Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ivedcr Aommuuismus noch Acipilalisnuis

beimißt: "Alle Hutmacher wissen, daß die kleinsten Köpfe den Arbeitern und
Handlangern angehöre", die Maurer im besondern haben den Kopf so klein,
daß man in Paris von einem kleinköpfigen Individuum sprichwörtlich sagt:
it a. uns tot,ö cle> ita<)on. Daher auch die Hutmacher in den Arbeiterquartieren
nnr kleine Hüte auf Lager haben (52--53 om). Umgekehrt die Hnthändler
lin Schuleuqunrtier brauchen große Hüte (58--K0 on)." Hat nicht Kant eine"
ungewöhnlich kleinen Schädel gehabt? Und sind denn die Pariser Maurer eine
geschlossene Kaste? Und würde sich nicht manches Proletariers Schädel stärker
entwickelt haben, wenn er, anstatt mit zwölf Jahren auf Handlangerarbeit zu
gehen, auf Schulen gegangen wäre? Zufällig hat der Schreiber dieser Zeilen
in früherer Zeit mehrfach mit Ballhandwerkern zu thu" gehabt und ein paar
Maurerpoliere kennen gelernt, die in Fällen, wo der Regieruugsbaumcister mit
seinem Latein zu Ende war, noch ganz vortrefflich Rat wußten. Auf unser
Befragen haben uns Hutmacher versichert, daß sie zwischen dem vornehmen
und dem geringen Stande keinen Unterschied fänden, in beiden kämen große
wie kleine Köpfe vor.

Mit Wolf bezweifeln anch wir die Nichtigkeit der Ansicht Ratzels, daß
"der Begriff Naturvölker nichts Anthropologisches, nichts Auatomisch-Physiv-
lvgisches in sich habe, sondern ein rein ethnographischer, ein Knlturbegriff"
sei, "ud "daß Völker von jeder Rasse, voll jedem Grade natürlicher Ausstattung
entweder noch nicht zur Kultur fortgeschritten oder in der Kultur zurückgegangen
sein können." Aber wenn wir dieser Auffassung gemäß glauben, daß unser
Volk, das deutsche, zu höhern Leistungen als alle übrigen, ja zu den höchsten
befähigt sei, dann ist es doch die ärgste Versündigung an der Natur, daß
zwei Drittel dieses edeln, hochbegabten Volks in der Armut der Wilden
schmachten, denn fünfhundert bis sechshundert Mark Familieneinkvmmen ge¬
währen in Deutschland noch gar nicht einmal den Grad von Lebensgenuß,
dessen sich der Wilde erfreut. Oder gehen vielleicht dem Deutschen dadurch,
daß er in einer Tagelvhncrfamilie geboren wird, die anatomisch-physiologischen
Eigenschaften seiner Rasse verloren? Wenn aus der natürlichen Ungleichheit
der Nassen eine Folgerung für die Gestaltung der Gesellschaft gezogen werden
soll, so kaun es doch nur die sein, die vormals die Griechen, später unsre
eignen Vorfahren und überhaupt alle herrschenden Völker gezogen haben,
daß wir Deutschen zur schöpferischen und dispositiven Arbeit berufen, die
uuterworfuen oder zu unterwerfenden Barbaren aber zur exekutiven vorher¬
bestimmt seien, demnach also unsre Sklaven sein müßten, im Herrschervolke
selbst aber so ungeheuerliche Ungleichheiten der Berufsarbeit und des Ein¬
kommens nicht geduldet werden dürften.

