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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Entbehren in beständiger Dienstbarkeit bestinnnt wäre, findet sich überhaupt
nicht in der Natur. Nicht in den verschiednen Graden des Glücks und des
Genusses, sondern in der verschiednen Organisation liegt aller Unterschied, und
jedes mit Bewußtsein begabte Geschöpf genießt, von Füllen individuellen Un¬
glücks abgesehen, das Glück, wozu es seine Organisation befähigt; demnach ist
der Elefant nicht glücklicher als die Maus, und diese nicht glücklicher als
die Mücke. Sollte dieses Naturgesetz für die Menschheit gelten, so müßten,
persönliches Unglück abgerechnet, alle Menschen das gleiche Glück genießen.
Oder soll der Unterschied der geistig-sittlichen Anlagen und Charaktere, der sich
bei nnserm Geschlecht innerhalb einer im ganzen gleichen leiblichen Organi¬
sation gebildet hat, eine Verschiedenheit in der Ausstattung mit Glücksgütern
begründen, so konnte die Verteilung doch nur folgendermaßen gedacht werden.
Die Kalibans, wie vor einiger Zeit die Arbeiter einmal in einem konservativen
Blatte genannt wurden, jene Kerls, die nach Ansicht der Herrschenden nur
zu gemeiner Arbeit taugen und für andre als sinnliche Genüsse nicht empfäng¬
lich sind, müßten mit den Mitteln ausgestattet werden, sich in einer Fülle
sinnlicher Genüsse zu wälzen, demnach ein sehr bedeutendes Einkommen be¬
ziehen. Jene erhabnen Geistmenschen dagegen, die, wie sie versichern, kein
andres Bedürfnis kennen als die Wahrheit zu ergründen und sich fürs Vater¬
land zu opfern, bedürften außer einem sehr anstrengenden und schwierigen
Amte nichts als eine weißgetünchte Dachstube, eine Bibliothek, notdürftige
Kleidung und ihre tägliche Portion Wasser und Brot. Die in der Mitte
stehenden geistig-leiblichen, die ästhetischen Menschen, dürften etwas reichlichern
Sinnengenuß und außerdem eine schöne Wohnung in schöner Gegend, Musik¬
instrumente und Eintrittskarten zu allen Konzerten, Thcateraufführungen, Kunst¬
sammlungen beanspruchen. ,,Nicht humaner als die Natur" will Wolf sein;
die Natur aber ist so human, jedem Wesen gerade den Lebensgenuß zu ge¬
währen, dessen es fähig ist. Vebels Meinung, bei gleich günstigen Lebens¬
bedingungen würden sich in allen Menschen annähernd gleiche Anlagen in
reichster Fülle entwickeln, halten auch wir für phantastisch, schon aus dem
Grunde, weil sich in vielen Fällen die scheinbar ungünstigsten Bedingungen
als die günstigsten erweisen, und der große Charakter, oft auch das große
Talent sich nur im Widerstande gegen Hindernisse entfaltet. Aber die heu¬
tigen Eiukommeuuuterschiede und die Einkommenlosigkeit von vielen Tausenden
mit dem Gefolge ihrer schrecklichen Leiden auf die Unterschiede der natürlichen
Anlagen gründen wollen, das heißt sich zur aristotelische,, Sklaventheorie be¬
kennen und diese noch verschlechtern.

Endlich könnte man die Notwendigkeit des Massenelends noch damit be¬
gründen wollen, daß es den Armen zum Heroismus des Leidens und der
Selbsthilfe, den Reichen zur Übung der Barmherzigkeit Gelegenheit darbiete.
Allein für beides genügen schon die zahlreichen Fülle des persönlichen Elends,


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Entbehren in beständiger Dienstbarkeit bestinnnt wäre, findet sich überhaupt
nicht in der Natur. Nicht in den verschiednen Graden des Glücks und des
Genusses, sondern in der verschiednen Organisation liegt aller Unterschied, und
jedes mit Bewußtsein begabte Geschöpf genießt, von Füllen individuellen Un¬
glücks abgesehen, das Glück, wozu es seine Organisation befähigt; demnach ist
der Elefant nicht glücklicher als die Maus, und diese nicht glücklicher als
die Mücke. Sollte dieses Naturgesetz für die Menschheit gelten, so müßten,
persönliches Unglück abgerechnet, alle Menschen das gleiche Glück genießen.
Oder soll der Unterschied der geistig-sittlichen Anlagen und Charaktere, der sich
bei nnserm Geschlecht innerhalb einer im ganzen gleichen leiblichen Organi¬
sation gebildet hat, eine Verschiedenheit in der Ausstattung mit Glücksgütern
begründen, so konnte die Verteilung doch nur folgendermaßen gedacht werden.
Die Kalibans, wie vor einiger Zeit die Arbeiter einmal in einem konservativen
Blatte genannt wurden, jene Kerls, die nach Ansicht der Herrschenden nur
zu gemeiner Arbeit taugen und für andre als sinnliche Genüsse nicht empfäng¬
lich sind, müßten mit den Mitteln ausgestattet werden, sich in einer Fülle
sinnlicher Genüsse zu wälzen, demnach ein sehr bedeutendes Einkommen be¬
ziehen. Jene erhabnen Geistmenschen dagegen, die, wie sie versichern, kein
andres Bedürfnis kennen als die Wahrheit zu ergründen und sich fürs Vater¬
land zu opfern, bedürften außer einem sehr anstrengenden und schwierigen
Amte nichts als eine weißgetünchte Dachstube, eine Bibliothek, notdürftige
Kleidung und ihre tägliche Portion Wasser und Brot. Die in der Mitte
stehenden geistig-leiblichen, die ästhetischen Menschen, dürften etwas reichlichern
Sinnengenuß und außerdem eine schöne Wohnung in schöner Gegend, Musik¬
instrumente und Eintrittskarten zu allen Konzerten, Thcateraufführungen, Kunst¬
sammlungen beanspruchen. ,,Nicht humaner als die Natur" will Wolf sein;
die Natur aber ist so human, jedem Wesen gerade den Lebensgenuß zu ge¬
währen, dessen es fähig ist. Vebels Meinung, bei gleich günstigen Lebens¬
bedingungen würden sich in allen Menschen annähernd gleiche Anlagen in
reichster Fülle entwickeln, halten auch wir für phantastisch, schon aus dem
Grunde, weil sich in vielen Fällen die scheinbar ungünstigsten Bedingungen
als die günstigsten erweisen, und der große Charakter, oft auch das große
Talent sich nur im Widerstande gegen Hindernisse entfaltet. Aber die heu¬
tigen Eiukommeuuuterschiede und die Einkommenlosigkeit von vielen Tausenden
mit dem Gefolge ihrer schrecklichen Leiden auf die Unterschiede der natürlichen
Anlagen gründen wollen, das heißt sich zur aristotelische,, Sklaventheorie be¬
kennen und diese noch verschlechtern.

