>
Ministern zu unterhandeln, um den einen oder andern zum Bleiben zu be¬<lb/>
wegen; nnr Pfuel sollte ans jeden Fall gehen. Wenige Tage später wollte<lb/>
der Graf &#x201E;fast verzweifelnd" seinen Auftrag zurückgeben, indes Gerlnch hielt<lb/>
ihn fest, schrieb ihm am 21. Oktober die bezeichnenden Worte: &#x201E;Der Versuch,<lb/>
der Revolution Energie entgegenzustellen, ist noch nicht gemacht worden," und<lb/>
der König unterzeichnete an demselben Tage das Entlassungsdekret für Pfuel.<lb/>
Da auch vier andre Minister als Bedingung ihres Bleibens die Forderung<lb/>
stellte», der König möge den Grundsatz anerkennen, daß er nicht das Recht<lb/>
und die Macht habe, einem von der Nationalversammlung beschlossenen Ge¬<lb/>
setze die Bestätigung zu verweigern, so riet ihm die Camarillu einmütig, die<lb/>
Minister zu entlassen. Die eben eintreffenden Nachrichten von der bevor¬<lb/>
stehenden Niederwerfung des Aufstandes in Wien wirkten ermutigend, und am<lb/>
ZI. Oktober wär das Ministerium Brandenburg fertig.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0633] Leopold von Gerlach Ministerium Pfuel der Nationalversammlung gegenüber bald ebenso schwach und nachgiebig erwies, wie die Märzminister, indem es den Antrag, die Todes¬ strafe abzuschaffen, den der König als einen Eingriff in seine besondern Ge¬ rechtsame und als einen Angriff auf die göttliche Ordnung ansah, nicht ent¬ schieden genug zurückwies, trat die entscheidende Wendung el», und Gerlach beförderte sie uach Kräften. Auf seinen am 6. Oktober wiederholten Rat sandte ihn der König sofort nach Breslau, um mit dem Grafen Brandenburg wegen Übernahme des Ministeriums zu verhandeln. Brandenburg, dessen „einfachen praktischen tous ssns" Gerlach gegen den König rühmte, nahm nur zögernd „in Ermangelung eines Bessern" den Auftrag an, wollte aber noch bis zum Geburtstage des Königs (15. Oktober) in Breslau bleiben. Der Monarch geriet jedoch in immer größere Aufregung über seine Minister, da sie ihm drohten, ihre Entlassung zu nehmen, wenn er die Aufhebung der Todesstrafe nicht genehmigte, und wies das Zureden des Hofpredigers Strauß mit deu scharfen Worten ab: „Ich weiß auch ohne Pfaffen, was meine Pflicht ist." Er beschloß deshalb um 11. Oktober, Brandenburg sofort zu berufen, und sandte Gerlach abermals zu ihm. Aber die Camcirillu war gespalten. Rauch redete dem König zu, nachzugeben, während beide Gerlach entschieden davon abrieten. Sie wurden unterstützt durch die Verschärfung des Konflikts mit der Nationalversammlung, die aus dem königlichen Titel das ,,von Gottes Gnaden" strich und damit den Monarchen persönlich aufs tiefste verletzte. Es bedurfte jetzt kaum der Bemerkung Ludwig Gerlachs, es komme darauf an, festzu¬ stellen, ob der König oder die Nationalversammlung Herr im Lande sei; er wies jenen Beschluß am 15. Oktober gegenüber der Abordnung, die ihm zum Geburtstage ihre Glückwünsche überbrachte, was die Minister, beiläufig be¬ merkt, unterließen, aufs schärfste zurück und veranlaßte dadurch das Ministe¬ rium, seine Entlassung zu fordern. Am 17. Oktober empfing er den Grafen Brandenburg in Sanssouci und bevollmächtigte ihn auf seine Bitte, mit den Ministern zu unterhandeln, um den einen oder andern zum Bleiben zu be¬ wegen; nnr Pfuel sollte ans jeden Fall gehen. Wenige Tage später wollte der Graf „fast verzweifelnd" seinen Auftrag zurückgeben, indes Gerlnch hielt ihn fest, schrieb ihm am 21. Oktober die bezeichnenden Worte: „Der Versuch, der Revolution Energie entgegenzustellen, ist noch nicht gemacht worden," und der König unterzeichnete an demselben Tage das Entlassungsdekret für Pfuel. Da auch vier andre Minister als Bedingung ihres Bleibens die Forderung stellte», der König möge den Grundsatz anerkennen, daß er nicht das Recht und die Macht habe, einem von der Nationalversammlung beschlossenen Ge¬ setze die Bestätigung zu verweigern, so riet ihm die Camarillu einmütig, die Minister zu entlassen. Die eben eintreffenden Nachrichten von der bevor¬ stehenden Niederwerfung des Aufstandes in Wien wirkten ermutigend, und am ZI. Oktober wär das Ministerium Brandenburg fertig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/633
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/633>, abgerufen am 26.06.2024.