Noch unhaltbarer ist der Hinweis eines andern Gegners der Sozial¬
demokratie auf die Verschiedenheit der Tiergeschlechter. Ein solcher Unterschied,
daß die eine Gattung vou Geschöpfen zum Genuß, die andre zum Leiden und


Ivedcr Aommuuismus noch Acipilalisnuis

beimißt: „Alle Hutmacher wissen, daß die kleinsten Köpfe den Arbeitern und
Handlangern angehöre», die Maurer im besondern haben den Kopf so klein,
daß man in Paris von einem kleinköpfigen Individuum sprichwörtlich sagt:
it a. uns tot,ö cle> ita<)on. Daher auch die Hutmacher in den Arbeiterquartieren
nnr kleine Hüte auf Lager haben (52—53 om). Umgekehrt die Hnthändler
lin Schuleuqunrtier brauchen große Hüte (58—K0 on)." Hat nicht Kant eine»
ungewöhnlich kleinen Schädel gehabt? Und sind denn die Pariser Maurer eine
geschlossene Kaste? Und würde sich nicht manches Proletariers Schädel stärker
entwickelt haben, wenn er, anstatt mit zwölf Jahren auf Handlangerarbeit zu
gehen, auf Schulen gegangen wäre? Zufällig hat der Schreiber dieser Zeilen
in früherer Zeit mehrfach mit Ballhandwerkern zu thu» gehabt und ein paar
Maurerpoliere kennen gelernt, die in Fällen, wo der Regieruugsbaumcister mit
seinem Latein zu Ende war, noch ganz vortrefflich Rat wußten. Auf unser
Befragen haben uns Hutmacher versichert, daß sie zwischen dem vornehmen
und dem geringen Stande keinen Unterschied fänden, in beiden kämen große
wie kleine Köpfe vor.

Mit Wolf bezweifeln anch wir die Nichtigkeit der Ansicht Ratzels, daß
„der Begriff Naturvölker nichts Anthropologisches, nichts Auatomisch-Physiv-
lvgisches in sich habe, sondern ein rein ethnographischer, ein Knlturbegriff"
sei, »ud „daß Völker von jeder Rasse, voll jedem Grade natürlicher Ausstattung
entweder noch nicht zur Kultur fortgeschritten oder in der Kultur zurückgegangen
sein können." Aber wenn wir dieser Auffassung gemäß glauben, daß unser
Volk, das deutsche, zu höhern Leistungen als alle übrigen, ja zu den höchsten
befähigt sei, dann ist es doch die ärgste Versündigung an der Natur, daß
zwei Drittel dieses edeln, hochbegabten Volks in der Armut der Wilden
schmachten, denn fünfhundert bis sechshundert Mark Familieneinkvmmen ge¬
währen in Deutschland noch gar nicht einmal den Grad von Lebensgenuß,
dessen sich der Wilde erfreut. Oder gehen vielleicht dem Deutschen dadurch,
daß er in einer Tagelvhncrfamilie geboren wird, die anatomisch-physiologischen
Eigenschaften seiner Rasse verloren? Wenn aus der natürlichen Ungleichheit
der Nassen eine Folgerung für die Gestaltung der Gesellschaft gezogen werden
soll, so kaun es doch nur die sein, die vormals die Griechen, später unsre
eignen Vorfahren und überhaupt alle herrschenden Völker gezogen haben,
daß wir Deutschen zur schöpferischen und dispositiven Arbeit berufen, die
uuterworfuen oder zu unterwerfenden Barbaren aber zur exekutiven vorher¬
bestimmt seien, demnach also unsre Sklaven sein müßten, im Herrschervolke
selbst aber so ungeheuerliche Ungleichheiten der Berufsarbeit und des Ein¬
kommens nicht geduldet werden dürften.