Endlich könnte man die Notwendigkeit des Massenelends noch damit be¬
gründen wollen, daß es den Armen zum Heroismus des Leidens und der
Selbsthilfe, den Reichen zur Übung der Barmherzigkeit Gelegenheit darbiete.
Allein für beides genügen schon die zahlreichen Fülle des persönlichen Elends,


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[0630] Zveder Aoininunisinus noch i<tipita>is>n»s Entbehren in beständiger Dienstbarkeit bestinnnt wäre, findet sich überhaupt nicht in der Natur. Nicht in den verschiednen Graden des Glücks und des Genusses, sondern in der verschiednen Organisation liegt aller Unterschied, und jedes mit Bewußtsein begabte Geschöpf genießt, von Füllen individuellen Un¬ glücks abgesehen, das Glück, wozu es seine Organisation befähigt; demnach ist der Elefant nicht glücklicher als die Maus, und diese nicht glücklicher als die Mücke. Sollte dieses Naturgesetz für die Menschheit gelten, so müßten, persönliches Unglück abgerechnet, alle Menschen das gleiche Glück genießen. Oder soll der Unterschied der geistig-sittlichen Anlagen und Charaktere, der sich bei nnserm Geschlecht innerhalb einer im ganzen gleichen leiblichen Organi¬ sation gebildet hat, eine Verschiedenheit in der Ausstattung mit Glücksgütern begründen, so konnte die Verteilung doch nur folgendermaßen gedacht werden. Die Kalibans, wie vor einiger Zeit die Arbeiter einmal in einem konservativen Blatte genannt wurden, jene Kerls, die nach Ansicht der Herrschenden nur zu gemeiner Arbeit taugen und für andre als sinnliche Genüsse nicht empfäng¬ lich sind, müßten mit den Mitteln ausgestattet werden, sich in einer Fülle sinnlicher Genüsse zu wälzen, demnach ein sehr bedeutendes Einkommen be¬ ziehen. Jene erhabnen Geistmenschen dagegen, die, wie sie versichern, kein andres Bedürfnis kennen als die Wahrheit zu ergründen und sich fürs Vater¬ land zu opfern, bedürften außer einem sehr anstrengenden und schwierigen Amte nichts als eine weißgetünchte Dachstube, eine Bibliothek, notdürftige Kleidung und ihre tägliche Portion Wasser und Brot. Die in der Mitte stehenden geistig-leiblichen, die ästhetischen Menschen, dürften etwas reichlichern Sinnengenuß und außerdem eine schöne Wohnung in schöner Gegend, Musik¬ instrumente und Eintrittskarten zu allen Konzerten, Thcateraufführungen, Kunst¬ sammlungen beanspruchen. ,,Nicht humaner als die Natur" will Wolf sein; die Natur aber ist so human, jedem Wesen gerade den Lebensgenuß zu ge¬ währen, dessen es fähig ist. Vebels Meinung, bei gleich günstigen Lebens¬ bedingungen würden sich in allen Menschen annähernd gleiche Anlagen in reichster Fülle entwickeln, halten auch wir für phantastisch, schon aus dem Grunde, weil sich in vielen Fällen die scheinbar ungünstigsten Bedingungen als die günstigsten erweisen, und der große Charakter, oft auch das große Talent sich nur im Widerstande gegen Hindernisse entfaltet. Aber die heu¬ tigen Eiukommeuuuterschiede und die Einkommenlosigkeit von vielen Tausenden mit dem Gefolge ihrer schrecklichen Leiden auf die Unterschiede der natürlichen Anlagen gründen wollen, das heißt sich zur aristotelische,, Sklaventheorie be¬ kennen und diese noch verschlechtern. Endlich könnte man die Notwendigkeit des Massenelends noch damit be¬ gründen wollen, daß es den Armen zum Heroismus des Leidens und der Selbsthilfe, den Reichen zur Übung der Barmherzigkeit Gelegenheit darbiete. Allein für beides genügen schon die zahlreichen Fülle des persönlichen Elends,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/630>, abgerufen am 26.06.2024.