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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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wendet wird, die Geld bringen, und ihrer dispositiven wird der Erfolg, das
heißt wiederum der Geldverdienst, weit mehr dnrch die Energie gewissenloser
Ausbeutung als durch die Energie eigentlicher Arbeit gesichert. Eben darum
hat der vornehme Engländer Erfolg, weil er sich nicht zum Arbeitstier und
zum Sklaven der Pflicht macht, sondern den Blick und die Zeit frei halt,
umherzuspähen auf dem Erdenrund, wo irgend ein Gewinn zu ergattern sei,
und weil ihm keinerlei Gcwisseusbedeukeu noch pedantische Gewohnheiten deu
Entschluß, im rechten Augenblick zuzugreifen, verzögern noch die brutale Aus¬
führung behindern. Holtzendorff erzählt in dem schon erwähnten Schriftchen,
er habe seinem Sauire den scherzhaften Wunsch ausgesprochen, die Engländer
möchten uns ein Stümmchcn Squiresöhne ablassen, daß nur sie in unsern
Schulen erziehen und mit diesem lebenskräftigen Element unser durch büreau-
kratischen Mechanismus träge gewordnes Blut auffrische" könnten; der Squire
aber habe geantwortet, das würde uns nichts nützen, denn in deutschen Schulen
hielten es englische Jungen nicht aus, sie würden alle fortlaufen. Auch dem
Produkte nach kann die englische Arbeit nicht als hvchststeheude bezeichnet werden.
In Ackerbau und Viehzucht, es ist wahr, sind die Engländer den übrigen Nationen
eine Zeit laug vorangegangen; aber da sich ihre Reichen auf andre Weise mehr
zu "verdienen" wußten, so haben sie diesen wichtigsten aller Produktionszweige
mehr und mehr eingeschränkt und sind bis hinter die Weisheit des Euripides
zurückgegangen, der im Orestes einen der Ältesten von Argos mit den Worten
loben läßt:


Die Stadt besucht er selten und des Marktes Nund,
Sein Feld bestellend, was allein das Land erhält.

Ein Engländer, es ist wahr, hat uns die verbesserte Dampfmaschine gegeben,
aber nachdem der Franzose Papin die Maschine selbst hergestellt und den Dumpf
als bewegende Kraft in die Welt eingeführt hatte, war die Verbesserung nur
eine Frage der Zeit, und hätte sie Watt nicht erfunden, so würde ein andrer,
vielleicht ein Deutscher oder ein Amerikaner, darauf verfallen sein. Die Jn-
dustrieprodukte Englands aber sind Erzeugnisse nicht der höchststehenden, sondern
der am niedrigsten stehenden Arbeit, rein mechanischer Arbeit, an denen Geist,
Phantasie, Kunstfertigkeit und guter Geschmack keinen Anteil haben, und indem
dieses Volk mit den ungeheuern Massen seiner rohen Maschincnware die ge¬
schickte Hand, die künstlerische Phantasie und den guten Geschmack außer Thätig¬
keit setzte, hat es die echte und wahre Kultur zurückgeschraubt. Nicht die
Menschheit mit neue" Kulturgütern zu beschenken, sondern zur Erzielung eines
höhern Geldgewinnes einen Teil der alten Kulturgüter zu verdrängen, war
Ziel und Erfolg der englischen Arbeit. Die hervorragende Stellung der Eng¬
länder in der Weltwirtschaft besteht nicht darin, daß sie mehr Güter lieferten
als andre Völker, sondern daß sie ander" Völkern mehr Güter auspressen; sie
sind weit mehr Schmarotzer als Produzenten. Wer die Arbeit nach dieser


Grenzboten I 1893 78
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wendet wird, die Geld bringen, und ihrer dispositiven wird der Erfolg, das
heißt wiederum der Geldverdienst, weit mehr dnrch die Energie gewissenloser
Ausbeutung als durch die Energie eigentlicher Arbeit gesichert. Eben darum
hat der vornehme Engländer Erfolg, weil er sich nicht zum Arbeitstier und
zum Sklaven der Pflicht macht, sondern den Blick und die Zeit frei halt,
umherzuspähen auf dem Erdenrund, wo irgend ein Gewinn zu ergattern sei,
und weil ihm keinerlei Gcwisseusbedeukeu noch pedantische Gewohnheiten deu
Entschluß, im rechten Augenblick zuzugreifen, verzögern noch die brutale Aus¬
führung behindern. Holtzendorff erzählt in dem schon erwähnten Schriftchen,
er habe seinem Sauire den scherzhaften Wunsch ausgesprochen, die Engländer
möchten uns ein Stümmchcn Squiresöhne ablassen, daß nur sie in unsern
Schulen erziehen und mit diesem lebenskräftigen Element unser durch büreau-
kratischen Mechanismus träge gewordnes Blut auffrische» könnten; der Squire
aber habe geantwortet, das würde uns nichts nützen, denn in deutschen Schulen
hielten es englische Jungen nicht aus, sie würden alle fortlaufen. Auch dem
Produkte nach kann die englische Arbeit nicht als hvchststeheude bezeichnet werden.
In Ackerbau und Viehzucht, es ist wahr, sind die Engländer den übrigen Nationen
eine Zeit laug vorangegangen; aber da sich ihre Reichen auf andre Weise mehr
zu „verdienen" wußten, so haben sie diesen wichtigsten aller Produktionszweige
mehr und mehr eingeschränkt und sind bis hinter die Weisheit des Euripides
zurückgegangen, der im Orestes einen der Ältesten von Argos mit den Worten
loben läßt:


Die Stadt besucht er selten und des Marktes Nund,
Sein Feld bestellend, was allein das Land erhält.

Ein Engländer, es ist wahr, hat uns die verbesserte Dampfmaschine gegeben,
aber nachdem der Franzose Papin die Maschine selbst hergestellt und den Dumpf
als bewegende Kraft in die Welt eingeführt hatte, war die Verbesserung nur
eine Frage der Zeit, und hätte sie Watt nicht erfunden, so würde ein andrer,
vielleicht ein Deutscher oder ein Amerikaner, darauf verfallen sein. Die Jn-
dustrieprodukte Englands aber sind Erzeugnisse nicht der höchststehenden, sondern
der am niedrigsten stehenden Arbeit, rein mechanischer Arbeit, an denen Geist,
Phantasie, Kunstfertigkeit und guter Geschmack keinen Anteil haben, und indem
dieses Volk mit den ungeheuern Massen seiner rohen Maschincnware die ge¬
schickte Hand, die künstlerische Phantasie und den guten Geschmack außer Thätig¬
keit setzte, hat es die echte und wahre Kultur zurückgeschraubt. Nicht die
Menschheit mit neue» Kulturgütern zu beschenken, sondern zur Erzielung eines
höhern Geldgewinnes einen Teil der alten Kulturgüter zu verdrängen, war
Ziel und Erfolg der englischen Arbeit. Die hervorragende Stellung der Eng¬
länder in der Weltwirtschaft besteht nicht darin, daß sie mehr Güter lieferten
als andre Völker, sondern daß sie ander» Völkern mehr Güter auspressen; sie
sind weit mehr Schmarotzer als Produzenten. Wer die Arbeit nach dieser


Grenzboten I 1893 78
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/627>, abgerufen am 26.06.2024.