Noch unhaltbarer ist der Hinweis eines andern Gegners der Sozial¬
demokratie auf die Verschiedenheit der Tiergeschlechter. Ein solcher Unterschied,
daß die eine Gattung vou Geschöpfen zum Genuß, die andre zum Leiden und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0629" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214421"/>
          <fw type="header" place="top"> Ivedcr Aommuuismus noch Acipilalisnuis</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2260" prev="#ID_2259"> beimißt: &#x201E;Alle Hutmacher wissen, daß die kleinsten Köpfe den Arbeitern und<lb/>
Handlangern angehöre», die Maurer im besondern haben den Kopf so klein,<lb/>
daß man in Paris von einem kleinköpfigen Individuum sprichwörtlich sagt:<lb/>
it a. uns tot,ö cle&gt; ita&lt;)on. Daher auch die Hutmacher in den Arbeiterquartieren<lb/>
nnr kleine Hüte auf Lager haben (52&#x2014;53 om). Umgekehrt die Hnthändler<lb/>
lin Schuleuqunrtier brauchen große Hüte (58&#x2014;K0 on)." Hat nicht Kant eine»<lb/>
ungewöhnlich kleinen Schädel gehabt? Und sind denn die Pariser Maurer eine<lb/>
geschlossene Kaste? Und würde sich nicht manches Proletariers Schädel stärker<lb/>
entwickelt haben, wenn er, anstatt mit zwölf Jahren auf Handlangerarbeit zu<lb/>
gehen, auf Schulen gegangen wäre? Zufällig hat der Schreiber dieser Zeilen<lb/>
in früherer Zeit mehrfach mit Ballhandwerkern zu thu» gehabt und ein paar<lb/>
Maurerpoliere kennen gelernt, die in Fällen, wo der Regieruugsbaumcister mit<lb/>
seinem Latein zu Ende war, noch ganz vortrefflich Rat wußten. Auf unser<lb/>
Befragen haben uns Hutmacher versichert, daß sie zwischen dem vornehmen<lb/>
und dem geringen Stande keinen Unterschied fänden, in beiden kämen große<lb/>
wie kleine Köpfe vor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2261"> Mit Wolf bezweifeln anch wir die Nichtigkeit der Ansicht Ratzels, daß<lb/>
&#x201E;der Begriff Naturvölker nichts Anthropologisches, nichts Auatomisch-Physiv-<lb/>
lvgisches in sich habe, sondern ein rein ethnographischer, ein Knlturbegriff"<lb/>
sei, »ud &#x201E;daß Völker von jeder Rasse, voll jedem Grade natürlicher Ausstattung<lb/>
entweder noch nicht zur Kultur fortgeschritten oder in der Kultur zurückgegangen<lb/>
sein können." Aber wenn wir dieser Auffassung gemäß glauben, daß unser<lb/>
Volk, das deutsche, zu höhern Leistungen als alle übrigen, ja zu den höchsten<lb/>
befähigt sei, dann ist es doch die ärgste Versündigung an der Natur, daß<lb/>
zwei Drittel dieses edeln, hochbegabten Volks in der Armut der Wilden<lb/>
schmachten, denn fünfhundert bis sechshundert Mark Familieneinkvmmen ge¬<lb/>
währen in Deutschland noch gar nicht einmal den Grad von Lebensgenuß,<lb/>
dessen sich der Wilde erfreut. Oder gehen vielleicht dem Deutschen dadurch,<lb/>
daß er in einer Tagelvhncrfamilie geboren wird, die anatomisch-physiologischen<lb/>
Eigenschaften seiner Rasse verloren? Wenn aus der natürlichen Ungleichheit<lb/>
der Nassen eine Folgerung für die Gestaltung der Gesellschaft gezogen werden<lb/>
soll, so kaun es doch nur die sein, die vormals die Griechen, später unsre<lb/>
eignen Vorfahren und überhaupt alle herrschenden Völker gezogen haben,<lb/>
daß wir Deutschen zur schöpferischen und dispositiven Arbeit berufen, die<lb/>
uuterworfuen oder zu unterwerfenden Barbaren aber zur exekutiven vorher¬<lb/>
bestimmt seien, demnach also unsre Sklaven sein müßten, im Herrschervolke<lb/>
selbst aber so ungeheuerliche Ungleichheiten der Berufsarbeit und des Ein¬<lb/>
kommens nicht geduldet werden dürften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2262" next="#ID_2263"> Noch unhaltbarer ist der Hinweis eines andern Gegners der Sozial¬<lb/>
demokratie auf die Verschiedenheit der Tiergeschlechter. Ein solcher Unterschied,<lb/>
daß die eine Gattung vou Geschöpfen zum Genuß, die andre zum Leiden und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0629] Ivedcr Aommuuismus noch Acipilalisnuis beimißt: „Alle Hutmacher wissen, daß die kleinsten Köpfe den Arbeitern und Handlangern angehöre», die Maurer im besondern haben den Kopf so klein, daß man in Paris von einem kleinköpfigen Individuum sprichwörtlich sagt: it a. uns tot,ö cle> ita<)on. Daher auch die Hutmacher in den Arbeiterquartieren nnr kleine Hüte auf Lager haben (52—53 om). Umgekehrt die Hnthändler lin Schuleuqunrtier brauchen große Hüte (58—K0 on)." Hat nicht Kant eine» ungewöhnlich kleinen Schädel gehabt? Und sind denn die Pariser Maurer eine geschlossene Kaste? Und würde sich nicht manches Proletariers Schädel stärker entwickelt haben, wenn er, anstatt mit zwölf Jahren auf Handlangerarbeit zu gehen, auf Schulen gegangen wäre? Zufällig hat der Schreiber dieser Zeilen in früherer Zeit mehrfach mit Ballhandwerkern zu thu» gehabt und ein paar Maurerpoliere kennen gelernt, die in Fällen, wo der Regieruugsbaumcister mit seinem Latein zu Ende war, noch ganz vortrefflich Rat wußten. Auf unser Befragen haben uns Hutmacher versichert, daß sie zwischen dem vornehmen und dem geringen Stande keinen Unterschied fänden, in beiden kämen große wie kleine Köpfe vor. Mit Wolf bezweifeln anch wir die Nichtigkeit der Ansicht Ratzels, daß „der Begriff Naturvölker nichts Anthropologisches, nichts Auatomisch-Physiv- lvgisches in sich habe, sondern ein rein ethnographischer, ein Knlturbegriff" sei, »ud „daß Völker von jeder Rasse, voll jedem Grade natürlicher Ausstattung entweder noch nicht zur Kultur fortgeschritten oder in der Kultur zurückgegangen sein können." Aber wenn wir dieser Auffassung gemäß glauben, daß unser Volk, das deutsche, zu höhern Leistungen als alle übrigen, ja zu den höchsten befähigt sei, dann ist es doch die ärgste Versündigung an der Natur, daß zwei Drittel dieses edeln, hochbegabten Volks in der Armut der Wilden schmachten, denn fünfhundert bis sechshundert Mark Familieneinkvmmen ge¬ währen in Deutschland noch gar nicht einmal den Grad von Lebensgenuß, dessen sich der Wilde erfreut. Oder gehen vielleicht dem Deutschen dadurch, daß er in einer Tagelvhncrfamilie geboren wird, die anatomisch-physiologischen Eigenschaften seiner Rasse verloren? Wenn aus der natürlichen Ungleichheit der Nassen eine Folgerung für die Gestaltung der Gesellschaft gezogen werden soll, so kaun es doch nur die sein, die vormals die Griechen, später unsre eignen Vorfahren und überhaupt alle herrschenden Völker gezogen haben, daß wir Deutschen zur schöpferischen und dispositiven Arbeit berufen, die uuterworfuen oder zu unterwerfenden Barbaren aber zur exekutiven vorher¬ bestimmt seien, demnach also unsre Sklaven sein müßten, im Herrschervolke selbst aber so ungeheuerliche Ungleichheiten der Berufsarbeit und des Ein¬ kommens nicht geduldet werden dürften. Noch unhaltbarer ist der Hinweis eines andern Gegners der Sozial¬ demokratie auf die Verschiedenheit der Tiergeschlechter. Ein solcher Unterschied, daß die eine Gattung vou Geschöpfen zum Genuß, die andre zum Leiden und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/629
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/629>, abgerufen am 26.06.2024.